Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 15.11.2024, Seite 12 / Thema
Kolonialismus

Verabredung zum Überfall

Vor 140 Jahren tagte die Berliner Kongo-Konferenz. Reichskanzler Bismarck nutze sie für die Gründung deutscher Kolonien
Von Gertrud Rettenmaier
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Afrika wurde unter den europäischen Kolonialländern aufgeteilt wie ein Kuchen (zeitgenössische französische Karikatur)

Vor 140 Jahren setzten sich die europäischen Nationen und die USA an einen Tisch, um über ihren Zugriff auf Afrika zu verhandeln, einen riesigen Kontinent, dreimal so groß wie Europa. Portugiesische, dann niederländische und schließlich britische und französische Seefahrer hatten Afrika auf dem Weg zu den Gewürzinseln, nach Indien und China umfahren. Entlang der afrikanischen Küsten hatten fast alle europäischen Mächte Stützpunkte, Handelsniederlassungen und Festungen errichtet. Lukrativ war der Handel mit vielen Millionen Afrikanerinnen und Afrikanern gewesen, die als Sklaven in die Zuckerrohr-, Baumwoll- und Kaffeeplantagen sowie die Silberminen der Amerikas verkauft wurden. Im 19. Jahrhundert hatten sich christliche Missionen in den Küstenregionen niedergelassen, und Forscher hatten das Innere des Kontinents erkundet. Ihre Berichte befeuerten die europäischen Phantasien und die Begehrlichkeiten der europäischen Händler und Industriellen.

Nachdem weite Teile des Globus bereits erobert waren, hatte seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Wettlauf um die Eroberung Afrikas eingesetzt. In diesem Wettlauf, in dem Großbritannien die Spitzenpositionen einnahm, war es dem belgischen König Leopold II. gelungen, sich Territorien im Kongobecken anzueignen. Hier meldeten auch Frankreich, Portugal und Großbritannien Ansprüche an. Außerdem konkurrierten Frankreich und Großbritannien um Ägypten und Tunesien. Die USA, die sich mit Liberia auf dem Kontinent plaziert hatten, waren ebenfalls interessiert am afrikanischen Markt. Und auch die junge aufstrebende Industrienation Deutschland schickte sich an, unter den großen Mächten der Welt einen Platz einzunehmen.

Deutsche Expansion

Die drei Monate dauernde Konferenz im Berliner Reichskanzlerpalais begann am 15. November 1884. Weil insbesondere Konflikte um den Zugriff auf das Kongobecken behandelt werden sollten, wurde von der »Kongo-Konferenz« gesprochen. Bismarck hatte die Vertreter von 13 weiteren Staaten zur Verständigung über Ansprüche auf den Kongo und den gesamten afrikanischen Kontinent eingeladen. Die europäischen Mächte Russland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark, Schweden-Norwegen, Italien, Spanien, Portugal und das Osmanische Reich galten zusammen mit den USA als die relevanten Weltmächte. Die erst 13 Jahre alte deutsche Nation präsentierte sich erstmals als Staat von internationaler Bedeutung. Sie trat einerseits als Ordnung und Frieden stiftende Nation, andererseits als Kolonialmacht auf. Während der dreimonatigen Verhandlungen regelten die Kolonialmächte ihr Vorgehen beim gemeinschaftlichen Zugriff auf Afrika. Konflikte und Kriege zwischen den Kolonialmächten sollten vermieden werden. Das war einfach, weil der riesige Kontinent reichlich Manövriermasse für Tausch und Kompensationen bot und weil die afrikanischen Gesellschaften aus der Verfügung über die Territorien und Reichtümer ihres Kontinents vollständig ausgeschlossen wurden.

Bismarck verfolgte seine außenpolitischen Expansionsbestrebungen mit einer gewissen Vorsicht. Die Marine wurde ausgebaut, die Aktivitäten deutscher Kaufleute in Südostasien, dem Südpazifik und Westafrika wohlwollend begleitet. Politisches Ziel war, gute Voraussetzungen für deutsche Firmen zu schaffen, die im globalen Freihandel aktiv waren, und sie vor Verboten und Zöllen anderer Staaten zu schützen. 1882 schickte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz eine Mitteilung an das Auswärtige Amt, er wolle in Südwestafrika eine Handelsniederlassung mit alleinigem Handelsrecht gründen und bitte um Schutz gegenüber den Briten. Er versprach die Erschließung von Erzvorkommen im Landesinneren sowie neue Absatzmärkte für deutsche Produkte. Bismarck sah sich veranlasst, gegenüber Großbritannien deutsche Ansprüche geltend zu machen.

