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Aus: Ausgabe vom 28.03.2024, Seite 8 / Inland
Kampf für Frieden

»Krieg ist der schlimmste Klimakiller«

Über die Kraft der Friedensbewegung und die deutsche Kriegstüchtigkeit. Ein Gespräch mit Laura von Wimmersperg
Interview: Annuschka Eckhardt
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Kriegswerkzeug: Panzerhaubitzen der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Bergen (11.10.2019)

Die Ostermarschierer werden immer älter. Kinder sollen hingegen kriegstüchtig gemacht werden. Wie möchte die Friedensbewegung dagegen vorgehen?

Nicht nur die Kinder, die ganze Gesellschaft soll kriegstüchtig gemacht werden. Dieser Forderung des Kriegsministers müssen wir uns allerorts und lautstark widersetzen, denn sie steht im Gegensatz zum Grundgesetz und Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990. Aufklärung ist die wichtigste Aufgabe der Friedensbewegung, gegen die Mainstreammedien – ein Kampf Davids gegen Goliath – aber so altmodisch es klingt, bleibt das Wort unsere wichtigste Waffe.

Die Wehrpflicht wieder einführen, Zivilklausel abschaffen, Aufrüstung ohne Ende: Alle Zeichen deuten auf Krieg. Wie kann eine Debatte um Frieden wieder in die Öffentlichkeit gebracht werden?

Gute Frage. Nur wenn Menschen sich der Gefahr bewusst sind, die uns droht, und wenn sie die Ursachen dafür erkennen. Das aber ist bei der gegenwärtigen Informationspolitik sehr schwierig. Dennoch besagen Umfragen, dass die Mehrheit der Gesellschaft Krieg ablehnt.

Große Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung beziehen keine Stellung zur Kriegsfrage, schließen gar palästinensische Personen aus ihren Gruppen aus. Was würden Sie diesen Aktivisten entgegnen?

Die wichtigste Entgegnung ist: Krieg ist der schlimmste Klimakiller. Aber ich weiß aus meiner Arbeit als Lehrerin, dass schon in den 70er- und 80er-Jahren das Waldsterben, das damals im Gespräch war, die jungen Menschen mehr beunruhigte als Atomwaffen. Warum? Vielleicht, weil die Klimaveränderung sichtbarer ist und der Schrecken des Atomkrieges die Vorstellungskraft übersteigt. Vielleicht spielt aber auch ihre Nähe zu den Grünen eine Rolle.

Auf dem Berliner Ostermarsch werden neben anderen auch ein Sprecher von der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost« und ein Redner von »Eye 4 Palestine« sprechen. Gab es im Vorfeld Anfeindungen?

Bisher nicht. Wir arbeiten seit Jahren mit palästinensischen Gruppen und auch der »Jüdischen Stimme« zusammen. Palästinensische Eltern wandten sich an uns, als kurz nach dem 7. Oktober die Schulsenatorin ein Schreiben an die Schulleitungen richtete, mit der Aufforderung, Kinder der Polizei zu melden, wenn sie trotz des Verbots für Palästina Partei ergriffen. Wir haben sie mit einem offenen Brief an die Schulsenatorin unterstützt. Wir kritisierten das Vorgehen der Behörde, weil durch diese pädagogische Bankrotterklärung eine autoritäre Situation geschaffen wird, mit der man Leute »kriegstüchtig« macht.

Warum ist es so wichtig, dass Palästina-Solidarität auch bei den diesjährigen Ostermärschen vertreten ist?

Das Thema Palästina muss auf dem Ostermarsch vorkommen: Seit 1948 Flucht, Vertreibung und dauernde Entwürdigung. Den Menschen in Gaza ist alles genommen und jetzt droht ihnen der Tod durch Verhungern. Was für Israel Vergeltung ist, hat für mich Züge von biblischer Rache. Wäre es nicht Aufgabe unserer Regierung, sich für Verhandlungen einzusetzen, anstatt Waffen zu liefern? Für mich ist das falsch verstandene Solidarität mit den Opfern des Holocaust.

TAURUS-Lieferung statt Diplomatie. Wie stehen Sie dazu?

Ich war entsetzt, als ich vor zwei Wochen die Debatte im Bundestag zur Lieferung dieser Waffen verfolgt habe, einer Waffe, die den dritten Weltkrieg auslösen könnte. Ich muss vorausschicken, dass ich mit der SPD nichts am Hut habe. Aber nach dieser Debatte dachte ich, man muss Kanzler Scholz den Rücken stärken, damit er bei seinem »Nein« zur TAURUS-Lieferung bleibt. Und ich habe Achtung vor dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich. Seinen vorsichtigen Satz, es sei Zeit, auch über Verhandlungen nachzudenken, »feige« zu nennen, finde ich empörend! Mit der Lieferung von TAURUS wird der Krieg eskalieren. Kiesewetter und Gleichgesinnte wissen das genau so gut wie wir, aber sie provozieren in verantwortungsloser Weise. Sie wurden gewählt, um Schaden von uns Wählern fernzuhalten – und tun das Gegenteil. Diese Kriegstreiber gehören vor Gericht.

Laura von Wimmersperg ist Moderatorin der Berliner Friedenskoordination (Friko)

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (31. März 2024 um 09:09 Uhr)
    Da hätten »Die Linke« oder das »Bündnis S. Wagenknecht« ein so wichtiges Thema und sie verschlafen das für die Menschheit wichtigste Zukunftsthema. Das Öko-Grün ist doch seit ewigen Zeiten nicht mehr die Farbe von Bündnis 90/Die Grünen. Es ist schon schlimm genug, dass Fridays for Future unter der Knechtschaft ihrer Sprecherin Neubauer (Grüne) dahin vegetiert, dass aber beginnend mit den Omis for Future weder die Science for Future ihre Stimme erheben, noch Carola Rackete (Die Linke), die (wozu eigentlich) ins EU-Parlament will. Geht es ihr nur um ein zukünftig bedingungsloses Grundeinkommen mit gesicherter Pension? Wo sind eigentlich jene Bündnis-90-Demokraten, die mit »Schwerter zu Pflugscharen« oder »Frieden schaffen ohne Waffen« sowie Umweltthemen der Friedens- und Ökologiebewegung besonders den Westgrünen deutlich voranschritten und ordentlich Druck machten. War es nicht Michail Gorbatschow, der am 18. April 1993 in Kyoto das Internationale Grüne Kreuz (GCI) gründete? Eine Umweltschutzorganisation, die sich für Nachhaltigkeit sowie für eine sichere Zukunft einsetzte. Nationale Organisationen entstanden in Japan, den Niederlanden, der Russischen Föderation, der Schweiz und den Vereinigten Staaten. Wir müssen fürchten, das nach einem TAURUS-Einsatz die Antwort mit taktischen Atomwaffen geringer Reichweite folgt, die sowohl die Kriegsgüterindustrie am Bodensee, als anderen Standorten (Büchel) ausschaltet. In Absprache mit den USA oder dem Wankelmütigen (bald nicht mehr) Präsidenten Macron, der wohl kaum sein Paris verglühen sehen will. Europa ist zerstritten und gespalten, wie man unschwer an unterschiedlichen Mindestlöhnen erkennen kann. Auch an Bauern, die Barrikaden gegen ukrainische Lebensmittellieferungen errichten. Wer was darf heute in Geheimverhandlungen ausgekungelt und Deutschland gehört seit der NATO-Übung Fallex (vgl. Spiegelskandal) zu den ewigen Opfern. Kann man doch auf diese Weise einen unbequemen wirtschaftlichen Konkurrenten ausschalten.

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