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Aus: Ausgabe vom 30.03.2024, Seite 5 / Inland
Wohnungskrise

Leerstand statt Wohnraum

Hunderttausende Quadratmeter Wohnfläche und mehrere Millionen Quadratmeter Gewerbefläche im Bundesbesitz bleiben aktuell ohne Nutzung
Von David Maiwald
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Allein in sieben BRD-Metropolen könnten Zehntausende Wohnungen durch Umwandlung von Büroflächen entstehen

Die Wohnungsbauziele der Bundesregierung rücken in immer weitere Ferne, gleichzeitig lässt sie Hunderttausende Quadratmeter Wohnfläche in Bundesbesitz leerstehen. Wie aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Linke-Politikerin Caren Lay hervorgeht, lässt die Regierung mehr als 360.000 Quadratmeter Leerstand im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zu. Die demnach mehreren Tausend Wohnungen sollen für Beamte wie etwa Bundespolizisten zur Verfügung stehen. Allein in Berlin seien aber rund 18.000 Quadratmeter eigentlich verfügbaren Wohnraums ungenutzt, berichtete die dpa am Freitag. Laut Ministerium befinden sich darunter auch Wohnungen, die zeitnah wieder vermietet würden oder aber sanierungsbedürftig sind.

Zum Leerstand des bundeseigenen Wohnraums summieren sich zusätzlich noch 2,8 Millionen Quadratmeter Leerstand im Bereich »Gewerbe und sonstige Liegenschaften«, zu denen etwa Büro- und Lagerflächen sowie Produktionsräume gezählt werden, erklärte das Ministerium. Insgesamt verfüge der Bund über mehr als sechs Millionen Quadratmeter in diesem Bereich, knapp die Hälfte ist also aktuell ungenutzt. Demnach plane der Bund bei rund 453.000 Quadratmetern den Verkauf der Objekte, für mehr als 1,8 Millionen Quadratmeter sei der Raum unter anderem wegen fehlender Planungsrechte nicht nutzbar.

Die Linke-Abgeordnete Lay gab der Bundesregierung eine Mitschuld am grassierenden Wohnungsmangel. Bundesbedienstete sorgten »auf dem überhitzten Wohnungsmarkt speziell in Berlin« für zusätzliche Konkurrenz, kritisierte Lay laut dpa. Leerstehende Wohnungen in Bundesbesitz müssten daher »sofort vergeben werden«. Dafür notwendige »oder verschleppte Sanierungen« seien »so schnell wie möglich« anzugehen und fertigzustellen. Zudem brauche es dringend den Umbau von Gewerbeimmobilien wie Büros zu Wohnraum, erklärte die langjährige Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der einstigen Linke-Bundestagsfraktion. Allein in den sieben BRD-Metropolen Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf bestehe ein Potential von mehr als 11.000 Wohnungen durch derartige Umwandlungen, rechnete die Investmentgesellschaft Jones Lang LaSalle zum Monatsbeginn vor.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte erst am Montag bei einem sogenannten Bürgerdialog in Brandenburg an der Havel den Bau ganzer Stadtteile für notwendig erklärt. Unterdessen geht etwa das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo für das laufende Jahr nur von rund 225.000 fertiggestellten Wohnungen aus. Im vergangenen Jahr waren es bereits nur rund 270.000. Zur Erinnerung: Das von Bauministerin Klara Geywitz angepeilte Bauziel waren 400.000 Wohnungen pro Jahr, 100.000 davon öffentlich gefördert. Im vergangenen Jahr hat etwa die BImA nur insgesamt 68 neue Wohnhäuser fertigstellen können. Seit die Behörde im Jahr 2020 den Neubau von 2.753 Wohnungen begonnen hat, wurden nur insgesamt 200 fertig. Bis 2027 fehlten 830.000 Wohnungen, teilte der Zentrale Immobilienausschuss Ende Februar mit. Das Verbändebündnis »Soziales Wohnen« bezifferte allein den Bedarf an Sozialwohnungen auf aktuell 910.000.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. April 2024 um 18:42 Uhr)
    Wohnungsnot 2.0: Ein Blick in den Rückspiegel der Geschichte. Als die Trümmer des Zweiten Weltkriegs noch bestanden und Deutschland seine zerbombten Straßen und verwüsteten Städte betrauerte, herrschte eine brennende Notwendigkeit: Wohnraum musste her. Mit einem Mix aus Fleiß, politischem Willen und einer Prise Optimismus wurden in den Nachkriegsjahren Wohnungen aus den Ruinen geboren. Es war eine Ära, in der die Grundbedürfnisse der Menschen unmissverständlich an erster Stelle standen. Doch schalten wir nun die Zeitmaschine vorwärts, und was sehen wir? Die Jahrzehnte sind vergangen, die Wunden des Krieges verheilt, und dennoch steht Deutschland erneut vor einem alten Bekannten: Wohnungsnot. Das ist kein Déjà-vu, das ist die Realität des 21. Jahrhunderts. Man muss sich fragen: Was ist passiert? Hat der deutsche Fleiß ein Nickerchen gemacht? Hat der politische Wille eine Pause eingelegt? Oder haben wir vergessen, wie man überhaupt baut? Die Antwort liegt irgendwo zwischen den hohen Mieten und den unbezahlbaren Quadratmetern, die sich in den Großstädten verstecken. Ja, unsere Gesellschaft ist leistungsfähiger denn je. Aber während wir uns in den digitalen Äther katapultieren und Roboter unsere Kaffeetassen füllen, scheinen wir vergessen zu haben, was wirklich wichtig ist: ein Dach über dem Kopf. Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Prioritäten neu zu ordnen. Vielleicht müssen wir aufhören, den Profit über die Menschen zu stellen und erkennen, dass eine Gesellschaft nur so stark ist wie ihr schwächster Mieter! Es ist an der Zeit, die Vergangenheit zu studieren, nicht um in ihr zu verharren, sondern um aus ihr zu lernen. Denn wenn wir nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, riskieren wir, sie zu wiederholen. Und wenn die Geschichte uns eines gelehrt hat, dann ist es, dass wir nicht noch einmal vor den Trümmern unserer eigenen Gleichgültigkeit stehen wollen.
  • Leserbrief von R.Brand (30. März 2024 um 11:18 Uhr)
    Zum Vergleich, den man auch erwähnen sollte: In Russland wurden im Vorjahr 1,4 Mio Wohnungen neu gebaut.

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