»1999 war die Zeitenwende und nicht erst jetzt«
Interview: Karim NatourZum 25. Jahrestag des NATO-Angriffs auf die Bundesrepublik Jugoslawien sind Sie nach Serbien gereist. Was war das Ziel Ihrer Reise?
Ich war bereits letztes Jahr zum Gedenken des Kriegs hier. Es ist wichtig – als deutsche Politikerin – ein Zeichen zu setzen, dass wir diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verurteilen und nicht vergessen. Und dass wir die deutsche Mitschuld anerkennen, auch vor dem Hintergrund der Diskussion über den Krieg in der Ukraine, der völlig zu Recht als völkerrechtswidriger Krieg verurteilt wird. Über Jugoslawien und darüber, welche Verbrechen Deutschland dort begangen hat, wird nicht gesprochen: Das Kosovo, das immer Teil Serbiens war, wurde mit deutscher Hilfe gewaltsam und völkerrechtswidrig abgespalten.
Wie haben Sie die Gedenkveranstaltung erlebt?
Es war sehr eindrücklich. Das Gedenken wurde in Prokuplje abgehalten. Das war der Ort, an dem die ersten Bombardements der NATO stattfanden. Die Menschen haben die Bomben nicht vergessen. Diejenigen, die es überlebt haben, die ihre Familienmitglieder verloren haben, weigern sich, den Krieg zu vergessen und gedenken derjenigen, die für die Freiheit gekämpft haben und gestorben sind. Zehntausende Menschen säumten die Straßen.
Die deutsche Luftwaffe hatte sich damals zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges an einem bewaffneten Einsatz beteiligt. Welche Auswirkungen hatte der Krieg auf die BRD?
1999 war die Zeitenwende – und nicht erst jetzt, mit Olaf Scholz’ Rede im Februar 2022. Dass man die hiesige Bevölkerung wieder »kriegstüchtig« machen wollte, begann schon damals. Diesen Krieg gegen ein europäisches Land wollte man nicht beim Namen nennen und bezeichnete ihn statt dessen als »humanitäre Intervention«. Immerhin hat Exkanzler Gerhard Schröder später zugegeben, dass gegen das Völkerrecht verstoßen wurde. Diejenigen, die heute noch politisch aktiv sind, tun das nicht. Dass von deutschem Boden wieder ein Angriffskrieg ausging, hat die BRD nachhaltig verändert.
Welche Rolle hat Deutschland 1999 gespielt?
Ich habe damals miterlebt, wie die Propagandamaschinerie anlief. Deutschland hat in bezug auf die politische Legitimierung des Kriegs eine wesentliche Rolle gespielt: Die rot-grüne Regierung, die Propaganda von Joschka Fischer und Rudolf Scharping, die ein »zweites Auschwitz« heraufbeschworen und Lügen über angebliche Konzentrationslager verbreiteten. Serbien wurde einseitig zum Aggressor erklärt. Die Verbrechen der »Befreiungsarmee des Kosovo« UÇK waren nie Thema. Unter Willy Brandt hatte man sich völlig zu Recht »Nie wieder Krieg« auf die Fahnen geschrieben. Um den Angriff auf Jugoslawien zu rechtfertigen, musste man daher zunächst die deutsche Öffentlichkeit hinters Licht führen. Und hinterher wurde nicht über die 3.000 Toten geredet.
Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Debatte dazu in Deutschland?
Bei der aktuellen Debatte zum EU-Beitrittskandidaten Bosnien sieht man klar: Die EU und Deutschland betrachten den Balkan als ihren Hinterhof. Früher wollte man Jugoslawien zerschlagen, heute schaut man kritisch auf Serbien. Serbien passt nicht in den Plan der EU und Deutschlands, weil es politisch »zu nah« an Russland und China ist. Besonders besorgt mich, dass das Kosovo aktuell massiv aufgerüstet wird. Türkische Drohnen wurden bereits geliefert, nun wollen die USA Waffen liefern. Das geschieht, obwohl allen bewusst ist, dass man damit den ultranationalistischen Premierminister Kosovos, Albin Kurti, stärkt. Dieser unterstützt offen großalbanische Allmachtsphantasien, sogar mit Blick auf Mazedonien.
Welche Auswirkungen hat Kurtis Politik im Kosovo?
Seit dem Amtsantritt von Kurti 2021 haben Tausende Serben – im vergangenen Jahr sogar rund 13 Prozent der gesamten serbischen Bevölkerung – aufgrund eskalierender Diskriminierung und Gewalt das Kosovo verlassen. An Weihnachten wurden serbische Kinder angeschossen. Die Täter müssen keine Konsequenzen fürchten. Nicht nur Serben sind vogelfrei, auch andere Minderheiten wie Gorani, Balkantürken und Roma. Diese Situation hat auch die NATO mit ihrer Intervention von 1999 befördert.
Żaklin Nastić ist Bundestagsabgeordnete (Bündnis Sahra Wagenknecht)
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Und die im Februar 1982 entstandene »Ushtria Çlirimtare e Kosovës« (Nationale Befreiungsbewegung Kosovos – UCK), die die Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien verfolgte, wurde nach Angaben des früheren US-Army-Ministers John Whitley in einer gemeinsamen Operation der CIA und des Bundesnachrichtendienstes von der BND-Zentrale in Pullach bei München geleitet. Der BND habe der UCK u. a. bei Auswahl des militärischen Führungspersonals, der Schulung von Kampfverbänden und bei der Ausrüstung mit Kommunikationsmitteln, sehr weitgehende Unterstützung gewährt so Whitley.
Im Oktober 1998 legte ein »National Security Strategy-Report« des »United States European Command« (EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen fest, dass die US-Ziele um die »Vorherrschaft in der Weltpolitik«, vom südlichen Afrika bis nach Weißrussland und zur Ukraine reichen. Die weitere Zerschlagung Jugoslawiens war bereits beschlossene Sache und die jugoslawische Teilrepublik Montenegro als eigenständiger Staat in den Angriffsplänen vermerkt.
Die Bundesmarine beteiligte sich an der von den USA und Großbritannien aus Flugzeugträgern, Zerstörern und Fregatten bestehenden Taskforce mit dem Zerstörer Lütjens, den Fregatten Rheinland-Pfalz und Bayern und dem Flottendienstboot Oker an den maritimen Operationen. Von den Schiffen aus wurden Cruise-Missiles abgefeuert. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) informierte sich persönlich im schwäbischen Fliegerhorst Lechfeld über den Einsatz der dort zu ihren todbringenden Einätzen in Serbien aufsteigenden Tornadopiloten. 15 Jahre später räumte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder ein: Wir haben unsere Flugzeuge nach Serbien geschickt, und die haben »zusammen mit der NATO einen souveränen Staat zerbombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte«.
Das Ramboillet-Diktat der NATO, das von Serbien forderte, dem Pakt Zugang zu seinen militärischen Einrichtungen und die Errichtung von Stützpunkten zu gewähren, bezeichnete der frühere US-Außenminister Henry Kissinger »eine Provokation«, »eine Entschuldigung dafür, mit den Bombardierungen beginnen zu können«. Kein Serbe mit Verstand hätte Rambouillet akzeptieren können. Der serbische Präsident Slobodan Milošević lehnte denn seine Unterschrift unter den Vertrag, der ein Besatzungsstatut darstellte, auch ab. Darauf begann am 24. März der Überfall.