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Aus: Ausgabe vom 15.11.2024, Seite 8 / Ansichten

Die Beine der Lügen

Polen eröffnet US-Raketenbasis
Von Reinhard Lauterbach
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Ein Offizier der US-Marine am Mittwoch im polnischen Redzikowo

Lügen haben kurze Beine, sagt der sogenannte Volksmund. Manchmal auch etwas längere, wie im Fall der in dieser Woche eröffneten US-Raketenbasis im polnischen Redzikowo. Und es war der Warschauer Außenminister Radosław Sikorski, der sie bei dieser Gelegenheit beiläufig auffliegen ließ. Der Mann kann ja öfter sein Wasser nicht halten, siehe seinen Tweet »Thank you, USA« nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline im September 2022.

Erinnert sich noch jemand, wie der Bau der Stellung seinerzeit begründet wurde? Sie solle anfliegende iranische oder nordkoreanische Raketen abschießen. Glaubhaft war das nie: Nordkoreanische Raketen mit Ziel USA würden eher nicht die Route über Europa nehmen, da ist es über den Pazifik oder die Arktis doch näher. Und die als zweites Argument beschworenen iranischen Raketen existierten weder damals noch heute. Jetzt hat Radosław Sikorski die Katze aus dem Sack gelassen: Der Vertrag über die Einrichtung der Basis in Redzikowo sei »kurz nach dem russischen Überfall auf Georgien« 2008 abgeschlossen worden. Abgesehen vom Datum war auch das schon wieder gelogen: 2008 war nicht Russland über Georgien hergefallen, sondern dieses über seine abtrünnige Region Südossetien, die sich in den Bürgerkriegen der 1990er Jahre von Georgien getrennt hatte. Nach 1991 hatten sich die Südosseten, um dem Revanchismus des damaligen georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia zu entgehen, unter den Schutz Russlands gestellt, das dort eine Friedenstruppe von ein paar hundert Mann stationierte, die über Jahre nicht viel zu tun hatte. Als der »prowestliche« georgische Präsident Micheil Saakaschwili im Sommer 2008 glaubte, die Südosseten militärisch zur Räson bringen zu können, kamen bei einem georgischen Artillerieüberfall auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali auch Soldaten dieser russischen Friedenstruppe ums Leben. Und das nahm nun wiederum Russland zum Anlass, in Georgien zu intervenieren – war aber noch auf Wahrung des internationalen Konsenses bemüht, so dass es sich von der EU bereden ließ, seine Offensive vor der Einnahme von Tbilissi einzustellen. Wer da also wen überfallen hat, ist zumindest diskussionswürdig.

Von iranischen oder nordkoreanischen Raketen war bei der Zeremonie jetzt in Redzikowo keine Rede mehr. Eher von dem, was Russland schnell erkannt hatte: dass es darum gehe, mit den dort stationierten US-Marschflugkörpern das russische Zweitschlagspotential neutralisieren zu können. Die Antwort war seinerzeit die Stationierung russischer »Iskander«-Raketen um Kaliningrad, gegen die auch westliche »Patriot«-Systeme in der Ukraine nicht viel ausrichten können. Damals hatte Russland dem Westen noch angeboten, eine gemeinsame Raketenabwehr gegen die Bedrohungen aus dem Iran und Nordkorea einzurichten. Heute liefert der Iran Russland Drohnen und Nordkorea Granaten und Soldaten. So kann es gehen.

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