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Aus: Ausgabe vom 30.11.2024, Seite 4 / Inland
Völkermord an den Palästinensern

Akademischer Appell für Gaza

Berlin: Sachverständige fordern Ende der Unterstützung Israels, Waffenembargo und Sanktionen
Von Marc Bebenroth
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Widersprechen der »Staatsräson«: Christine Binzel, Michael Barenboim, Hanna Kienzler und Wolfgang Kaleck (v. r. n. l.) am Freitag in der Bundespressekonferenz (Berlin, 29.11.2024)

Als Verbündeter Israels trage die Bundesrepublik entscheidend dazu bei, dass der Völkermord an den Palästinensern weitergeht. Am Freitag haben vier Sachverständige in Berlin vor Journalisten die Bundesregierung aufgefordert, eine Änderung im Verhältnis zur israelischen Regierung einzuleiten.

Christine Binzel, Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft des Nahen Ostens an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, betonte, wie klar die Beweislage für Verbrechen durch die israelische Regierung und ihre Streitkräfte sei. Berlin unterstütze Israel »militärisch, politisch, finanziell und rechtlich«. Deutsche Waffen kommen in Gaza zum Einsatz, erklärte Binzel. Dennoch spreche die Bundesregierung – entgegen zahlreichen Berichten der Vereinten Nationen sowie humanitärer Akteure – Vorwürfen gegen Israel, einen Völkermord zu begehen oder zumindest zu beabsichtigen, jede Grundlage ab. Die vom Internationalen Strafgerichtshof ausgestellten Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Gallant bezeichnete Binzel als »jüngsten Weckruf« für Berlin, sich der Wirklichkeit zu stellen.

An einschlägige Einlassungen unter anderem von Gallant als zentrale Grundlage des begründeten Verdachts einer genozidalen Intention der israelischen Regierung erinnerte Michael Barenboim. Der Musiker und Professor an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin zitierte unter anderem Gallants Rede von »menschlichen Tieren«, gegen die Israel im Gazastreifen kämpfe. Barenboim verwies auch darauf, dass Israel als Besatzungsmacht verantwortlich für die humanitäre Versorgung der Bevölkerung in Gaza sei, tatsächlich aber mit dem Vorenthalten von Strom, Wasser und Nahrungsmitteln das Gegenteil praktiziere. Die BRD müsse aufhören, die »Vernichtung des palästinensischen Volks« zu unterstützen.

Aber selbst bei einer sofortigen 180-Grad-Wende der Israelpolitik müssten auch von der BRD Reparationen für die aktuelle Zerstörung sowie deren langfristige Folgen für die Menschen in Gaza gefordert werden, erklärte Hanna Kienzler von der Gesundheits- und Sozialmedizinischen Fakultät des King’s College London. Auch Staaten, die Israel ermöglichen, Völkerrechtsverbrechen zu begehen – hier: Gaza »dem Erdboden gleichzumachen« – tragen Kienzler zufolge eine klare Mitschuld.

Vergangene Woche hatten Regierungssprecher in Berlin erklärt, man müsse die beiden Haftbefehle mit Blick auf innenpolitische Implikationen prüfen. Auf Nachfrage erklärte Barenboim am Freitag, es gebe nichts zu prüfen. »Ich glaube, wir warten alle auf den Moment, wo die Bundesregierung den Satz sagt: ›Wenn Benjamin Netanjahu oder Joaw Gallant deutschen Boden betreten, werden sie verhaftet.‹«, sagte er. Letztlich sei dies aber ein symbolischer Akt, betonte Wolfgang Kaleck, Völkerrechtler und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights mit Sitz in Berlin. Wer per Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gesucht wird, verzichte auf Einreisen in Länder, in denen ihnen Festnahme und Auslieferung nach Den Haag drohen könnten.

Wichtiger sei, die Unterstützung israelischer Völkerrechtsverstöße zu stoppen. Wäre Deutschland seinen Verpflichtungen nachgekommen, hätte die Bundesregierung die Rüstungsexporte nach Israel weder fortsetzen noch steigern dürfen, betonte Christine Binzel. Sie forderte ein »komplettes Waffenembargo« sowie Sanktionen gegen Israel. Das Handeln der dortigen Regierung und deren Streitkräfte habe »nichts mit Selbstverteidigung zu tun«, sondern verfolge das Ziel der »systematischen Zerstörung einer Gesellschaft«, also »jegliches Leben« in Gaza »unmöglich zu machen«.

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