Einflussreiche Kaufleute wie Adolph Woermann aus Hamburg, der an der westafrikanischen Küste aktiv war, drängten Deutschland zu weitergehenden Schritten.¹ Die Hamburger Handelskammer formulierte 1883 in einer Denkschrift, was sie als Aufgaben des Staats betrachtete: Verhandlungen mit den anderen Kolonialmächten, Verträge mit lokalen Autoritäten an afrikanischen Handelsstützpunkten, die Plazierung staatlicher Vertreter vor Ort und den Erwerb von Küstenstreifen. Flankierend sollten Kriegsschiffe der Marine die Stützpunkte deutscher Händler stärken bzw. verteidigen.

Diese Vorschläge setzte Bismarck im Verlauf des Jahres 1884 um. Im Februar kam die Marine den hanseatischen Unternehmen zu Hilfe, die an der Küste Togos Schnaps, Tabak, Munition und Waffen gegen Palmöl tauschten und britische Zölle bezahlen sollten. Ein Kriegsschiff legte an, 100 Matrosen stürmten an Land und entführten drei hochrangige Vertreter einer afrikanischen Handelsgesellschaft, die eher Frankreich zuneigten. Deutschland demonstrierte, dass es entschlossen war, den Platz deutscher Kaufleute in Westafrika zu verteidigen. Wenig später schickte Bismarck Gustav Nachtigal auf dem Kriegsschiff »Möwe« nach Westafrika. Er sollte im Auftrag des Kaisers die von den deutschen Firmen vorbereiteten »Schutzverträge« unterzeichnen, die Handelsstützpunkte zu deutschen Territorien erklären und jeweils einen Reichskommissar vor Ort installieren. Nachtigal brachte die Entführten nach Togo zurück, sollte in diesem speziellen Fall aber französische Interessen respektieren und sich zurückziehen. Indessen hatte Heinrich Randad, der Handelsagent der Hamburger Firma Wölber & Brohm, Verträge mit konkurrierenden Autoritäten vorbereitet. In den Dörfern Bagida und Be (nahe Lome) hisste Nachtigal »unerwartet und heiter glatt« – und folgenreich – die deutsche Flagge und machte Randad kurzerhand zum Reichskommissar. Einige Tage später erreichte die »Möwe« Kamerun, wo die Firma Woermann einen Vertrag mit einem Zweig der Douala, lokalen Kaufleuten im Mündungsgebiet der Kamerunflüsse, vorbereitet hatte. Anfang Oktober kam Nachtigal in der von Lüderitz besetzten Bucht in Südwestafrika an. Dort übernahm er den Lüderitzschen »Meilenschwindel«-Vertrag, der den Einheimischen das siebenfache der vereinbarten Fläche abtrotzte, und legitimierte ihn, obwohl er um den Betrug wusste.

»Besser als die Spanier«

Zu Beginn der internationalen Konferenz konnte Bismarck also bereits drei deutsche Territorien an der westafrikanischen Küste vorweisen.

Die Eroberung von Kolonien galt in den bürgerlichen Kreisen Deutschlands als erstrebenswert. Im Rahmen der Nationalbewegung des deutschen Bildungsbürgertums hatten sich schon vor 1848 kolonialistische Bestrebungen verbreitet. Nationalisten propagierten angesichts der Auswanderungsbewegung in die Amerikas die Gründung deutscher Siedlerkolonien in Übersee zur »Erhaltung des Deutschtums«. »Nun wollen wir mit Schiffen über das Meer fahren und dort ein junges Deutschland gründen (…). Besser als die Spanier (…), anders als die Engländer (…), wir wollen es deutsch und herrlich machen«, verkündete Richard Wagner im Juni 1848 im demokratischen Vaterlandsverein Dresden.

