Reduktive Strategien
Von Florian NeunerSeine Stücke tragen Titel wie »im klang sein«, »ton in ton« oder »Schwebend«. Wie viele seiner Generationsgenossen wurde auch der gebürtige Berliner Ernstalbrecht Stiebler vom Serialismus Darmstädter Provenienz, insbesondere von Karlheinz Stockhausen geprägt, fand dann aber zu seiner ganz eigenen reduktiven Ästhetik, die für ihn dort beginnt, wo die Minimal Music aufhört. Mit den repetitiven Primitivismen eines Philip Glass hat Stieblers Musik nichts gemein. Geduldig baut er seine Klangräume auf, hört in Klänge hinein, umkreist sie mikrotonal. Die einsätzigen, selten länger als 20minütigen Stücke entraten jeglicher Rhetorik und gängigen Dramaturgie. Ihm geht es um die »Konzentration auf das Wenige, das wirklich bewältigt und verantwortet werden kann von einem heutigen fragilen Ego«.
Ernstalbrecht Stiebler sagt: »Ich halte reduktive Strategien für unumgänglich.« Der Reichtum des unbegrenzt verfügbaren Materials ist für ihn nur ein scheinbarer, gewissermaßen musikalische Wohlstandsverwahrlosung. Gegen das »Anything goes« setzt er seine reduktiven Verfahren als »permanente Kompositionskritik«. Stiebler machte sich also auf die Suche nach einem Neuland »jenseits aller Tabus einer alten Avantgarde« und wurde so zum Außenseiter in der Neue-Musik-Szene der BRD. Seine Position als Redakteur für Neue Musik beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main, die er von 1969 bis 1995 als Brotberuf innehatte, missbrauchte Stiebler niemals, um seine eigene Karriere als Komponist voranzutreiben. Sie erlaubte ihm allerdings, seinen Interessen zu folgen. Er gründete in Frankfurt die Konzertreihe »Forum Neue Musik« und war maßgeblich an der Durchsetzung von Komponisten wie Morton Feldman und Giacinto Scelsi in Deutschland beteiligt. Dass ihm die Musik des eigenwilligen Römers nahe ist, kann nicht verwundern. Ansonsten fand Stiebler Gleichgesinnte hauptsächlich auf der anderen Seite des Atlantiks. Peter Niklas Wilson schrieb einmal von der »Versöhnung europäischen Strukturdenkens mit der amerikanischen Offenheit für den Moment, für das Jetzt«.
Anders als viele seiner US-amerikanischen Kollegen »befreit« Ernstalbrecht Stiebler die Klänge nicht. Seine Stücke sind durchaus konstruiert, wenn sie oft auch mühelos zu fließen scheinen. Ein Stück für Bassflöte solo trägt den Titel »Zeile für Zeile«, auch »… im Klang …« für Akkordeon solo ist aus 24 strukturell analogen Zeilen gebaut. Mit dem steigenden Interesse für Komponisten wie John Cage, La Monte Young, Phill Niblock oder Terry Riley in Europa fand auch Stiebler zunehmend Beachtung. Es entstanden Orchesterwerke wie »Unisono diviso« (1999) und »De-crescendo« (2013). Meist komponiert er freilich für kleinere Besetzungen wie Streichtrio oder für Soloinstrumente. In jüngster Zeit überraschte Stiebler, der seit 2016 wieder in seiner Geburtsstadt lebt, am Klavier mit Auftritten und Aufnahmen mit dem Cellisten Tilman Kanitz als Improvisationsduo. Am Karfreitag feiert Ernstalbrecht Stiebler seinen 90. Geburtstag mit einem Konzert im Acker-Stadt-Palast in Berlin.
Geburtstagskonzert Ernstalbrecht Stiebler, Acker-Stadt-Palast, Ackerstr. 169/170, 10115 Berlin, 29. März, 17 Uhr
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