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Aus: Ausgabe vom 27.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Der gute Lehrer

Platt, aber erfolgreich: Der Film »Radical – Eine Klasse für sich«
Von Ronald Kohl
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Was interessiert euch? Sergio (Eugenio Derbez) versucht es mal anders

Der zwölfjährige Nico (Danilo Guardiola) ist sich nicht sicher, ob er schon jetzt endgültig ins Gangstermilieu eintauchen soll, oder vielleicht doch erst einmal die Grundschule beendet. Nacho (Manuel Cruz Vivas), der junge Boss einer Bande von Drogendealern, stellt ihn vor die Wahl: »Willst du aus Büchern lernen oder vom Leben?« Nico begeht den verhängnisvollen Fehler, sich beide Optionen offenzuhalten. Dabei sind es nicht die Bücher, die ihn derzeit noch mehr reizen als das schnelle Geld. Es ist seine Klassenkameradin Paloma (Jennifer Trejo). Und dann ist da auch noch der neue Lehrer Sergio (Eugenio Derbez).

Sergio hat sich freiwillig an die von Müllbergen gesäumte Schule versetzen lassen, die dafür bekannt ist, regelmäßig mit den schlechtesten Ergebnisse von ganz Mexiko bei dem alljährlichen Abschlusstest hervorzustechen. Die Gründe für die katastrophalen Resultate sind vielschichtig. Als Zuschauer vermuten wir zunächst, dass es hauptsächlich an dem Teddybär von Direktor liegt. Chucho (Daniel Haddad) wiegt schätzungsweise 200 Kilogramm, und er überragt beinahe die Halden hinter dem maroden Schulgebäude. Für den Job als Schulleiter qualifizieren ihn sein Glaube an die Disziplin und die Gelassenheit, mit der er alle Widrigkeiten erträgt: die inkompetente Schulbehörde und die im Nirgendwo versickernden Gelder, die ihm unter anderem für ein neues Computerkabinett zugesagt worden waren. Aus Sicht des neuen Lehrers Sergio ist Chuchos Gleichgültigkeit der absolute Verrat an den Idealen, die auch der einmal gehabt haben muss.

»Radical – Eine Klasse für sich« ist also weder radikal noch eine Klasse für sich. Es ist mal wieder die Geschichte eines engagierten Lehrers, der mit seinen unkonventionellen Methoden und seinen ambitionierten Ideen aneckt. In der DDR-Literatur endete der bekannteste fiktive Fall dieser Art, Günter Görlichs Roman »Eine Anzeige in der Zeitung«, mit dem Suizid des sozialistischen Pädagogen (die einzigen realistischen Alternativen wären Einknicken gewesen oder ein Ausreiseantrag). In Mexiko kann so ein Kampf gegen das System schon mal Erfolg haben, zumindest wenn die Schule in Matamoros steht, einer vom Drogenkrieg geplagten Stadt, direkt an der Grenze zu Texas.

Genau hier hat sich die dem Film zugrunde liegende Geschichte vor zehn Jahren zugetragen. Den engagierten Lehrer gab es also tatsächlich. Zweifelhaft ist nur, ob er sich auch wirklich mit den Behörden angelegt hat; der Anblick von Leichen ist in Matamoros den meisten Bürgern vertraut. Bekanntgeworden ist der echte Sergio denn auch nicht durch Aufbegehren. Für Aufsehen sorgte seine Methode, die Schüler entscheiden zu lassen, welche Fragen sie interessieren, und danach den Unterricht auszurichten.

Wer, so wie ich, schon einmal an einer Hauptschule unterrichtet hat, wird diesen Pfad nur mit äußerster Skepsis betreten. Auch ich wollte, genau wie der Lehrer im Film, nicht nur Wissen vermitteln. In meinem Fall sollten die Schüler die Mathematik erlernen und auch begreifen. Das haben sie dank meines didaktischen Eifers auch getan. Die wirklich große Herausforderung bestand jedoch nicht darin, sie zu motivieren, sondern damit zu leben, dass sie nach zwei Tagen schon wieder alles vergessen hatten.

Der Film geht da auf Nummer Sicher. Erst einen Tag vor dem großen landesweiten Test erscheint Sergio, der Wochen zuvor suspendiert worden war, wieder zum Dienst. Der Direktor, der längst sein Freund geworden ist, hatte ihn nur nach zähem Ringen zur Rückkehr überreden können. Überzeugt hatte Sergio die erschütternde Tatsache, dass die hochbegabte Paloma neuerdings die Schule schwänzte. Ihr junger Verehrer Nico hatte den Taschenrechner leider längst abgegeben. Er war ums Leben gekommen, als er seinen Gangsterboss mit Blei vollpumpte, um ihn daran zu hindern, Paloma Gewalt anzutun.

Interessant ist, dass der Film trotz der völlig platten Story so gut funktioniert und auch mitreißt. Was lehrt uns das? Auch konventionelle Methoden können zum Erfolg führen.

»Radical – Eine Klasse für sich«, Regie: Christopher Zalla, USA 2023, 126 Min., bereits angelaufen

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