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Aus: Ausgabe vom 26.04.2024, Seite 12 / Thema
Wie weiter mit der Linkspartei?

Zurück zu den Wurzeln

Die Linkspartei muss wieder eine Friedenskraft werden – mit erkennbar sozialistischem Profil. Die Spaltung durch das BSW hat dabei nicht geholfen, nur geschadet
Von Thomas Hecker
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Eine deutliche Botschaft, die sich viele in der Linkspartei vor allem von seiten des Parteivorstandes wünschen – Ostermarsch in Nürnberg (1.4.2024)

Wir dokumentieren im Folgenden den stark gekürzten Bericht des Bundessprechers der Kommunistischen Plattform innerhalb der Partei Die Linke, Thomas Hecker, den dieser anlässlich der 1. Tagung der 22. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform am 20. April 2024 gehalten hat. (jW)

Liebe Genossinnen und Genossen, am 19. Januar 2024 erklärte der SPD-Kriegsminister Boris Pistorius im Gespräch mit dem Tagesspiegel, da ein russischer Angriff auf ein NATO-Land, etwa auf »unsere Freunde im Baltikum«, in »einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren« möglich sei, gelte es, »wieder mit der Gefahr leben« zu lernen und sich vorzubereiten – »militärisch, gesellschaftlich und beim Zivilschutz«. Und schon ist der neue »Operationsplan Deutschland« in Arbeit. Ein sogenannter Verteidigungsplan für einen möglichen Krieg mit detaillierten Vorgaben für militärische und zivile Stellen. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, setzte der laufenden psychologischen Kriegsvorbereitung die vorläufige Krone auf, indem sie in einem Tagesspiegel-Interview vom 12. Februar 2024 mitteilte, sie rechnete mit baldigen Debatten über Atombomben für die EU. Ihre Ausführungen ließen nicht den Schluss zu, sie selbst könnte zu den Gegnern dieses Wahnsinns gehören. Und im Übrigen: Auch von der AfD, die sich als so friedliebend inszeniert, hört man nichts gegen deutsche Atomwaffen.

Vor der Abreise zur Ukraine-Unterstützerkonferenz im Paris am 26. Februar dieses Jahres warnte der Ministerpräsident Robert Fico des NATO-Landes Slowakei vor einer »gefährlichen Eskalation der Spannungen« mit Russland. Die Tagesordnung der Konferenz lasse einem »einen Angstschauer über den Rücken laufen«, so Fico.¹ So geht es jedem, der die Welt mit wachen Augen beobachtet. Da eilt der Bundeskanzler zum ersten Spatenstich für eine neue Rheinmetall-Munitionsfabrik. Der Aktienkurs dieser Mordwaffenfabrik an der Frankfurter Börse betrug am 15. Oktober 2014 34,81 Euro und am 3. April 2024 536,40 Euro. Eine Kurssteigerung auf mehr als das Fünfzehnfache in weniger als zehn Jahren.

Die Zeichen stehen auf Krieg

Um die Bundeswehr – wie Pistorius es bezeichnet – »kriegstüchtig« zu machen, sind 85,5 Milliarden Euro im Verteidigungsetat 2024 eingeplant. Das ist der höchste Wehretat aller Zeiten. CDU-MdB Roderich Kiesewetter meint sogar, es sei ja völlig klar, »dass wir eher 300 Milliarden statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird«.² Die deutschen Militärausgaben haben sich seit 2015 fast verdoppelt. Und da sind die als Bundeswehr-Sondervermögen bezeichneten Kriegskredite nicht mal eingerechnet.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl mahnt Ideen und Konzepte zum Thema Wehrpflicht an. Die Zivilklausel an den Universitäten soll abgeschafft werden. Der Deutsche Städte- und Gemeindetag sorgt sich, dass im Falle eines Krieges die Bunker nicht ausreichen würden. In der ZDF-Kindernachrichtensendung »Logo« wird auf »kindgemäße« Weise für »Taurus«-Lieferungen in die Ukraine geworben. Und der Luftwaffenchef Ingo Gerhartz sagt in einem skandalösen Telefonat zwischen vier deutschen Generälen, das russische Medien veröffentlichten, man müsse »einfach mal probieren«, ob man an der russischen Abwehr vorbeikomme. Er hätte ebenso sagen können, man müsse einfach mal probieren, ob der Einsatz der »Taurus«-Waffe zum Dritten Weltkrieg führt.³