Nach der Reichsgründung 1871 mischten sich neue Interessen aufstrebender Industrieller und international agierender Kaufleute in die nationale Euphorie. Absatzkrisen und Arbeitslosigkeit erzeugten eine Krisenstimmung und polarisierten die Gesellschaft. In dieser Situation griffen bürgerliche und konservative Kreise die Idee einer kolonialen Expansion als Mittel zur Problemlösung auf. »Immer lebhafter wird in Deutschland das Bedürfnis überseeischer Kolonien empfunden, welche unseren ländlichen und anderen Auswanderern ein neues deutsches Heim gewähren, dem Kapital sichere und hohe Rente, der Industrie vermehrten Absatz, Handel und Schiffahrt neue Gelegenheit zu gewinnbringender Tätigkeit eröffnen«, hieß es 1881 im Aufruf des »Westdeutschen Vereins für Colonisation und Export«, den der aus der Rheinischen Mission stammende Kolonialpropagandist Friedrich Fabri mit Gleichgesinnten aus Industrie, Handel und Beamtentum in Düsseldorf gründete. In Berlin war bereits der »Centralverein für Handelsgeographie, Auswanderung und Kolonialpolitik« gegründet worden. Propagandaschriften für die Gründung deutscher Kolonien zogen weite Kreise, in vielen Städten wurden Kolonialvereine gegründet. Bismarck verstand das »Kolonialfieber« innenpolitisch zu nutzen. Vor den Reichstagswahlen im Herbst 1884 äußerte er gegenüber einem engen Mitarbeiter: »Die ganze Kolonialgeschichte ist ja Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen.«

Bismarck betrachtete die Gründung von Kolonien nicht als Aufgabe des deutschen Staates und stand insbesondere Ideen von deutschen Auswanderungskolonien skeptisch gegenüber. Mit dem staatlichen Schutz von Handelsunternehmungen beschritt er trotzdem den Weg der Kolonisierung. Im Reichstag erklärte er im Juni 1884 die Absicht, deutsche kaufmännische Unternehmungen auf anderen Kontinenten »zu schützen in ihrer freien Entwicklung sowohl gegen die Angriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft als auch gegen Bedrückung und Schädigung von seiten anderer europäischer Mächte«. Die Konferenz in Berlin, die auf internationale Verständigung angelegt war, war ein geeigneter Rahmen, um deutsche Interessen und Ansprüche anzumelden und abzusichern. Gleichzeitig konnte sie genutzt werden, um die Beziehung Deutschlands zu Frankreich zu verbessern und die Vormachtstellung Großbritanniens zu begrenzen.

In der Generalakte, die im Februar 1885 die Ergebnisse der Konferenz festhielt, wurde eine Lösung für den Umgang mit dem Kongobecken gefunden. Von grundsätzlicher und bis heute nachwirkender Bedeutung war aber ein anderes Ergebnis der Konferenz: Die Kolonialmächte einigten sich darauf, dass Afrika ihre gemeinsame Angelegenheit war, bei der die Bewohnerinnen und Bewohner des Kontinents nichts zu melden hatten. Sie sicherten sich gegenseitig das Recht zu, afrikanische Gebiete an den Küsten in Besitz zu nehmen und zu beherrschen. Sobald einer der Staaten die Herrschaft tatsächlich ausübte und mit rechtlichen Regelungen und Infrastruktur absicherte, konnten andere sie ihm nicht mehr streitig machen. Grenzziehungen zwischen Herrschaftsgebieten würden die Kolonialstaaten nach und nach aushandeln. In den eroberten Territorien wurde der herrschenden Kolonialmacht das Gewaltmonopol zugebilligt. Damit verbündeten sich die Kolonialmächte zu einer »vereinten Frontstellung gegenüber den zu Kolonisierenden«, wie die Historikerin Tanja Bührer in einem jüngst erschienen Sammelband zur Kolonialpolitik des Auswärtigen Amtes betont.² Bührer bewertet das als Abkehr von einer historischen Praxis von Allianzen, Verträgen und Vereinbarungen zwischen Vertretern Europas und afrikanischen Autoritäten.

