Dein roter Faden in wirren Zeiten
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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 1 / Titel
Lehrer schlägt Schüler

Ohrfeige von Amts wegen

Berlin: Gericht stellt Verfahren gegen Lehrer ein, der Schüler wegen Palästina-Flagge ins Gesicht schlug
Von Jamal Iqrith
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Nach dem Vorfall protestierten Schüler und Eltern vor dem Gymnasium gegen den gewalttätigen Lehrer (Berlin, 11.10.2023)

Ein kleiner Klaps vom Pauker – so wie früher eben – was ist schon dabei? Der angeklagte Lehrer, der im Oktober 2023 einen Schüler an einer Schule in Berlin-Neukölln wegen einer Palästina-Flagge auf dem Schulhof geohrfeigt hatte, wurde bei der Verhandlung am Berliner Amtsgericht am Freitag jedenfalls nur mit Samthandschuhen angefasst. Am Ende weigerte sich das Gericht gar, die Schuld des Staatsdieners festzustellen. Das Verfahren wurde gegen eine Geldauflage von 800 Euro eingestellt – abzuleisten binnen sechs Monaten. Der Pädagoge kommt so mit einem blauen Auge davon: Er bleibt straffrei und darf prinzipiell weiter unterrichten.

Am Morgen des 9. Oktober 2023, zwei Tage nach den Angriffen der Hamas in Südisrael, hatte der Geographie- und Sportlehrer Andre T. am Ernst-Abbe-Gymnasium den damals 15jährigen Schüler vor laufenden Handykameras mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Zuvor hatte der Schüler eine Palästina-Flagge gezeigt. Als der 62jährige ihn aufforderte, sie herunterzunehmen und ihn zur Schulleitung zu begleiten, weigerte er sich. Dafür kassierte er eine kräftige Ohrfeige – und trat dem Lehrer daraufhin gegen das Bein. Das Video der Szene wurde im Netz Hunderttausende Male geklickt und rief breite Empörung hervor. Der Fall sei »symptomatisch für die Situation in Deutschland, wo mit Gewalt gegen Palästinenser vorgegangen wird«, erklärte Ahmed Abed, Anwalt des geschädigten Schülers, der im Verfahren als Nebenkläger auftrat, nach der Verhandlung gegenüber jW. »Selbst auf dem Schulhof«. Der betroffene Schüler sagte am Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.

Die Staatsanwaltschaft, die dem Lehrer Körperverletzung im Amt vorwarf und ursprünglich eine Geldstrafe von 3.000 Euro gefordert hatte, wollte dem Angeklagten keine Fragen stellen. Selbst dann nicht, als er aussagte, er habe den Schüler lediglich »reflexmäßig weggestoßen«. Er habe eine »unangemeldete Versammlung« auf dem Schulhof wahrgenommen, so T., und sich zum Eingreifen gezwungen gesehen. Mit Rassismus habe das Ganze aber nichts zu tun. Wenn »da eine Gruppe von Rechtsradikalen demonstriert hätte, wäre ich genauso eingeschritten«. Ob es sich bei der Ansammlung von mehreren Schülern – auf dem Schulhof während der Pause – um eine Demonstration gehandelt hat, darf bezweifelt werden. Außerdem habe der Schüler ihm einen Kopfstoß verpasst, ergänzt der Lehrer. Auf dem Video ist davon nichts zu sehen.

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Die Schüler vor dem Ernst-Abbe-Gymnasium sind empört über die Ohrfeige des Lehrers (Berlin, 2.11.2023)

Die vorsitzende Richterin zeigte vor allem für den Angeklagten Verständnis. Schließlich sei er von dem 15jährigen provoziert worden. Zudem sei er bei dem Vorfall körperlich und psychisch in Mitleidenschaft gezogen worden. Weil das Landeskriminalamt nach dem Auftauchen des Videos im Internet eine Gefährdung für den Lehrer sah, habe er nicht mehr zur Arbeit gehen können. Bei vergangenen Prozessen mit Bezug zu Palästina ließen Berliner Gerichte meist weniger Milde walten.

Ahmed Abed hält die Entscheidung für falsch. Angesichts der Verantwortung eines Lehrers sei eine Einstellung nicht angemessen. Eine Berufung ist ausgeschlossen, aber einen Antrag auf Schmerzensgeld wolle man stellen. Auch seinem Mandanten, der die Schule wechseln musste, wirft die Staatsanwaltschaft Körperverletzung vor – wegen des Tritts nach der Ohrfeige. Bleibt abzuwarten, ob die Justiz im Falle einer Verhandlung ebenso wohlwollend entscheidet, wenn der Angeklagte auf »der falschen Seite der Staatsräson« steht.