Jeden Tag erreichen uns beängstigende Informationen. Die Kriegsvorbereitungen laufen in erschreckendem Ausmaß und Tempo. Anlässlich des NATO-Jubiläums sprach der britische Kriegsminister von einer Vorkriegswelt und Polens Regierungschef Tusk stellte etwa gleichzeitig in einem Interview fest, Europa müsse sich daran gewöhnen, dass eine neue Ära begonnen habe, die Vorkriegszeit. Der Krieg sei »kein Konzept mehr aus der Vergangenheit«. Niemand stelle mehr in Frage, dass man sich gemeinsam verteidigen müsse.⁴ Soweit der Scharfmacher aus Polen. Wer der erwartete Aggressor sein würde, teilt man uns tagtäglich mit: »Der Russe« ist es. Die Realität ist eine andere: »Zum Jahreswechsel gab es weltweit 216 militärische Konflikte zwischen Staaten, politischen, religiösen und ethnischen Parteien, darunter 42, die als Kriege eingestuft waren.«⁵ Tut nichts: Der Russe ist an allem schuld. Nur der Chinese ist noch schlimmer.

Vor allem in den alten Bundesländern fällt die russophobe Manipulation bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden. Natürlich gab es einige aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimkehrende Lehrer, die den Krieg gegen die Sowjetunion geläutert ablehnten. Dennoch: In kaum einer Schule, nur selten an Universitäten, in kaum einer Partei oder gesellschaftlichen Organisation wurde seit dem Kriegsende 1945 darüber gesprochen, was die faschistischen Horden – traumatisierend bis in die Gegenwart wirkend – in der Sowjetunion anrichteten. Nicht über die 27 Millionen sowjetischen Kriegstoten, nicht über die Blockade Leningrads und die alleine dort verhungerten und erfrorenen eine Million Menschen, nicht über die weit mehr als 600 niedergebrannten Dörfer in Belorussland. In jedem einzelnen fand ein Massaker an den Dorfbewohnern statt. Nicht über die mehr als drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die einen grausamen Tod fanden. Nicht darüber, dass die Sowjetunion vertragsbrüchig am 22. Juni 1941 überfallen wurde. Mit der am 5. März 1995 eröffneten ersten Wehrmachtsaustellung wurde in den alten Bundesländern erstmalig zur Kenntnis genommen, welche monströsen Verbrechen Hitlers Armeen nicht zuletzt in der Sowjetunion begingen. Die Hetze, die daraufhin gegen diese Ausstellung entfaltet wurde, ist uns noch in Erinnerung.

Das Aufmarschgebiet des heutigen NATO-Manövers gab es schon einmal. Das alles und vieles andere mehr haben die meisten im Westen Deutschlands nie erfahren und statt dessen am sogenannten Volkstrauertag der fernab für die Heimat Gefallenen gedacht. Und in den Klassenzimmern hingen, zumindest bis 1968, Karten von Deutschland in den Grenzen von 1937. Ganz anders in der DDR. Doch auch die im Osten Deutschlands nach der Wende Geborenen wissen über die ungeheuren Verbrechen, die Millionen Deutsche in der Sowjetunion begingen, nur, wenn Eltern oder Großeltern es ihnen erzählt haben. Deshalb ist es mancherorts so leicht, Menschen einzureden, wer die Sicherheitsinteressen Russlands für legitim hält und die NATO-Osterweiterung für illegitim, sei ein Putin-Knecht oder ähnliches. Wir sagen es nicht zum ersten Mal: Der Russenhass, mit dem wir von morgens bis abends auf widerliche Weise konfrontiert werden, zeugt davon, dass die in Deutschland Herrschenden, denen jedes diesbezügliche Schuldbewusstsein fehlt, noch nicht einmal ahnen, was Reue und Demut im Kontext mit dem deutsch-faschistischen Vernichtungskrieg in der Sowjetunion erfordern würden.

