Aus den Augen, aus dem Sinn?
Von Karim NatourWas tun, wenn die eigene Politik bei der Bevölkerung einfach nicht mehr verfangen will, während eine rechte Partei, die sich als »Anti-Establishment« in Szene setzt, reihenweise Wahlsiege einfährt? Man verbietet die Konkurrenz – im Sinne eines liberal-demokratischen Wettbewerbs um das bessere Argument, versteht sich.
Ein AfD-Verbot ist bereits mehrfach gefordert worden. Nachdem die Partei bei den drei Landtagswahlen im September jeweils fast ein Drittel der Stimmen erlangen konnte, soll der Bundestag nun über einen entsprechenden Antrag auf ein Verfahren zum Verbot der AfD abstimmen. Laut einem Bericht der Welt (Sonntag) haben Bundestagsabgeordnete von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und Linken einen Antrag ausgearbeitet, mit dem ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angestoßen werden soll. Dahinter stehen allerdings nicht die gesamten Fraktionen, sondern einzelne Abgeordnete. Insgesamt 37 Parlamentarier sollen den Antrag unterstützen. Die Initiative ist laut Welt unter anderem vom CDU-Bundestagsabgeordneten und früheren Ostbeauftragten Marco Wanderwitz ausgegangen.
Dem Papier zufolge soll das Gericht feststellen, dass die Partei verfassungswidrig sei und deshalb verboten werden könne. Hilfsweise soll zudem festgestellt werden, dass die AfD von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen wird. Der Partei wird in dem Antrag vorgeworfen, die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« abschaffen zu wollen sowie gegenüber dieser eine »aktiv kämpferisch-aggressive Haltung« einzunehmen. In dem Antrag werden der AfD zudem zahlreiche Verstöße gegen die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes vorgeworfen. Dabei wird etwa die Forderung nach einer »millionenfachen Remigration« von Migranten angeführt. Das Papier bezieht sich demnach auf Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster. Das urteilte im Mai, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst die AfD auf Bundesebene als Verdachtsfall im Bereich »Rechtsextremismus« einstufen und nachrichtendienstlich beobachten darf.
Nach Bekanntwerden des Vorhabens am Sonntag kam unter anderem von seiten des BSW Kritik an dem Vorhaben. Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte es als »Wahlkampfgeschenk« für die Partei: »Das ist wirklich der dümmste Antrag des Jahres«, erklärte sie dem Portal T-online. Statt berechtigte Anliegen von AfD-Wählern ernst zu nehmen, wolle man »den unliebsamen Konkurrenten jetzt mit der Verbotskeule erledigen«. Das BSW lehne alle Verbotsinitiativen ab und trete statt dessen für eine sachliche Auseinandersetzung ein. Auch die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, wendete sich gegen die Maßnahme. »Ein Verbotsantrag wäre jetzt politisch kontraproduktiv«, sagte sie dem Tagesspiegel vom Montag. Ein solcher würde »noch mehr Bürgerinnen und Bürger, die mit den Bedingungen und Erfordernissen der pluralistischen Demokratie wenig vertraut sind und sich mit ihr deshalb nicht identifizieren können, in die Arme der AfD treiben.«
Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies am Montag auf frühere ablehnende Äußerungen zu einem möglichen Verbotsverfahren. Am Freitag hatte er erklärt, dass ein Verbot ein »sehr weitreichender Schritt sei« und es in der Bundesregierung keine Pläne gebe, ein entsprechendes Verfahren anzustoßen. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte gegenüber den Sendern RTL und N-TV indes, »wenn die Beweise vorliegen, dann ja«. Unterstützung kam auch vom Abgeordneten Roderich Kiesewetter (CDU). »Ich bin dem Kollegen Marco Wanderwitz, der das initiiert hat, sehr dankbar«, sagte er Welt TV.
Dass ein Verbot bei den Teilen der Bevölkerung, die angesichts von Krieg und Krise mit der Politik der Ampelkoalition nicht zufrieden sind, nur noch mehr Verachtung für die Regierung hervorrufen wird, scheint die Befürworter nicht zu interessieren. Allein die über Parteigrenzen hinweg kundgegebene Absicht einer solch autoritären Maßnahme dürfte Wasser auf die Mühlen der AfD sein, die sich stets als einzige »echte« Opposition zum Regierungsbrei zu stilisieren sucht.
