»Rechte sind außer Kraft gesetzt«
Interview: Frederic SchnattererAm Mittwoch der vergangenen Woche haben in Buenos Aires Tausende gegen das neoliberale Gesetzespaket »Ley Bases« demonstriert. Wer mobilisierte zu den Protesten?
Die Debatte und die Abstimmung über das »Ley Bases« im Senat haben enorm viele Menschen mobilisiert. Parteien, Gewerkschaften, Organisationen aus dem Kultur- und Menschenrechtsbereich, feministische Gruppen, aber auch viele nicht organisierte Menschen haben ihre Wut auf die Straße getragen. Sie haben erkannt, dass das »Ley Bases« ein Projekt ist, das die Rechte der arbeitenden Bevölkerung abschafft, den Reichen und Mächtigen nützt und unsere Gemeingüter dem internationalen Kapital ausliefern soll.
Noch während der Demonstrationen gingen Bilder von Straßenschlachten und Polizeigewalt um die Welt. Was war geschehen?
Die Demonstration verlief zunächst völlig friedlich. Dennoch dauerte es nicht lange, bis die staatlichen Einsatzkräfte die Demonstrierenden mit Tränengas, Pfefferspray, Gummigeschossen und Schlagstöcken angriffen sowie wahllos Menschen festnahmen.
Seitdem ist mehr als eine Woche vergangen. Wie viele Personen befinden sich noch in Haft?
Insgesamt wurden 33 Personen festgenommen. Zunächst sollten 23 von ihnen vor ein Gericht der Stadt Buenos Aires gestellt werden. Ihnen wurde Angriff und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen, ein relativ geringes Vergehen. Doch am Donnerstag nachmittag nahm sich das Bundesgericht Nr. 1 aller 33 Verhafteten an. Es gab dem Antrag von Staatsanwalt (Carlos, jW) Stornelli statt, der den Verhafteten vorwarf, sehr schwere Straftaten begangen zu haben: Einschüchterung der Öffentlichkeit, Anstiftung zu Straftaten, Anstiftung zur Gewalt, Rebellion und so weiter. Darauf stehen Strafen von bis zu 15 Jahren. Am Donnerstag wurden elf der Verhafteten verhört und anschließend in Hochsicherheitsgefängnisse überführt. Die übrigen 22 wurden am Freitag verhört. Am Abend entschied eine Richterin, 17 von ihnen freizulassen. Die Freilassung von 16 weiteren, die in Bundesgefängnissen inhaftiert waren, lehnte sie ab
Die Verteidiger der Inhaftierten legten dagegen Berufung ein, ebenso wie die Staatsanwaltschaft Berufung gegen die Freilassung der 17 Personen einlegte. Am Dienstag ordnete die zuständige Richterin an, dass gegen fünf der Verhafteten Anklage erhoben wird. Die anderen elf Personen, die sich noch in Haft befanden, wurden freigelassen.
Und wie geht es den Inhaftierten?
Die fünf noch inhaftierten Personen werden in Hochsicherheitsgefängnissen des Bundes festgehalten. Familien, Freunde und Menschenrechtsorganisationen kümmern sich um sie und besuchen sie regelmäßig.
Präsident Javier Milei und seine Sicherheitsministerin Patricia Bullrich haben die Demonstranten von vornherein als »Terroristen« gebrandmarkt und damit zur Zielscheibe von Angriffen gemacht. Wie wirkt sich das auf die Anklage auf?
Der zuständige Staatsanwalt Stornelli hat die Vorgaben von Milei und Bullrich mit seiner Anklage buchstabengetreu umgesetzt. Allerdings fand die zuständige Richterin nur bei fünf der Angeklagten Anhaltspunkte dafür, dass sie den Straftatbestand »Angriff auf die Staatsgewalt« begangen haben könnten. Darunter fällt beispielsweise das Schlagen eines Polizisten oder ein Steinwurf auf ein Polizeiauto. Nur bei der einzigen weiblichen Verhafteten sieht die Richterin Anhaltspunkte für Brandstiftung und schwere Sachbeschädigung.
Die Regierung Milei ist seit etwas mehr als einem halben Jahr im Amt. Wie hat sich der Umgang mit Protesten in dieser Zeit verändert?
Seit dem Amtsantritt von Milei ist die Repression so stark eskaliert wie seit dem Ende der Diktatur vor 40 Jahren nicht mehr. Die aktuelle Situation gleicht einem Ausnahmezustand: Rechte und Garantien sind außer Kraft gesetzt. Die staatliche Repression hat Ausmaße angenommen, die wir nicht für möglich gehalten hätten: Von Folter und Todesfällen in Haft, der Kriminalisierung von Protesten, der Schikane gegen besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen bis hin zu außergerichtlichen Hinrichtungen ist alles dabei.
María del Carmen Verdú ist Anwältin und aktiv im Antirepressionsnetzwerk Correpi
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