Die Russen haben den Westen spätestens seit Putins Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 aufgefordert, ihre Sicherheitsinteressen zu respektieren und einen NATO-Beitritt der Ukrai­ne als rote Linie bezeichnet. Der Krieg, den Russland jetzt in der Ukraine führt, ist völkerrechtswidrig – von den Russen aber wohl begonnen mit dem Gedanken: »Nie wieder ist jetzt!« Längst schon ist ein Stellvertreterkrieg daraus geworden, täglich befeuert von modernen NATO-Waffen. Die Münchener Sicherheitskonferenz hat das erneut überdeutlich vor Augen geführt. Dabei ist anzunehmen, dass die NATO-Strategen wissen, dass Russland keinen Angriff auf die NATO plant. Sie wollen die maximale Schwächung der Russischen Föderation, um optimale Ausgangsbedingungen für die Auseinandersetzung mit dem Hauptfeind, der VR China, zu schaffen. Es geht nach wie vor um jene Strategie, die Zbi­gniew Brzeziński in seinem 1997 erschienen Buch »Die einzige Weltmacht« entwickelt hat, um die unerfüllbare strategische Absicht der USA zu realisieren, einzige Weltmacht zu bleiben. Nicht Russland gefährdet den Weltfrieden, sondern der US-Imperialismus und die ihm folgenden Vasallen, nicht zuletzt die deutsche Bundesrepublik.

NATO-Minderheit

An dieser Stelle eine Bemerkung, den friedenspolitischen Charakter der Linkspartei betreffend. Auf dem BSW-Gründungsparteitag erklärte Oskar Lafontaine, im Bundestag gebe es keine Partei mehr, die sich für gute Löhne und Renten, für Frieden und Abrüstung einsetze. Lafontaine wörtlich: »Nein, alle sind für Krieg und Militarisierung.«⁶ Hat er Recht? Ist Die Linke für Krieg und Militarisierung? Wir halten nichts von Beschönigungen. Es ist schlimm genug, dass es in unserer Partei führende Mitglieder gibt, die Waffenlieferungen in die Ukraine befürworten, so nicht wenige auf dem Netzwerktreffen der sogenannten Progressiven Linken am 24. Februar 2024. Bodo Ramelow äußerte am 25. Februar 2024 »Mir fällt kein Argument ein, mit dem wir der Ukraine die Lieferung von Waffen verweigern. Ein Staat ist überfallen worden. Dieser Staat muss sich verteidigen können. Dieser Spagat zerreißt mich innerlich. Aber damit muss ich leben.«⁷

Es ist schlimm genug, dass es Protagonisten der Partei gibt, die auf dem Augsburger Parteitag verhindern wollten, dass sich dieser für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza ausspricht. Wir nehmen denen ihre Empathie für die am 7. Oktober 2023 grausam ermordeten Jüdinnen und Juden nicht ab, wenn sie so gar kein Erbarmen mit der so entsetzlich geschundenen palästinensischen Zivilbevölkerung haben. Denn: Gegen einen sofortigen Waffenstillstand zu sein, ist erbarmungslos.

Zurück nach Europa. Es gibt Stimmungen in der Partei, dass in Anbetracht des Ukraine-Krieges unser Verhältnis zur NATO überdacht werden müsse. Das wäre der ultimative Tabubruch. Doch das ist bisher in der Partei eine Minderheit. Eine Minderheit, die es seit Mitte der 1990er Jahre gibt. Seither versuchen Regierungssozialistinnen und -sozialisten per Beschluss durchzusetzen, dass unsere Partei die BRD-Staatsräson anerkennt – also die NATO- und EU-Bündnisverpflichtungen. Das ist bis heute nicht gelungen, weil es in der PDS und später in der Linkspartei immer Genossinnen und Genossen gegeben hat, die der Mehrheitsstimmung in der Partei Öffentlichkeit verliehen und dafür sorgten, dass dieser Mehrheitsstimmung auf Parteitagen immer wieder Beschlusscharakter verliehen wurde.

