Der Markt wird es richten
Von Gert Hautsch»Auf absehbare Zeit« werde es im Bundeshaushalt keine Mittel für eine Zustellförderung bei Tageszeitungen geben – wegen der »großen wirtschaftlichen Herausforderungen«. So beschied es das Bundeskulturministerium der Agentur dpa vor zwei Wochen. Damit findet eine Farce ihr Ende, die auch im pleitengesättigten deutschen Politikbetrieb Seltenheitswert hat.
Im Herbst 2019 hatte der Bundestag 40 Millionen Euro zur Förderung der Zustellung von Pressemedien bereitgestellt. Bedingung war ein Gesamtkonzept, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Leitung von Hubertus Heil (SPD) zu erarbeiten gewesen wäre. Es kam nie. Statt dessen stellte im Juli 2020 der Bundestag überraschend 220 Millionen Euro für ein allgemein formuliertes Förderprogramm zur Verfügung. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ließ anschließend ausrichten, er habe davon nichts gewusst. Er gab ein Gutachten in Auftrag.
Dann kam 2021 die neue Bundesregierung. Sie hielt im Koalitionsvertrag eine Zustellförderung ausdrücklich fest. Das Altmaier-Gutachten kam Anfang 2023 und bestätigte, dass das Vorhaben wirtschaftlich vernünftig, sozialpolitisch geboten und verfassungskonform sei. Aber der neue Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), ließ wissen, er mache »sich die Schlussfolgerungen der Studie nicht zu eigen«. Im übrigen sei er gar nicht zuständig, das Thema gehöre eher zum Staatsministerium für Kultur und Medien (Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen). Doch auch dort fühlte man sich nicht angesprochen, die Sache blieb liegen. Nun ist sie auch offiziell beerdigt worden. Die Ampelregierung will sich mit einer Zustellförderung nicht befassen. Vermutlich, weil sie kompliziert ist, Geld kosten und sich bei Wahlen nicht auszahlen würde.
Vor diesem Hintergrund hat die Informationsgemeinschaft für die Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) die Presseauflagen im zweiten Quartal 2024 veröffentlicht. Pro Erscheinungstag sind elf Millionen Tageszeitungen verkauft worden, das waren 7,1 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Wenn nur die voll bezahlten Exemplare (Abo und Einzelverkauf) gezählt werden, dann ist die Gesamtauflage um 7,9 Prozent auf 9,6 Millionen gesunken. Weil darin auch die digitalen E-Papers enthalten sind, war die Entwicklung bei den Printausgaben noch schlechter: Dort wurden 8,6 Millionen Stück verkauft, 10,9 Prozent weniger als im zweiten Quartal 2023.
Die große Frage: Kann es den Zeitungsverlagen gelingen, ihr Produkt ins Internet zu retten? Dazu müsste der Rückgang bei den Printauflagen durch Zuwächse bei den digitalen Angeboten ausgeglichen werden. Die E-Papers sind offenbar nicht die Lösung, sie erreichen aktuell 22 Prozent der Gesamtauflage. Ihre Käuferzahlen steigen, doch verhindern sie nicht, dass die Gesamtauflage sinkt.
Bleiben die kostenpflichtigen Internetportale (»Paid Content«), wozu es keine branchenweiten Zahlen gibt. Bei den fünf größten Überregionalen (Bild, SZ, FAZ, Handelsblatt und Welt) hat die Zahl der Onlineabos die Printverluste einigermaßen ausgeglichen. Das sagt aber noch nichts über die tatsächlichen Einnahmen. Der Branchendienst PV Digest hat ermittelt, dass nur 54 Prozent der digitalen Presseabos voll bezahlt werden. Den meisten Profit erzielen wohl gedruckte Ausgaben.
Wichtiger: Nach Angaben des Verlegerverbands BDZV ist »Paid Content« ein Thema für die überregionalen Zeitungen. Die Regional- und Lokalblätter erwirtschaften 88 Prozent ihrer Erlöse durch Print. Damit schließt sich der Kreis: Gerade für die kleineren Zeitungen ist die Zustellung zum Problem geworden (steigende Kosten, abnehmende Verbreitung). Im vorigen Jahr haben die Pressekonzerne Funke und Madsack in Brandenburg schon die Zustellung in einzelnen Landkreisen eingestellt.
Die staatliche Förderung für ein schrumpfendes Geschäftsmodell sei sinnlos, heißt es. Doch mit der gedruckten Zeitung verschwindet auch das E-Paper. Onlineplattformen haben bislang im lokalen Bereich wenig Resonanz, ob als Angebote der Verlage oder unabhängig. Das Ergebnis werden »Todeszonen« sein, bekannt aus den USA: Landstriche, ohne Lokaljournalismus. So unzureichend dieser derzeit auch sein mag, er sichert ein Minimum an politischer Kontrolle und sozialem Zusammenhalt.
Eine Alternative zur Zustellförderung könnte die Unterstützung von unabhängigem Onlinejournalismus sein. Aber auch das würde Geld kosten. Die Regierung folgt statt dessen dem Motto »Der Markt wird’s schon richten«. Er wird. Aber im Sinn einer weiteren Verarmung des öffentlichen Diskurses.
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