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  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (29. Januar 2025 um 12:13 Uhr)
    Den Israel- und Lehrerverstehern hier kann man nur die wahren Worte des lebensklugen Roger Waters entgegnen: Teacher – leave us kids alone!
  • Leserbrief von Esther Sophia B. aus R. (29. Januar 2025 um 00:01 Uhr)
    Kann man die Geschichte nicht auch ganz anders verstehen – ganz unabhängig von Palästina und Rassismus? Ein überforderter Lehrer, der einschreiten muss, wenn auf dem Schulhof eine unangemeldete Versammlung stattfindet und Fahnen gehisst werden? Der Lehrer hat, wie ich lese, den Schüler nicht geohrfeigt, weil dieser Pro Palästina war – sondern weil der Schüler sich der Aufforderung des Lehrers widersetzt hat und sich geweigert hat, zum Rektor zu gehen. Eine scheußliche Situation für einen Lehrer, in welchem Kontext auch immer. Das rechtfertigt in keiner Weise eine Ohrfeige, kann aber tatsächlich zu hilflosen Reaktionen führen – auch gerade wenn der Lehrer wohl vor einer großen Gruppe von Schülern gestanden hat, die ihm wahrscheinlich nicht wohlgesonnen war. Was hätte der Lehrer denn tun sollen? Mitdemonstrieren? Einfach gehen? Dem Schüler sagen, gut, wenn Du nicht machst, was ich sage, ist mir das egal? Dass der Lehrer den Schüler aufgefordert hat, die Fahne wieder abzunehmen und zum Rektor zu gehen, ist das schon Rassismus? Es gäbe auch Argumente dafür, dass derart aufgeladene politische Konflikte zunächst einmal nicht in der Schule ausgetragen werden – keine Fahnen dort gehisst werden – da an einer Schule Schülerinnen und Schüler unterschiedlichster Herkunft sich zunächst einmal sicher fühlen sollen? Was da in eine Ohrfeige und den darauffolgenden Fußtritt des Schülers hineininterpretiert wird, zeigt einmal mehr, wie aufgeladen die Stimmung in Deutschland und auch den Schulen hier ist, verdeutlicht aber auch, dass der Job eines Lehrers hier nicht besonders einfach ist. Ich bin in den Sechziger Jahren im letzten Jahrtausend geboren – und habe als Schülerin niemals erlebt, dass sich Schüler in diesem Maß Aufforderungen von Lehrern widersetzen. Der Autor des Artikels, aber auch der Anwalt des Schülers können froh sein, unter diesen Umständen weder Lehrer noch Schüler dieser Schule zu sein – und können sich gut zurücklehnen und von außerhalb des Schulhofs empören.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf S. aus Gießen (24. Januar 2025 um 20:19 Uhr)
    Ich finde es von besonderer Bedeutung, dass das ganze zwei Tage nach dem Angriff der Hamas stattgefunden hat, und nicht etwa ein halbes Jahr später, nachdem schon weite Teile des Gazastreifens durch Israels Truppen dem Erdboden gleich gemacht wurden, praktisch ohne jede Rücksicht auf Zivilisten. Zwei Tage nach dem Angriff der Hamas also, bevor die Vergeltung Israels überhaupt begonnen hatte, abgesehen von Luftschlägen vielleicht. So gesehen kann ich den Lehrer verstehen, denn zu dem Zeitpunkt standen ja nur die Greuel der Hamas auf der Liste der Kriegsverbrechen, die israelischen sollten noch kommen. Und man muss gar nicht mal die Geschichten von geköpften und bei lebendigem Leibe verbrannten israelischen Babies glauben, oder was da an Greuelgeschichten verbreitet wurde, bei denen durchaus Zweifel an deren Wahrheitsgehalt angebracht war. Es genügen die verfügbaren Videoaufnahmen, auch von den Kopfkameras der Hamas selbst, um zu wissen, dass dort wehrlose Zivilisten abgeschlachtet wurden. Handgranaten etwa in Luftschutzbunker werfen, von denen man wusste, dass sie voll mit Menschen sind, und zwar nicht mit Soldaten. Oder ein Video, in dem eine neben einem Auto am Boden liegende Person den Fehler begeht sich zu bewegen, in Reaktion auf Schüsse in der Nähe. Man sieht dann, wie ein bewaffneter Hamas-Kämpfer zu ihm geht und ihn kaltblütig erschießt. Grundsätzlich rechtfertigt das natürlich nicht den tätlichen Übergriff auf das Kind, aber den Lehrer kann ich verstehen. Und das günstigste, was man dem Kind anrechnen kann, ist wohl, dass es ein unrelfektierter Rotzlöffel ist, der keine Ahnung hat, was dort stattgefunden hat.

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