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Aus: Ausgabe vom 30.03.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Ukraine-Krieg

Nicht Russlands Element

Schwarzmeerflotte im Angriffsfokus: Einsatz von Luft- und Seedrohnen wohl unterschätzt
Von Reinhard Lauterbach
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Laut ukrainischem Militärgeheimdienst zeigt das Bild die Zerstörung des russischen Patrouillenbootes »Sergej Kotow« durch Drohnen am 5. März 2024

Anders als zu Lande und in der Luft, hat Russlands Armee zur See im Ukraine-Krieg bisher im wesentlichen eigene Verluste zu registrieren gehabt. Erst Anfang dieser Woche meldete die Ukraine, dass sie in Reparaturdocks in Sewastopol das große Landungsschiff »Jamal« und zwei weitere Einheiten schwer – nach Kiewer Darstellung »irreparabel« – beschädigt hat. Damit hat sich die Zahl der Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte, die seit Kriegsbeginn versenkt oder kampfunfähig gemacht wurden, auf 13 von 39 erhöht – ein Drittel des Bestands also, einschließlich des bereits im Frühjahr 2022 durch eine Antischiffsrakete versenkten Flaggschiffs, des Raketenkreuzers »Moskwa«.

Auf der militärpraktischen Ebene zeigt sich, dass russische Schiffe gegen Angriffe ukrainischer Luft- und Seedrohnen offenbar kaum zu schützen sind – oder, das kann man öfter in russischen Medien lesen, die Schwarzmeerflotte sich nach dem kampflosen Erfolg der Krimbesetzung von 2014 offenbar in Sicherheit gewiegt und das Zerstörungspotential vor allem der Raketen und Drohnen der Ukraine sträflich unterschätzt hat. Nicht einmal der Abzug der modernsten Schiffe der Flotte von den vorgeschobenen Basen auf der Krim hat wirklich geholfen: Mehrere Treffer erzielte die Ukraine auch gegen den Stützpunkt Noworossijsk an der russischen Südkaukasusküste.

Mit der Zielwahl hat Kiew deutlich gemacht, welche grundlegende Gefahr von der Schwarzmeerflotte erwartet wird: die Unterstützung einer amphibischen Landeoperation gegen den der Ukraine verbliebenen Teil der Schwarzmeerküste, insbesondere die Häfen von Odessa und Piwdenne (Juschny). Daher waren die für solche Einsätze bestimmten russischen Landungsschiffe bevorzugte Angriffsziele. Es ist dabei ein offenes Geheimnis, dass die erfolgreichen Angriffe ohne Waffen- und Aufklärungshilfe vor allem von seiten Großbritanniens nicht möglich gewesen sein dürften.

Aus einer Meldung der Nordmeerflotte vom Anfang dieser Woche geht indirekt hervor, dass Russlands Marine tatsächlich die von Drohnen ausgehende Gefahr bis jetzt unterschätzt hat. Eigens bekanntgegeben wurde, dass auf den drei modernen Fregatten der Flotte ein spezieller Ausbildungszyklus zur Drohnenabwehr begonnen habe. In diesem Jahr soll eine vierte Fregatte in Dienst gestellt und zur Schwarzmeerflotte abgeordnet werden; die NATO-treue Onlinezeitung The Barents Observer aus Norwegen, die viel hierüber berichtet, fragte sich sichtlich grinsend, ob Russland wohl wirklich riskieren werde, so ein funkelnagelneues Schiff den Ukrainern auf dem Silbertablett zu präsentieren.

Im übrigen haben die USA begonnen, Russlands Verteidigung auch im Nordmeer zu testen. In dieser Woche flogen US-Langstreckenbomber des Typs B-1 schon zweimal entlang der russischen Polargrenze, wurden sogar in der Luft aufgetankt. Als ein Abfangjäger in der Nähe auftauchte, suchten die US-Flugzeuge allerdings das Weite.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (30. März 2024 um 09:22 Uhr)
    Endlich wird diese Dimension des »Ukraine-Krieges« in der deutschen Presse thematisiert, wenn auch die Bemerkung: »Es ist dabei ein offenes Geheimnis, dass die erfolgreichen Angriffe ohne Waffen- und Aufklärungshilfe vor allem von seiten Großbritanniens nicht möglich gewesen sein dürften« eine starke Untertreibung darstellt. Es sind die Briten und die US-Amerikaner, die unter dem Schirm des Ukraine-Krieges einen Seekrieg gegen die RFSR entfacht haben. Vor allem mit dem Ziel, die russische Vorherrschaft im Schwarzen Meer zu beenden. Oder um es anders auszudrücken: endlich auch dieses noch verbliebene Meer ihrer Dominanz zu unterwerfen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. März 2024 um 22:48 Uhr)
    Es ist zweifellos festzustellen, dass im aktuellen Landkrieg unerwartet viele Schiffe der russischen Marine verloren gegangen sind. Ein Teil dieser Verluste ist darauf zurückzuführen, dass die marode Schwarzmeerflotte, von der ich lediglich den Schwarzmeerchor schätze, unzureichend modernisiert wurde. Während der Ära der Sowjetunion gab es auf dem Schwarzmeer keinen ernsthaften Rivalen, doch dies änderte sich mit der NATO-Osterweiterung. Trotzdem haben die Russen in diesem Kontext nicht angemessen investiert, da sie andere Prioritäten hatten. Lediglich im Bereich der atomaren U-Boote gehören sie weiterhin zur Weltspitze. Diese Tatsache haben die angloamerikanischen Seemächte erkannt und versucht, Russland vollständig vom Schwarzmeer zu verdrängen. Die Ukraine kündigte den vertraglich gesicherten Hafen Sewastopol bereits im Jahr 2010 an. Diese Kündigung war eine Reaktion Russlands auf die Annexion der Krim und die folgenden Ereignisse. Obwohl die russische Schwarzmeerflotte zweifellos ein bedauerliches Bild im Rahmen eines Landkrieges abgibt, bleibt anzumerken, dass dies den Verlauf der Kriegshandlungen keineswegs maßgeblich ändert.

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