Auch Sahra, Sevim, Andrej, Oskar und weiteren heutigen BSW-Mitgliedern ist es zu verdanken, dass bis heute die friedenspolitischen Grundsätze der Partei bewahrt wurden. Aber das gibt ihnen, in diesem Falle Oskar Lafontaine, nicht das Recht, unserer Partei nunmehr ihre friedenspolitische Ausrichtung abzusprechen und sie zur Kriegspartei zu erklären. Das ist – sehr zurückhaltend formuliert – unredlich. Über das Warum kann nur spekuliert werden. Ist es, weil man den Ruf, einzige Friedenspartei zu sein, unbedingt in Anspruch nehmen will? Ist es, weil die Anerkenntnis, dass die Linkspartei nach wie vor Friedenspartei ist, die Frage aufwerfen könnte, warum man nicht in der Partei um den Erhalt dieses Markenkerns weiter gekämpft hat? Seis drum. Wir jedenfalls werden in der Linkspartei darum kämpfen, dass sich die NATO-Verharmloser nicht durchsetzen. Der Kampf um den Erhalt der friedenspolitischen Grundsätze unserer Partei bleibt im Mittelpunkt unseres Wirkens und markiert zugleich das Ende der Fahnenstange.

Wolf im Schafspelz

Der BSW-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst, der es besser wissen sollte, sagte im Januar in einem Interview: »Bei der Kritik an zu wenig Sozialausgaben und Investitionen in die Wirtschaft sowie zu viel Geld in die Rüstung gebe es ›momentan nur eine Partei, die da ab und zu auch mal was Richtiges sagt, das ist die AfD‹.«⁸

Das entspricht nicht den Tatsachen. Die AfD ist – es wird kaum wahrgenommen – eine NATO-Partei. Im 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm der AfD heißt es unter anderem: »Die Mitgliedschaft in der NATO entspricht den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, soweit sich die NATO auf ihre Aufgabe als Verteidigungsbündnis beschränkt. Wir setzen uns dafür ein, den europäischen Teil der atlantischen Allianz deutlich zu stärken. (…) Die AfD sieht im Bestreben, Verpflichtungen gegenüber den NATO-Bündnispartnern berechenbar zu erfüllen, eine wichtige Aufgabe deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, um auf diesem Weg mehr Gestaltungsmacht und Einfluss zu entfalten.«⁹

»Mehr Gestaltungsmacht und Einfluss … entfalten«, das will die AfD für die BRD im Rahmen der NATO. Das ist kein Contra, sondern Vormachtstreben – eine deutsche imperialistische Tradition. Wenngleich sich diese NATO-Partei heutzutage als friedensstiftend darbietet – ja förmlich verkauft –, indem sie einige Positionen zu Russland einnimmt, die manche in der Linkspartei am liebsten komplett räumen würden, ist sie alles andere als eine solche. Als Olaf Scholz am 27. Februar 2022 die »Zeitenwende« verkündete und im Bundestag über das 100 Milliarden schwere Sondervermögen für die Bundeswehr abgestimmt wurde, stimmte dem alle Fraktionen zu, mit Ausnahme der Linkspartei. Auch die AfD sagte ja. Sie ist eben nicht antimilitaristisch. Und: Sie ist schon gar nicht sozial. Sie kennt im wesentlichen nur einen Sündenbock im Kontext mit Problemen in diesem Land. Schuld an der Misere hatten bei den Hitlerfaschisten die Juden. Und heute? Heute sind es Ausländer, vor allem Asylsuchende und Flüchtlinge, denen die Schuld an allen im Lande existierenden Problemen gegeben wird.

Und die bürgerlichen Parteien, auch jene, die sich so gerne als linksliberal bezeichnen, und die konformistischen Medien rufen pseudoantifaschistische Losungen, betreiben asoziale Politik und predigen in einem Atemzug Abschiebung im großen Stil. Und sie schieben ab, und sie hetzen. Subtiler als die AfD, aber sie hetzen. Und sie diskriminieren, z. B. durch die Einführung von Bezahlkarten.

Rein formal kann die AfD auch mal etwas Richtiges sagen. Manipulativ ist es immer. Im Osten, das wissen sie, funktioniert der Russenhass bei der DDR-Generation nur sehr bedingt. Dem trägt man Rechnung, verbunden mit dem wirtschaftlich vernünftigen Argument gegen die antirussischen Wirtschaftssanktionen. Die AfD hat nichts gegen den deutschen Militarismus, dessen unerhörte Verbrechen in ihren Augen ein Fliegenschiss in der deutschen Geschichte sind. Sie hat nichts gegen monströse Rüstungsausgaben, findet sie eher noch zu niedrig. Sie hat nichts gegen Krieg, wenn es um deutsche Interessen geht. Sie hat nur damit ein Problem, wenn letztlich US-amerikanische Interessen auf deutsche Kosten bedient werden. Diese deutsch-nationale Sicht mag taktisch ein kurzzeitiger geostrategischer Vorteil sein. Für uns hier im Land sind die Faschisten der politische Hauptfeind, denn perspektivisch sind sie diejenigen, die die optimalen Bedingungen für Profitmaximierung bieten, wenn die Reste der bürgerlichen Demokratie diese nicht mehr gewährleisten können. Wer diesen Zusammenhang hierzulande ausblendet, einer toxischen Bündnisbreite willen, hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus ebenso wenig begriffen, wie diejenigen, die diesen Zusammenhang leugnen.