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Leserbrief von Ulrich Sander aus Dortmund (1. Oktober 2024 um 12:05 Uhr)Als gefordert wurde, die NPD zu verbieten, urteilte Karlsruhe: Sie ist zwar verbotswürdig, aber zu klein. Nun schreiben sie: Die AfD ist zu groß, um verboten zu werden. Erich Kästner mahnte: »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten.« Ferner ist zu fragen: Dürfen wir wirklich das Verbot faschistischer Propaganda vernachlässigen – ausgesprochen im völkerrechtlich gültigen Potsdamer Abkommen von 1945 und im Grundgesetzartikel 139 zur Entnazifizierung? Im Bundesgesetzblatt Nr. 1 vom 23. Mai 1949, S. 18, steht – und dies wurde bis heute nicht geändert, jedoch seinerzeit als Argument für den Beitritt der BRD zur UNO herangezogen: Artikel 139 GG lautet: »Die zur ›Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‹ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.« Es sollte wenigstens das getan werden, was Heribert Prantl kürzlich forderte. Der Neonazi Höcke, wie Prantl den Landesvorsitzenden der AfD in Thüringen nennt, solle aus dem Parlament vertrieben werden. Prantl verweist auf Artikel 18 des Grundgesetzes, der ein »politisches Aktionsverbot« für Leute wie Höcke ermögliche. Alle würden immer über die »wehrhafte Demokratie« reden. Wenn sie sich aber nicht wehre, »dann verdient sie diesen Namen nicht«. Auf die Frage, ob ein solches Verfahren die AfD nicht in ihren so geliebten Opferstatus bringe, führt Prantl aus: Dieser Einwand sei »nicht stichhaltig«. Es sei »geboten, die Demokratie zu schützen«. Wenn man schon über Opfer spreche, dann denkt Prantl an ganz andere: »Dann denke ich an Migranten, jüdische Menschen, Behinderte. An alle die, die gegen die AfD agitiert.«
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Leserbrief von Leo Pixa (30. September 2024 um 23:47 Uhr)Die CDU will sich einer lästigen Konkurrenz entledigen und Abgeordnete der Linken verdingen sich dabei als Steigbügelhalter. Alles für ein joviales Schulterklopfen der reaktionären Platzhirsche? Schon mal über Unterscheidungsmerkmale nachgedacht? Nicht gemerkt, dass die AfD Fleisch vom Fleische der CDU und anderer reaktionärer Kräfte ist? Auf breiter Linie ist die AfD völlig d'accord mit der Ampelregierung. Dieses erneute Andienen einiger »Linker« an die Herrschenden ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Und ein weiterer Schritt in die Bedeutungslosigkeit einer Partei, die den politischen Kampf schon lange eingesargt hat und sich nur noch über Symbolpolitik artikuliert. Dabei wäre es doch ganz einfach. Erfolgreiches Agieren gegen die AfD heißt den Brandherd, die neoliberale Regierung samt CDU zu bekämpfen. Ist aber wohl leider in den Wind geblasen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (30. September 2024 um 20:03 Uhr)Ich gebe Sahra Wagenknecht vollkommen recht – ein Verbot ist absolut kontraproduktiv. Die AfD muss politisch gestellt werden. Durch so einen Versuch werden »Märtyrer« geschaffen. Die Strukturen und die Aktivisten existieren – dann gibt es eben eine Partei gleichen Gedankenguts unter anderem Namen. Und dann? Nächstes Verbotsverfahren? Das wird eine Kette ohne Ende. Und das darf nicht passieren – wir müssen endlich lernen, mit solchem Gedankengut wieder argumentativ abzurechnen. Nur dann bekommen wir zumindest einen Teil der Wähler zum Nachdenken und dann vielleicht zurück. Lasst es einfach sein und konzentriert euch auf eine saubere und logische Auseinandersetzung. Zumindest in Thüringen hat ja Herr Treutler einige Vorlagen geliefert, die wir aufnehmen sollten. Und auch in Brandenburg haben sich die AfD-Anhänger am Wahlabend geoutet – hier gehört politischer Diskurs her und keine Ausgrenzung. Dieses »Projekt Verbot« macht die AfD nur stärker … Und wer will das schon, außer der AfD selbst …
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