Unbegrenzte Gewalt

Selbst international anerkannte Souveräne wie das Königreich Madagaskar und das Sultanat Sansibar wurden nicht zu der Konferenz eingeladen. Der Sultan von Sansibar wurde nach deren Ende um die Unterzeichnung der Akte gebeten. Kurz danach setzte ihn Deutschland erfolgreich mit Kriegsschiffen vor der ostafrikanischen Küste unter Druck, und Großbritannien stimmte zu. Bismarck nutzte die Vereinbarungen der Konferenz, um auch die von dem Kolonialabenteurer Carl Peters beanspruchten Gebiete an der Küste Ostafrikas unter kaiserlichen Schutz zu stellen und dort eine Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) zu installieren.

Mit großer Selbstverständlichkeit blendeten die Kolonialmächte die Menschen aus, die den afrikanischen Kontinent bewohnten, und entzogen ihnen alle Rechte. Jeglicher Widerstand von Einheimischen durfte mit unbegrenzter Gewalt niedergeschlagen werden, denn er galt als illegitimer Akt gegen einen anerkannten Staat. Widerstandskämpfe waren längst in Gang, wurden aber bei der Konferenz in keinster Weise zum Thema gemacht. Zum Beispiel führte die deutsche Marine im Dezember 1884 in Kamerun den ersten Kolonialkrieg gegen Fraktionen der Douala, die nicht bereit waren, die abgeschlossenen Verträge zu akzeptieren. Zwei Kriegsschiffe beschossen deren Orte, 331 Marinesoldaten besetzten, plünderten und vernichteten sie und setzten mit grausamer Gewalt die deutsche Herrschaft durch. Katja Bührer weist darauf hin, dass auch Großbritannien sich in einem Kolonialkrieg befand: »Während der Konferenz eroberte die Mahdi-Bewegung öffentlichkeitswirksam die Sudan-Provinzen des anglo-ägyptischen Kondominiums zurück«.

Stark nach außen getragene Themen der Konferenz waren die Ideen des Freihandels und der Bekämpfung des Sklavenhandels. Beide Themen wurden insbesondere von Großbritannien propagiert, aber von allen Teilnehmern der Konferenz unterstützt. Koloniale Eroberungen, die mit freiem Handel und der Abschaffung von Sklaverei einhergingen, konnten als zivilisierendes, humanes Projekt dargestellt werden, das auch den Bewohnerinnen und Bewohnern Afrikas letztlich zugute kommen würde. David Simo bezeichnet die Diskurse während der Berliner Konferenz als Teil einer Wissensproduktion, um »die koloniale Machtübernahme neu zu organisieren und (…) neu zu begründen«.³ Die koloniale Eroberung wurde im 19.Jahrhundert im Unterschied zu vorangegangenen Phasen europäischer Welteroberung nicht mehr mit der Christianisierung von Heiden legitimiert. Nun ging es um den Sieg der Zivilisation. »Die Wissenschaft erarbeitete ein Bild von Afrika, das dessen Kolonisierung als notwendige Aufgabe der Europäer begründete.« Afrikaner wurden dabei »nicht nur in eine Zweitklassigkeit verbannt, sondern ihrer Menschenwürde beraubt«, »afrikanische Herrscher wurden als Potentaten bezeichnet und zum Problem hochstilisiert, das eben durch die Kolonisierung gelöst werden sollte«.⁴

Das Ergebnis der Berliner Konferenz intensivierte den Wettlauf der Kolonialstaaten, regte sie zur Inbesitznahme weiterer afrikanischer Territorien an und führte zu Grenzziehungen mit dem Lineal. Deutschland hatte sich als Kolonialmacht präsentiert und sich selbst unter Druck gesetzt, die zunächst oberflächlich besetzten Gebiete staatlich abzusichern, wenn es die internationale Anerkennung nicht verlieren wollte. Die Eroberung und Verteidigung der vier deutschen Kolonien stellte Deutschland vor enorme neue Herausforderungen, die es überwiegend gewaltsam zu bewältigen versuchte.