Die Protagonisten des Kapitals wollen aus guten Gründen eine »Kanonen-gegen-Butter«-Debatte unbedingt vermeiden. Deshalb müssen wir diese gerade führen. Unsere Partei muss den Zusammenhang von Kriegsvorbereitungen und sozialen Verwerfungen offensiv und hörbar entlarven. Sie muss den Denunziationen trotzen, sie missachte deutsche Sicherheitsinteressen, wenn sie sich gegen den Rüstungswahn und Waffenlieferungen stellt. Und sie muss den Mut aufbringen, zu sagen, dass entgegen der die Tatsachen verzerrenden Propaganda trotz völkerrechtswidrigem Ukraine-Krieg nichts dafür spricht, dass die Russische Föderation NATO-Länder überfallen will. Vielmehr benötigen die NATO-Länder die »Erzählung« über den »aggressiven Russen«, um dem Militarismus als Normalzustand Geltung zu verschaffen.

Ob der deutsche Militarismus wieder vollends die Oberhand gewinnen wird – wie bereits zweimal in der Geschichte – oder ob dies noch gestoppt werden kann, das wird maßgeblich von der deutschen Linken und der Friedensbewegung abhängen. Denn niemand sonst wird über die benannten Zusammenhänge aufklären. Und die entsprechenden Kapitalfraktionen werden alles unternehmen, um ihr verhängnisvolles Agieren in Richtung Kriegstüchtigkeit und Beherrschbarkeit der damit untrennbar verbundenen sozialen Verwerfungen zu gewährleisten. Gesellschaftlich bedeutet dies die Forcierung der Faschisierungstendenzen.

Yanis Varoufakis hat hierzu besonders treffende Bemerkungen gemacht. »Seine größte Angst … sei der aufkommende Faschismus in Europa. Die ›Komödie der Irrungen‹ werde heutzutage von führenden Politikern weiterbetrieben, die Unzufriedenheit der Massen wachse. Für Faschisten eine wahre Goldgrube: Rassismus, Antisemitismus – und die herrschende Politik mache weiter wie gehabt.«¹⁰

In der Partei kämpfen

Nun etwas in eigener Sache. Die KPF hat sich im Kontext mit den sich abzeichnenden Spaltungstendenzen in den vergangenen Jahren stets ohne Wenn und Aber für die Einheit der Partei eingesetzt. Somit war immer klar, dass die KPF als Struktur im Falle einer Spaltung in der Linkspartei verbleiben wird. Der Grund dafür war nicht, dass wir davon ausgehen mussten, dass man uns in einer neuen Struktur mindestens genau so wenig haben möchte, wie so mancher Funktionär uns in der Linken nicht gerne sieht.

Weder Sahra, noch Sevim, noch andere Protagonisten des BSW haben irgendwann auch nur den leisesten Versuch unternommen, mit uns über ihre Absichten zu reden und uns nach unserer Meinung zu fragen. Das hat in Anbetracht dessen, dass Sahra von 1990 bis 2010 in den Medien als die Vordenkerin der KPF galt und ohne unsere Solidarität die ersten Jahre in der PDS politisch wohl kaum überlebt hätte, schon ein gewisses Geschmäckle. Um jedes Missverständnis auszuschließen: Kein Gespräch hätte uns überzeugen können, uns an einer Parteispaltung zu beteiligen. Es ist unsere Überzeugung, dass es, zumindest in nichtrevolutionären Zeiten, zweckmäßiger ist, innerhalb existierender Strukturen zu kämpfen, als diese zu spalten. Und es ist der Ausdruck unserer Achtung vor Zehntausenden ehrlichen Parteimitgliedern, mit denen wir uns als Kommunistinnen und Kommunisten in der Linkspartei fest verbunden fühlen.

