Schulterschluss gegen Intervention
Von Volker HermsdorfAnführer rivalisierender bewaffneter Gruppen haben am Donnerstag in Cité Soleil, einem der ärmsten Stadtteile von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince, einen Friedensvertrag unterzeichnet. »Wir haben damit eine neue Stufe erreicht«, erklärte der in der Gemeinde einflussreiche Pastor Jean Enock Joseph, der an der Unterzeichnung teilgenommen hatte, wie AFP am Freitag berichtete. Im Rahmen der Vereinbarung zwischen den Führern der diversen Gruppen seien die Straßensperren in der 300.000 Einwohner zählenden Barackensiedlung bereits abgebaut worden, teilte er mit.
»Die Bevölkerung ist auf die Straße gegangen, um diesen Frieden zu feiern. Nach mehr als zwei Jahren konnten die Bewohner des Viertels Nan Brooklyn unbesorgt in das benachbarte Nan Boston fahren und umgekehrt«, zitierte die Tageszeitung Le Nouvelliste den Pastor, der darauf verwies, dass diese beiden Gebiete bisher Schauplatz blutiger Zusammenstöße waren. Deshalb sei es für die dort lebenden Menschen schwierig gewesen, bestimmte Straßen zu erreichen, die Gangmitglieder, die auf alles geschossen hätten, was sich bewegte, als sichere Zufluchtsorte nutzten. »Heute haben die Bosse beschlossen, diese Schutzräume mit Bulldozern zu zerstören«, so Joseph. Er fügte jedoch hinzu, dass ein ähnlicher Waffenstillstand, der im Juli 2023 unterzeichnet worden war, einige Wochen später wieder in die Brüche ging.
Dennoch feiern die Bewohner des dichtbevölkerten Elendsviertels, das als einer der größten Slums der westlichen Hemisphäre gilt, das Abkommen zwischen dem Anführer der Bandenallianz »Viv Ansanm«, Jimmy »Barbecue« Chérizier, und seinen Rivalen Gabriel Jean-Pierre alias »Ti-Gabriel« sowie Mathias Saintil als Fortschritt. Örtlichen Medien zufolge haben die bewaffneten Gangs den Frieden allerdings auch vereinbart, um sich auf einen möglichen Einsatz der Nationalen Polizei und der nominell unter kenianischer Führung stehenden »Multinationalen Sicherheitsunterstützungsmission« (MMAS) in dem Stadtteil vorzubereiten.
In Cité Soleil weckt das traumatische Erinnerungen. Vor knapp 20 Jahren hatten UN-Soldaten dort zahlreiche Übergriffe auf die Bevölkerung verübt. Videos dokumentierten Erschießungen von Zivilisten. Bei einem Einsatz im Jahre 2007 zerstörten Panzer der UN-Truppe »baufällige Gebäude«. Dabei sollen 22.000 Schüsse abgefeuert und zahlreiche Menschen getötet worden sein.
Die linke Wochenzeitung Haïti Liberté erinnerte am Mittwoch daran, dass die Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, zwei Tage zuvor an Bord eines US-Militärflugzeugs in Haiti eingetroffen war, ohne dass die Visite von haitianischen oder US-amerikanischen Institutionen im Land angekündigt worden war. Bei ihrem »Überraschungsbesuch« kündigte Thomas-Greenfield eine umfangreiche US-Finanzierung an, darunter weitere 60 Millionen Dollar für »humanitäre Hilfe« und »eine beträchtliche Anzahl gepanzerter Fahrzeuge für die MMAS«, um »das haitianische Volk zu unterstützen und das durch die Bandengewalt und die multidimensionale Krise verursachte Leid zu lindern«. Diese »Hilfe« kommt zu früheren Zusagen von mehr als 105 Millionen Dollar hinzu.
Das Auftreten, der nicht angekündigte Besuch und die Ankündigungen der US-Diplomatin »zeigen, dass die derzeitigen haitianischen Führer nur Marionetten sind und nichts über den Verlauf der aktuellen ausländischen Mission im Land wissen. Sie sind koloniale Verwalter im Dienste des US-amerikanischen Mutterlandes«, kommentierte Haïti Liberté. Der Besuch von Thomas-Greenfield sei »sowohl inhaltlich als auch formal« nichts anderes gewesen »als eine gebührende Demonstration der Dominanz des US-Imperialismus in Haiti«.
Der Chef der im Mai ernannten Übergangsregierung des Karibikstaats, Premierminister Garry Conille, begrüßte ein Treffen mit der Abgesandten aus den USA dagegen als nützlich für die »weitere Unterstützung der Vereinigten Staaten bei der Bewältigung der großen Herausforderungen in der Übergangsphase«. Anfang Juli hatte Conille seinen Antrittsbesuch in Washington gemacht.
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