In Kamerun waren zwei große Hamburger Handelsfirmen aktiv, darunter Woermann. Sie tauschten vor allem Palmöl und Kautschuk gegen Alkohol, Waffen, Salz, Tabak und Textilien. Ihr Ziel war, den Zwischenhandel an der Küste auszuschalten und direkten Zugang zu den Lieferanten zu erhalten. Auch an der Anlage von Plantagen zum Anbau tropischer Früchte wie Kakao waren sie interessiert. Auf Drängen von Woermann wurde bereits im Juli 1885 ein staatlicher Gouverneur eingesetzt und mit dem Aufbau einer deutschen Kolonialverwaltung begonnen. Ende der 1880er Jahre unternahmen Söldnereinheiten erste Eroberungsfeldzüge ins Landesinnere. Um mehr bewaffnete Kräfte einsetzen zu können, kaufte 1891 das Gouvernement 370 Menschen als Sklaven im westafrikanischen Königreich Dahomey. Die Männer – Stückpreis 320 Mark – kamen überwiegend in einer Polizeitruppe zum Einsatz, die Frauen – Stückpreis 280 Mark – in Regierungsplantagen. Sie erhielten keinen Lohn und wurden ausgepeitscht. 1893 überfielen sie das Regierungsgebäude und töteten einen Beamten. Die deutsche Marine schlug ihren Widerstand mit Geschützfeuer von einem Kriegsschiff nieder.

Auspeitschungen und Todesstrafe

Danach stellte das Gouvernement eine offizielle Truppe mit angeworbenen afrikanischen Soldaten unter Führung deutscher Offizieren auf. Ihr Auftrag war, die Einheimischen vom fruchtbaren Plantagenland am Kamerunberg zu vertreiben und die Volksgruppen im Landesinneren zu unterwerfen. Leutnant Hans Dominik prahlte damit, wie seine Truppe Dörfer, die nicht sofort zur Unterwerfung bereit waren, beschoss und in Brand setzte, Bewohnerinnen und Bewohner mit effektiven neuartigen Waffen tötete und viele Frauen gefangennahm. Das deutsche Gouvernement regierte mit harter Hand. Auspeitschungen, Zwangsarbeit und Todesstrafen waren Standard. Insbesondere die Douala wurden bekannt durch ihr hartnäckiges Einfordern von gleichen Rechten. 1914, kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges, richtete die deutsche Regierung das Oberhaupt dieser Volksgruppe, Rudolf Douala Manga Bell, und dessen Assistenten öffentlich hin.

Das von Deutschland beanspruchte Togo war ein nur 50 Kilometer breiter Küstenabschnitt zwischen britischen und französischen Territorien am Golf von Guinea. Hier hatte der deutsche Reichskommissar zunächst die Aufgabe, deutsche Importe frei von britischen Steuern dauerhaft zu ermöglichen. Die Hauptstadt Lome entstand als Drehscheibe des Alkohol-, Tabak- und Waffenimports bzw. -schmuggels. Zunächst stabilisierten und erweiterten die Vertreter Deutschlands – unterstützt durch deutsche Kriegsschiffe – ihre Machtposition durch Koalitionen mit lokalen Oberhäuptern und afrikanischen Kaufleuten. Dann wurde eine deutsche Polizeitruppe aufgestellt, die militärische Eroberungsfeldzüge ins Landesinnere durchführte, ähnlich wie in Kamerun. Sie stellte die Einheimischen vor die Alternative Unterwerfung oder Vernichtung und machte viele Siedlungen dem Erdboden gleich. Ihre Vorstöße fanden im Wettlauf mit Frankreich und Großbritannien statt.