So klar es für uns war, dass wir uns an einer Parteispaltung nicht beteiligen werden, so klar war uns auch, dass wir Genossinnen und Genossen an die Partei BSW verlieren werden, wenn deren Gründung feststeht. Deshalb haben wir zwei Wochen vor dem BSW-Gründungsparteitag im Bundeskoordinierungsrat beschlossen, nicht auf irgendeinen Stichtag zu warten, der uns seitens der Landesvorstände verpflichtet, unsere Mitgliederlisten zu überprüfen, sondern das sofort aus eigenem Antrieb zu tun. Wir müssen wissen, wie unsere reale Mitgliedersituation unter den neuen Bedingungen beschaffen ist.

Welche Grundtendenzen haben sich herausgestellt? Insgesamt hat die KPF seit dem 31. Dezember 2022 etwa 26 Prozent ihrer Parteimitglieder verloren, davon maximal ein Zehntel durch Versterben. Von den Ausgetretenen und den wegen Beitragsverweigerung Gestrichenen ist nur ein sehr kleiner Teil 2021 und zu Beginn 2022 ausgetreten. Wir hatten also bis dahin kaum Mitgliederverluste aus politischen Gründen. Das änderte sich bereits Ende 2022 und Anfang 2023 und ist mit Sicherheit nicht vom unverantwortlichen Verhalten des Parteivorstandes im Zusammenhang mit der maßgeblich von Sahra initiierten Friedenskundgebung am 25. Februar 2023 zu trennen. Wir waren bekanntlich seit langem der Auffassung, dass Spaltungstendenzen in hohem Maße von den NATO-Verharmlosern in unserer Partei ausgehen. Allerdings – die Position des BSW, man müsse diese in ein Defensivbündnis umwandeln, zeugt auch nicht gerade von einer realistischen Einschätzung dieses aggressiven Paktes. Das nur am Rande.

Die Masse der Austritte konzentrierte sich auf das vierte Quartal 2023, nachdem endgültig klar wurde, dass es eine Parteineugründung unter Sahras Leitung geben würde. Spätestens ab diesem Zeitraum wurde auch gezielt abgeworben. Am deutlichsten zeigt sich das in Rheinland-Pfalz. Dort trat nicht nur der ehemalige KPF-Landessprecher, gleichzeitig Mitglied des Bundeskoordinierungsrates, aus der Linken aus und in das BSW ein; er brachte als »Geschenk« auch die Austritte von etwa der Hälfte der KPF-Mitglieder seines Bundeslandes mit zum BSW-Gründungsparteitag.

Sahra und führende Genossinnen und Genossen, die mit ihr gingen, müssen es mit ihrem Gewissen ausmachen, nicht nur die Bundestagsfraktion der Linkspartei gespalten und damit auf den Gruppenstatus zurückgeworfen zu haben, sondern auch Kommunalparlamente im Osten wie im Westen durch Spaltung in ihrer Arbeitsfähigkeit teils massiv eingeschränkt zu haben. Die Prozesse, die sich in der KPF vollzogen haben, betreffen wohl auch andere linke Zusammenschlüsse. Statt die dringend erforderlichen innerparteilichen Auseinandersetzungen zu führen, ist den NATO-Verharmlosern der Weg glatter gemacht worden.

Notwendige Korrekturen

Wie sich unser weiteres Verhältnis zur Partei Die Linke gestalten wird, wird wesentlich von den bevorstehenden Entwicklungen abhängen. Wir wollen nicht mit einer Partei in den Abgrund gehen, weil deren führende Genossinnen und Genossen keine Nachdenklichkeit kennen und daher nicht lernfähig sind. Wir wollen eine Kurskorrektur, die bewirkt, dass unsere Schwerpunkte wieder klar erkennbar sind: Friedenspartei ohne NATO-Verharmlosung, Klassenpartei ohne maßlos übertriebene Identitätspolitik, Umweltpartei, ohne elitär auf den sozialen Preis zu pfeifen, antifaschistische Partei, die über Kapitalismus reden will, und sozialistische Partei, weil sie die auf diese Schwerpunkte orientierte antikapitalistische Politik konsequent betreibt. Wir wollen einen Vorstand, der die Partei widerspiegelt sowie zusammenführt, und in dem nicht eine Gruppierung übermächtig die politische Linie bestimmt. Wenn die Linkspartei diese Korrekturen nicht hinbekommt, so wird sie mittelfristig nicht überleben. Wir wollten keine Mitverantwortung für eine Parteispaltung übernehmen, aber wir wollen auf Dauer auch keine Mitverantwortung tragen, wenn diese Partei durch den von manchen angestrebten Verzicht, Anti-NATO-Partei und strikte Antikriegspartei zu bleiben, in den Abgrund geführt wird. Letzteres ist keine Absage an unseren Kampf in unserer Partei, sondern vielmehr die Aufforderung, diesen Kampf überall, wo wir sind, zu intensivieren.

