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Aus: Ausgabe vom 30.08.2024, Seite 4 / Inland
Repression gegen kurdische Bewegung

Ausreiseverbote rechtswidrig

Köln: Vor Kurdistan-Reise gestoppte Friedensaktivisten siegen vor Verwaltungsgericht
Von Nick Brauns
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Weitere Mitglieder der Kurdistan-Delegation, die es bis Erbil geschafft hatten, wurden dort von der Polizei am Flughafen festgenommen (12.6.2021)

Von der Bundespolizei verhängte Ausreiseverbote für Teilnehmer einer Friedensdelegation nach Kurdistan im Sommer 2021 waren rechtswidrig. Zu diesem Urteil kam das Kölner Verwaltungsgericht am Mittwoch.

Angesichts einer Verschärfung der Kämpfe zwischen der türkischen Armee und der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans PKK waren im Juli vor drei Jahren rund 160 Friedensaktivisten aus 14 Ländern in die Kurdistan-Region des Irak gereist. Ihr Ziel war, so internationale Aufmerksamkeit auf den vergessenen Krieg zu lenken. Beim geplanten Abflug vom Düsseldorfer Flughafen wurden allerdings 21 Delegationsteilnehmer aus Deutschland von der Bundespolizei an der Reise ins nordirakische Erbil gehindert. 17 von ihnen erhielten anschließend eine einmonatige Ausreiseuntersagung in den Irak. Begründet wurde diese Maßnahme mit angeblich vorliegenden geheimdienstlichen Erkenntnissen, wonach sich die Friedensaktivisten als »lebende Schutzschilde« für die Guerilla in die Kampfgebiete begeben wollten. Dies würde die Beziehungen zum NATO-Partner Türkei negativ belasten und somit erhebliche Belange der Bundesrepublik gefährden, war das Ausreiseverbot begründet worden. Da die Behörden keine hinreichenden individuellen Erkenntnisse für ihre Anschuldigungen vorlegen konnten, gab das Gericht der Klage der zwei Hamburgerinnen Theda O. und Ronja K. statt.

Am Flughafen hatten Polizisten den gestoppten Aktivisten erklärt, eine »Anweisung von oben« erhalten zu haben. Doch im Verfahren habe sich die Bundespolizei geweigert, ihre Akten vollständig vorzulegen, meldete die kurdische Nachrichtenagentur ANF am Donnerstag. Nicht geklärt werden konnte, ob es eine Zusammenarbeit deutscher und türkischer Behörden gegeben hatte. Die Klägerinnen vermuten gegenüber ANF, dass sich die BRD zum »Handlanger« des türkischen Staates gemacht habe, der verhindern wolle, »dass über die völkerrechtswidrigen Angriffe auf Kurdistan berichtet wird«.

Ausreiseverbote gegen politisch Aktive hätten sich in den letzten Jahren gehäuft, heißt es von seiten des Rechtshilfefonds für Kurden Azadi, der in dem Kölner Urteil daher eine über den Fall hinausgehende Relevanz erkennt. Erst vor einem Monat war eine fünfköpfige Gruppe, die zu Gedenkveranstaltungen anlässlich des zehnten Jahrestages des Genozids an den Jesiden durch den »Islamischen Staat« in den Nordirak reisen wollten, am Münchner Flughafen mit einem einmonatigen Ausreiseverbot belegt worden. Von solchen Maßnahmen sind nicht nur Kurdistan-Aktivisten betroffen. So wurde auch dem Vorsitzenden des antifaschistischen Verbandes VVN-BdA Florian Gutsche, der anlässlich eines Neonaziaufmarsches in die bulgarische Hauptstadt Sofia reisen wollte, im März 2023 die Ausreise untersagt.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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