Zum Knuddeln süß
Von André Weikard
Sie sind klein, grün, leben in einer Höhle, suhlen sich im Dreck und verspeisen alles, was stinkt und rostet, von der Schuhsohle bis zur Schraube. Die Olchis. Sie entstammen der Phantasie des Kinderbuchautors und Illustrators Erhard Dietl – und haben mit diesem Film rein gar nichts zu tun.
Die kleinen, flauschigen Höhlenbewohner, um die es hier geht, nennen sich Ochis. Sie bevölkern die Wälder der erfundenen Insel Carpathia und sehen ein bisschen aus wie die Primatenversion von Jedi-Meister Yoda. Sind also zum Knuddeln süß. Leider fürchten die Menschen sie dennoch und machen Jagd auf die possierlichen Tierchen. Allen voran Maxim (Willem Dafoe). Der drillt die Jugend im ländlichen Carpathia und bereitet sie auf wilde Treibjagden vor, um die vermeintlich gefährlichen Ochis endgültig auszurotten. Dafür stolziert er in einer superalbernen selbst zusammengeflickten Uniform umher, Schulterklappen und Brustpanzer inklusive, und lässt sein Trüppchen aus Milchgesichtern strammstehen. Kurz: Er ist eine Mischung aus Windmühlenbekämpfer Don Quichotte und dem von Rachsucht zerfressenen Kapitän Ahab aus »Moby-Dick«. Die paramilitärische Witzfigur kommt bei der Dorfjugend gut an. Nur nicht bei Tochter Yuri, gespielt von Helena Zengel (»Systemsprenger«). Die findet ein verletztes Ochi in einer von Papas Fallen im Wald. Statt es zu töten, rettet sie es und will das hilflose Wesen schließlich heimlich nach Hause in die Wälder bringen. Aber Vorsicht: Maxim mit seinen »Kindersoldaten« ist ihr dabei dicht auf den Fersen.
Die Handlung, irgendwo zwischen »E. T.« und »Der mit dem Wolf tanzt« angesiedelt, da, wo Zivilisation und das Fremde aufeinandertreffen, ist alles andere als originell, spielt aber ohnehin keine Rolle. Denn »Die Legende von Ochi« ist eine Kino-Oper, ein opulentes Leinwandgemälde, unfassbar schön. Die erhabenen Landschaften Siebenbürgens – da wurde gedreht – gehen auf in der Musik von einem großen Orchester. Harfe, Panflöte, Bläser, Streicher. Spektakuläre Bilder von Moosen, Seen, Nebellandschaften, teilweise am Computer in Handarbeit nachkoloriert, modellieren eine mystische Märchenwelt. Häufig beobachtet der Zuschauer die Szene von unten. Aus der Kinderperspektive?
Im leuchtenden Grün der Wälder flackert immer wieder der gelbe Anorak Yuris auf. Jede Kameraeinstellung, manchmal nur für Sekunden zu sehen, ist sorgsam komponiert. Jedes Bild ein kleines Kunstwerk. Allein das zugemüllte Armaturenbrett im Auto von Yuris Mutter (Emily Watson), in dem ein toter Vogel neben ausgedrückten Zigaretten und allerlei Abfall liegt, ist ein Stilleben für sich. Kein Wunder, Langfilmdebütant Isaiah Saxon hat bislang vor allem Musikvideos inszeniert, unter anderem Clips der Isländerin Björk. Mit dem Zusammenwirken von Bild und Musik kennt der Mann sich also aus.
»Die Legende von Ochi« ist ein visuell-akustisches Spektakel, das sich mit der Frage auseinandersetzt, wie über Speziesgrenzen hinweg kommuniziert werden kann. Zumal schon da, wo die Sprache zur Verfügung steht, die Kommunikation so häufig so schlecht funktioniert. Wer die sinnlichen Möglichkeiten eines Kinosaals, das Leuchten satter Farben, die bombastische musikalische Kulisse einmal wieder in vollen Zügen auskosten will, findet hier die Gelegenheit dazu. Die eigentliche Erzählung hält dafür keine Überraschungen oder Figurenentwicklung bereit. Serviertip: einfach nur zurücklehnen, den Kopf ruhen lassen und genießen.
»Die Legende von Ochi«, Regie: Isaiah Saxon, USA 2025, 96 Min., bereits angelaufen
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