In deren Verlauf verhandelte Deutschland mehrmals mit den europäischen Nachbarmächten über die Grenzziehungen. Die Grenzen wurden nach dem Stand der Eroberungen und nach machtpolitischen Kalkülen vereinbart, teilten ethnische Gruppen wie die Ewe verschiedenen Staaten zu und durchtrennten traditionelle Handelswege. Zügig wurden sieben deutsche Verwaltungsdistrikte eingerichtet. Verwaltung und Polizei konnten in dem flächenmäßig überschaubaren Land die Bevölkerung in hohem Maße kontrollieren. Sie zwangen die Bevölkerung unter Einsatz von Peitsche und Gewehr zur »Steuerarbeit« bzw. »Pflichtarbeit«. In Berlin wurde 1902 die »Deutsche Togogesellschaft« gegründet, deren Ziel die Anlage von Plantagen zur Produktion von Exportprodukten war. Sie eignete sich Land an und vergab es an Tochterfirmen, die Kakao, Kautschuk, Ölpalmen und Sisalagaven kultivierten. Drei Eisenbahnstrecken wurden gebaut. Kolonialwirtschaftliche Kreise in Deutschland propagierten den Anbau von Baumwolle nach dem Vorbild Ägyptens und der USA und erreichten, dass die deutsche Verwaltung den Baumwollanbau in Togo forcierte. Das Gouvernement zwang Menschen zum Anbau von Baumwolle, die keinerlei eigenen Nutzen davon hatten, und brach ihren Widerstand mit Gewalt. Es ließ Monokulturen mit importierten Samen anlegen, ohne die vorhandenen örtlichen Erfahrungen mit Baumwollkulturen einzubeziehen. Im Ergebnis blieben die erzeugten Mengen gering, und die Qualität der Baumwolle war kaum international konkurrenzfähig. Die positiven Bilanzen der »Musterkolonie des Deutschen Reichs« Togo sind mehr auf den erfolgreichen Handel als auf die Ergebnisse der Plantagenwirtschaft zurückzuführen. Dass es auch in Togo während der deutschen Kolonialherrschaft eine Protestbewegung gab, belegen Petitionen und Presseartikel.

An der Küste Ostafrikas stieß die DOAG unter Carl Peters schnell an ihre Grenzen. Sie hatte sich in eine Region begeben, wo sich über Jahrhunderte arabisch-indisch-afrikanische Handelsstrukturen etabliert hatten. Deren Nutznießer mobilisierten einen erheblichen Widerstand, der mit Kriegsschiffen allein nicht bekämpft werden konnte. Bismarck setzte auf eine möglichst unauffällige Lösung, deren Risiken er auf Private abwälzen konnte. Er beauftragte Hermann Wissmann, »einen Außenseiter mit zweifelhaftem Werdegang«⁵, eine Söldnerarmee aufzustellen. Wissmann brachte mit 600 sogenannte Sudanesen aus Ägypten, die bereits der britischen Kolonialmacht gedient hatten, und weiteren Angeworbenen aus dem ost- und südostafrikanischen Küstengebiet eine umfangreiche Truppe zum Einsatz. Deren Führungskräfte stammten ebenso wie Waffen und Munition aus der Reichswehr. Der Reichstag bewilligte weitere Mittel für den Krieg, weil die Regierung diesen als »Polizeieinsatz« zur »Bekämpfung des Sklavenhandels« und zum »Schutz der deutschen Interessen« verharmloste und humanitär verbrämte. Die Truppe zog mit erbitterten Häuserkämpfen, Massakern, Hinrichtungen, Erpressungen und Plünderungen durch das Land. Gehorchten Menschen nicht, wurden ihre Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, Felder, Vorräte und Vieh vernichtet. 1890 war die gesamte Küstenregion des beanspruchten »Deutsch-Ostafrika« wieder unter deutsche Herrschaft gestellt. Wissmann ließ weitere 600 Söldner anwerben und stand nun an der Spitze einer Truppe von 1.800 Soldaten.

Vernichtungskrieg

Die Reichsregierung berief den Privatfeldherren jedoch nach Deutschland zurück, weil er schwer kontrollierbar war. Dann setzte sie einen Gouverneur ein und wandelte die Privatarmee in eine staatliche »Schutztruppe« um. Eine Reihe privater Plantagenunternehmen entstanden, die sich mit Unterstützung der Kolonialverwaltung und der Truppe Land aneigneten. Das Gouvernement ließ Eisenbahnstrecken und Hafenanlagen bauen. In den Anbau von Kaffee sowie Baumwolle wurden große Erwartungen gesetzt, die aber enttäuscht wurden. Es mangelte an Arbeitskräften, denn weder mit Entlohnungen noch mit Zwangsmaßnahmen ließen sich genügend Menschen für die Arbeit gewinnen. Kontraktarbeiter aus Südostasien wurden angeworben, aber auch das brachte nicht die erhofften Ergebnisse. Hinzu kamen die Tücken der Natur. Schädlinge und Krankheiten befielen die Pflanzungen. Einzig der Anbau von Sisalagaven erwies sich als ertragreich. Einige Siedler aus Deutschland ließen sich nieder und gründeten Farmen. Deutsch-Ostafrika entwickelte sich zu einer Mischung von Siedlerkolonie, Handels- und Plantagenkolonie.

