Präventive Begnadigung
Von Felix BartelsErinnert sich noch wer ans Frühjahr? Man spekulierte munter, wie die laufenden Verfahren und Ermittlungen gegen Donald Trump dem Kandidaten bei der Kandidatur und dem möglichen Präsidenten bei einer möglichen Präsidentschaft hinderlich werden könnten. Die Antworten bewegten sich zunächst zwischen absolut und gar nicht, später zwischen ziemlich und kaum. Die Frage war schon berechtigt, nur falsch herum gestellt. Nicht die Verfahren verhindern die Präsidentschaft, die Präsidentschaft verhindert die Verfahren. So zumindest stellt es sich jetzt dar.
Der von der Biden-Administration eingesetzte Sonderermittler Jack Smith hat am Montag die Einstellung zweier Verfahren gegen Trump beantragt, desjenigen um die Dokumentenaffäre und desjenigen um den Sturm aufs Kapitol. Letzteres ist noch am selben Tag vom zuständigen US-Bundesgericht annulliert worden. Begründet wurde der Antrag seitens Smith und den beteiligten Staatsanwälten mit der etablierten Richtlinie des US-Justizministeriums, dernach amtierende Präsidenten nicht strafrechtlich verfolgt werden sollen. Designierung als Rechtsgrund: im Zweifel für den Angesagten.
Eine Richtlinie hingegen, nach der Personen, gegen die Ermittlungen laufen, nicht für das Präsidentenamt kandidieren dürfen, existiert nicht. Vermutlich wäre das unamerikanisch. Die Verfassung der Vereinigten Staaten jedenfalls sieht einen solchen Fall nicht vor. Artikel zwei nennt drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand im Wahlkampf um die Präsidentschaft antreten darf: Der Kandidaturkandidat muss 35 Jahre alt, in den USA geboren und seit 14 Jahren dort gemeldet sein. Einfacher: Donald Trump könnte das Land auch aus dem Innern einer Zelle regieren. Die Staatsanwaltschaft allerdings hat dafür gesorgt, dass er das nicht muss.
Unamerikanisch aber auch deshalb, weil in diesem Land, das sich seiner Gewaltenteilung und unabhängigen Justiz rühmt, der Präsident die Macht hat, Verfahren einstellen zu lassen, sofern sie auf Bundesebene stattfinden. Beide Verfahren also wären ohnehin sichere fünf Minuten nach Amtseid beendet worden, vom Angeklagten höchstselbst. Man behalte sich indessen vor, so die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen nach Ablauf der Amtszeit wieder aufzunehmen. Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt. Gelingen dürfte, was schon beim ersten Mal nicht reichte, kaum, wenn vier weitere Jahre Trump ins Land gegangen sind und der angekündigte und mit dem Immunitätsturteil des Supreme Court zum Teil bereits verwirklichte Staatsumbau vollzogen ist. Wenn das Justizministerium so beschnitten wurde, wie es der Auftrag an die kommende »Behörde für Regierungseffizienz« vorsieht und eine wenigstens der Möglichkeit nach unabhängige Justizarbeit nicht mehr stattfinden kann, dürfte die Verfolgung von Verbrechen aus der vorvorletzten Amtsperiode erst recht kein Thema mehr sein.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. November 2024 um 10:31 Uhr)Nach kanonischem Recht: Amerikaner stellen Politik über Recht. Das Prinzip klingt bestechend: Vor dem Gesetz sind alle Amerikaner gleich. Doch in der Praxis zeigt sich, dass dies nicht immer zutrifft – besonders, wenn es um den Präsidenten geht. Diese Woche gab die Richterin Tanya Chutkan dem Antrag des Sonderermittlers Jack Smith statt, zwei der ursprünglich gefährlichsten Strafverfahren gegen Trump einzustellen. Damit entgeht Trump erneut einer rechtlichen Verfolgung, obwohl sowohl die Anklageschrift als auch die bekannten Fakten starke Hinweise darauf liefern, dass er nach der verlorenen Präsidentschaftswahl 2020 mutmaßlich Straftaten begangen hat. Ein Vergleich mag ernüchtern: Während in den USA politisch heikle Fälle oft durch rechtliche Entscheidungen beeinflusst werden, bleibt ein anderes Beispiel in Europa nahezu unbeachtet. Gegen die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werden mögliche juristische Verfehlungen im Zusammenhang mit unrechtmäßigen Impfstoffbestellungen weitgehend ignoriert. Zudem wurden in ihrer Zeit als Verteidigungsministerin lukrative Aufträge in einer Weise vergeben, die als intransparent und willkürlich kritisiert wurden – beispielsweise per SMS-Kommunikation. In einer demokratischen Gesellschaft jedoch hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, solche Unstimmigkeiten überprüfen zu lassen und die Ergebnisse offengelegt zu bekommen.
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vom 27.11.2024