Anmerkungen:

1 Soldaten in die Ukraine: Slowakei sieht Eskalation, jw, 27.2.2024

2 Bunker, Bomben Milliarden, jw, 14.2.2024

3 Verschweigen und ablenken, jw, 7.3.2024

4 Krieg als Konzept, nd, 5.4.2024

5 Der Ukraine-Krieg führt zu einer neuen Weltordnung, Der Freitag, 22.2.2024

6 Sahra Wagenknecht: »Wir werden keine Linke 2.0«, nd, 28.1.2024

7 Fokus Online, 26.2.2024

8 Sahra Wagenknecht: »Wir werden keine Linke 2.0«, nd, 28.1.2024

9 Grundsatzprogramm der AfD, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Stuttgart am 30.4./1.05.2016

10 Yanis Varoufakis: Der Mythos lebt, nd, 20.2.2024

Thomas Hecker ist Bundessprecher der Kommunistischen Plattform innerhalb der Partei Die Linke. Die vollständige Fassung der Rede wird im Mai-Heft der Mitteilungen der KPF veröffentlicht, Spendenempfehlung: 1,50 EUR plus Porto, zu beziehen über kpf@die-linke.de

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  • Leserbrief von Bernd Vogel aus Leipzig (29. April 2024 um 13:31 Uhr)
    In der jW vom 26. April 2024 erschien ein stark gekürzter Bericht des Bundessprechers der Kommunistischen Plattform innerhalb der Partei Die Linke mit der anspruchsvollen Überschrift »Zurück zu den Wurzeln«. Im gedruckten Text kommen die Namen von Marx und Engels nicht vor. Da fragt man sich als geneigter Beobachter, zu welchen Wurzeln man denn zurückwill. Auch von einer materialistischen Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit kann ich nichts entdecken. Eingangs wird richtigerweise auf die Militarisierung im imperialistischen Westen eingegangen, aber dabei vergessen, dass der imperialistische Angriffskrieg der Russischen Föderation dafür den Anlass geliefert hat. Wohlgemerkt den Anlass, die Ursache für Militarisierung und Krieg liegt im Wesen des Imperialismus (sowohl im westlichen als auch im östlichen). Aber die herrschenden Imperialisten brauchen auch immer einen Anlass, um die Volksmassen entsprechend beeinflussen zu können. Den Anlass hat diesmal der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine geliefert. Präsident Macron hat vorher davon gesprochen, die NATO sei hirntot. Heute ist davon nichts mehr zu bemerken. Man verweist auf den Ministerpräsidenten des NATO-Landes Slowakei, der vor einer »gefährlichen Eskalation der Spannungen« mit Russland warnt. »Russland« ist ein Begriff aus der Geographie, keine gesellschaftliche Kategorie. Es gibt aber keine gefährliche Eskalation der Spannungen mit einer Landschaft. Man sagt Russland, meint aber die Russische Föderation. Dadurch vermeidet man die Frage, welchen Charakter die politischen Spannungen mit der Russischen Föderation haben. An anderer Stelle steht: »Die Russen haben den Westen spätestens seit Putins Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz aufgefordert, (…).« Auch hier wieder sprachlicher Wirrwarr, der gedanklichen Wirrwarr vermuten lässt. »Die Russen« ist die Bezeichnung einer Ethnie, aber es waren vermutlich nicht alle Russen in München anwesend. Mit etwas Bosheit könnte man sagen, dass hier eine völkische Kategorie anstelle einer gesellschaftlichen Kategorie genutzt wird, was natürlich den Weg einer Analyse zurück zu den Wurzeln versperrt. In den bürgerlichen Medien wird oft von Putins Angriffskrieg gesprochen. Ein schönes Beispiel für ein idealistisches Geschichtsverständnis. Die Geschichte wird von großen Männern (auch wenn sie körperlich eher klein sind) gemacht. Nun herrscht Putin zwar wie ein Imperator, aber er ist in sachlicher Hinsicht nur die Charaktermaske des großrussischen Imperialismus. Es wird zu Recht der imperialistische Ideologe Zbigniew Brezeinski kritisiert, aber die eigene Darstellung bewegt sich auch auf dem Niveau imperialistischer Reflexionen. Weiter im Text: »Dabei ist anzunehmen, dass die NATO-Strategen wissen, dass Russland keinen Angriff auf die NATO plant.