Aber die grausame Kolonialherrschaft mit gewaltsamen Steuereintreibungen, Landraub und Zwangsarbeit provozierte Widerstand. Eine Reihe von Volksgruppen verbündeten sich, angeregt durch den Maji-Kult, gegen die deutschen Unterdrücker. Zwischen 1905 und 1907 bekämpfte Deutschland die Bewohnerinnen und Bewohner des gesamten südlichen Teils des heutigen Staates Tansania in einem Vernichtungskrieg, dem bis zu 300.000 Menschen zum Opfer fielen. Im Ersten Weltkrieg verteidigte die deutsche Ostafrikatruppe ihre Position bis 1918, während die Deutschen in den anderen Kolonien schon in den ersten Kriegsjahren aufgegeben hatten.

Südwestafrika, das heutige Namibia, wurde zur deutschen Siedlerkolonie. Dazu trugen die natürlichen Gegebenheiten bei: subtropisches Klima und relativ trockenes Land, das sich eher zur Viehzucht als für Plantagen eignet. Der Gründer Adolf Lüderitz hatte auf Handel und Bergwerke gesetzt. Zunächst blieben jedoch die gefundenen Erzvorkommen überschaubar. Um die Kolonie erhalten zu können, war die Anwerbung von Siedlern existentiell. Dafür musste Deutschland immer größere Landflächen in Besitz nehmen und ihre bisherigen Bewohner verdrängen. 1904 eskalierte der Konflikt, als die Volksgruppe der Ovaherero die Kooperation mit dem Gouvernement aufkündigte und deutsche Farmen angriff. Deutschland reagierte mit der Aufstellung einer großen Armee und setzte Lothar von Trotha als Feldherr ein, der sich im chinesischen Boxerkrieg mit barbarischen Expeditionen einen Namen gemacht hatte.

Die Deutschen verübten einen Genozid an den Ovaherero und Nama, der die beiden Volksgruppen auf wenige Überlebende dezimierte, und eigneten sich deren gesamtes Land an. Ein deutscher Staatssekretär, der 1911 das Land bereiste, äußerte sich bestürzt über das »Klima des Hasses und der Verachtung« im Umgang mit den Indigenen.⁶ Die Kolonialverwaltung entwickelte nach dem Krieg ein ausgetüfteltes System der Kontrolle und Herrschaftssicherung, dessen Zweck auch die Zuführung von Arbeitskräften zu den deutschen Farmen und Bergwerken war. 1908 wurden Diamantenvorkommen entdeckt. Durch den Verkauf von Diamanten entwickelte sich die Kolonie zur Einnahmequelle für den Staat. 1912 ließ der deutsche Gouverneur Theodor Seitz im Zentrum der Hauptstadt ­Windhoek das Standbild eines deutschen Reiters aufstellen als Symbol der dauerhaften deutschen Herrschaft. Es sollte anders kommen.

Anmerkungen:

1 Im Detail nachzulesen bei: Kim Sebastian Todzi: Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1837–1916, Göttingen 2023

2 Tanja Bührer: Das Auswärtige Amt und die Frage der Verantwortung für die koloniale Gewalt in Deutsch-Ostafrika. In: Carlos Alberto Haas u. a. (Hg.): Das Auswärtige Amt und die Kolonien. Geschichte, Erinnerung, Erbe. München 2024, S. 103

3 David Simo: Die europäische Aushandlung des kolonialen Dispositivs und Versuche der Afrikanerinnen und Afrikaner, damit umzugehen. In: ebd., S. 216

4 Ebd., S. 223, 225 u. 227

5 Bührer (Anm. 2), S. 107

6 Mathias Häussler: Missing Link. Die Kolonialabteilung und die Kriege in Deutsch-Südwestafrika (1904–1909). In: ebd., S. 147

Renate Rettenmaier schrieb an dieser Stelle zuletzt am 4. April 2024 über die Geschichte des Kaffees als Konsumgut: Kolonialer Bodensatz

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