« Diese Aussage ist sachlich falsch. Wenn man die Staatsmedien der Russischen Föderation verfolgt, kann man täglich derartige Aufforderungen hören. Einige ganz patriotische Großrussen wollen auch mal wieder eine Fahne auf dem Reichstag hissen, diesmal aber keine rote Fahne, sondern die Trikolore der Russischen Föderation. Wer weiß, wann der Präsident auf die vielfältigen Wünsche der Werktätigen eingeht.
    Es bleibt zu hoffen, dass man bei der Suche nach den Wurzeln endlich wieder bei Marx und Engels ankommt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Peter S. aus Berlin (26. April 2024 um 10:34 Uhr)
    »Die Spaltung durch das BSW hat dabei nicht geholfen, nur geschadet« Schon dieser Satz hat mir offenbart, daß auch in der KPF leider keine tiefschürfende Analyse der innerparteilichen Spaltung erfolgt ist, auch noch bestätigt durch einige verschwommene Formulierungen zum Ende des Beitrags (oder traut er sich nicht, Roß und Reiter zu nennen). Es war schließlich nicht Wagenknecht, die in der Fraktion und im Parteivorstand gemobbt hat. Daß ihr Rücktritt von der Fraktionsführung aus gesundheitlichen Gründen kurz vor der letzten Europawahl zum Verlust von 1/3 der Wählerstimmen innerhalb weniger Tage geführt hat, hätte den Vorstand endlich zum Nachdenken bewegen müssen: was hat es für Folgen, die beliebteste Politikerin Deutschlands wegzubeißen? Dieses Nachdenken wurde konsequent unterlassen, es löste eine Ereigniskette mit den bekannten Folgen aus. Kollektive Intelligenz stelle ich mir anders vor (so etwas ähnelt eher Herdendummheit). Auch in der KPF (oder nur im Kreis um Thomas Hecker?) hat sich offenbar immer noch nicht vollständig die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Spaltungslinie in der Partei an ganz anderer Stelle verläuft als zwischen BSW-Anhängern und den treuen Mitgliedern: nämlich zwischen einer revisionistischen, staatstragenden Führungskaste und einer immer noch in der überwältigenden Mehrheit sozialistisch und antimilitaristisch denkenden Mitgliederschaft, und vor allem daß die innerparteiliche Demokratie bei der Auflösung dieses Konflikts versagt. Die systemintegrierende Funktionsweise des derzeitigen parlamentarischen Parteiensystems ist offenbar stärker. Im letzten Absatz wurde zumindest angedeutet, daß man in dieser Richtung nachzudenken beginnt. Hoffentlich kommt es zu Schlußfolgerungen, bevor es zu spät ist! Und dann müsste es (hoffentlich!) zu einem politischen Zusammengehen von LINKE und BSW kommen, statt daß von den unterschiedlichsten Politikern der LINKE nur in den Kategorien von Konkurrenz gedacht wird.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Matthias K. aus Werder (26. April 2024 um 18:31 Uhr)
      Danke für diese Klarstellung. In Ergänzung möchte ich noch an die Spiegel-Veröffentlichung vom 18. Dezember 2010 erinnern, wonach Gysi gegenüber dem US-Botschafter Murphy die Forderung nach NATO-Abschaffung als vorgeschoben zur Ruhigstellung der »Fundis« bezeichnete. Das Dementi klang dann wenig überzeugend. Nö Leute, mein Vertrauen in diese Leute ist weg.

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