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Aus: Ausgabe vom 04.03.2024, Seite 1 / Titel
Abhöraffäre

Russe hört mit

Bundeswehrgespräch über »TAURUS«-Einsatz in Ukraine veröffentlicht. Bundeskanzler spricht von »sehr ernster Angelegenheit«
Von Arnold Schölzel
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Unverblümt beraten Offiziere bei Telekonferenz, wie deutsche Kriegsbeteiligung verschleiert werden kann (Symbolbild)

Am Donnerstag abend begründete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einem Bürgerforum in Dresden in ungewohnter Klarheit seine Ablehnung, »TAURUS«-Marschflugkörper an Kiew zu liefern und deutsche Soldaten zu entsenden. Am Freitag veröffentlichte Russland ein internes Gespräch hochrangiger deutscher Luftwaffenoffiziere vom 19. Februar über Varianten der Kriegführung gegen russische Ziele mit Hilfe von »TAURUS«. Eine Quelle des 38minütigen Mitschnitts wurde nicht angegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am Sonnabend bei einem Besuch in Rom von einer »sehr ernsten Angelegenheit«. Er kündigte an: »Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.« Am Sonntag teilte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit, es werde wegen der Affäre zunächst keine personellen Konsequenzen geben.

Laut Bild am Sonntag prüft der Militärische Abschirmdienst (MAD), ob eines der Handys gehackt wurde oder ob die Offiziere Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten haben. Nach Informationen des Blattes wurde für die Schaltkonferenz keine geschützte Leitung benutzt, sondern das Gespräch »mit dem amerikanischen Konferenzprogramm ›Webex‹ über eine Festnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone der Soldaten abgesetzt«.

In der Konferenz erörtern vier Offiziere, darunter Luftwaffenchef Ingo Gerhartz, Einsatzszenarien für den »TAURUS« zur Vorbereitung eines Gesprächs mit Pistorius. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich sei. Eine »TAURUS«-Ausbildung ukrainischer Soldaten dauere Monate. Erörtert werden verschiedene Möglichkeiten, um eine direkte Beteiligung der Bundeswehr bei einem »TAURUS«-Einsatz zu verschleiern. So könne die Herstellerfirma die benötigten Zieldaten übermitteln oder diese per Pkw über Polen geliefert werden. Als Ziele werden die von Russland gebaute Krimbrücke sowie Munitionsdepots auf der Halbinsel diskutiert. Erwähnt wird die Anwesenheit britischer Soldaten in der Ukraine zur Hilfe beim Starten britischer und französischer Marschflugkörper. Gerhartz nennt im Vergleich zu diesen »TAURUS« ein »Super-Tool«, andere Beteiligte sprechen von einem »Alleinstellungsmerkmal« bei den Fähigkeiten der deutschen Waffe.

Die Union liest aus dem Gespräch heraus, dass eine Beteiligung deutscher Soldaten bei einem »TAURUS«-Einsatz durch die Ukraine technisch nicht zwingend erforderlich ist. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte dem Spiegel am Samstag, der Kanzler begründe seine Ablehnung von Lieferungen »möglicherweise mit einer Falschdarstellung«. Er forderte eine Regierungserklärung, ein Untersuchungsausschuss könne nicht ausgeschlossen werden. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sprach im ZDF von »Falschbehauptungen« des Kanzlers. In der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin« erklärte Kiesewetter am Sonntag: »Es verdichten sich leider Hinweise, dass offensichtlich ein russischer Teilnehmer sich in die Webex eingewählt hat und dass offensichtlich nicht auffiel, dass dort eine weitere Zuwahlnummer war.« SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief am Sonntag in einem Interview mit dpa die Union zur Mäßigung auf: »Untersuchungsausschüsse zu fordern, ist das gute Recht der Opposition«. Gleichwohl sollte man erst einmal die Ermittlungen abwarten.

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  • Leserbrief von J. Fröhlich aus Kirchseeon (7. März 2024 um 13:43 Uhr)
    Im Zuge der Abhöraffäre nennt Oberst A.D. Roderich Kiesewetter, der den Krieg nach Moskau tragen will, Olaf Scholz ein Sicherheitsrisiko. Sogar Befürwortern des TAURUS für die Ukraine scheinen solche Aussagen zu weit zu gehen. Dazu zählt die lautstarke Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die hier zur Besonnenheit auffordert. Tauchen wieder also besonnen ein in das mitgeschnittene Gespräch zwischen Ingo Gerhartz, dem Inspekteur der Luftwaffe, und drei Führungsoffizieren. Diese spielen in Gedanken Angriffe mit dem »Flugkörper« (TAURUS) auf russische Ziele durch, für eine Unterrichtung von Boris Pistorius. Dabei sollen der gute Ruf von TAURUS und Luftwaffe gewahrt und unnötige »Killkriterien« vermieden werden. So üben sich die Militärs, verschworenen Lausbuben gleich, im »Trick pullen«, damit kein »direkter Link von den Streitkräften in die Ukraine geht«, denn: »Ingo, stell dir mal vor, das kommt an die Presse!« Doch genau dahin, in die Öffentlichkeit, gehört das Besprochene! Es dient der Information von mündigen Bürgern. Stattdessen wird uns die Mitteilung der Tatsachen, dass dieses Gespräch stattgefunden hat und abgehört wurde, als russische Desinformation hingestellt. Mit der Verkehrung des Wortsinnes von Information ließe sich die Abhöraffäre instrumentalisieren, um ohne Störfeuer (besonnen) letzte Widerstände zu brechen gegen die Lieferung der TAURUS an die Ukraine. Und genau das passiert.
  • Leserbrief von Paul Vesper aus 52062 Aachen (5. März 2024 um 10:35 Uhr)
    Der Bundeskanzler hat laut posaunt, dass er, das heißt unser Land, keine TAURUS liefern werde. Vielleicht vergisst er diese Aussage, oder die Lieferung geht über die Niederlande oder einen baltischen Staat nach Kiew. Da der Kanzler den festen Willen hat, dass die Ukraine den schon verlorenen Krieg doch noch mit deutscher Hilfe gewinnt, wird er bald liefern.
    Die abgehörten Nachrichten erstaunen umso mehr, als dass dieses strategische Denken in offiziellen höchsten Bundeswehrkreisen um das »famose Tool« (Nazi-Sprech »Wunderwaffe«, neudeutsch Game-Changer) schon weit fortgeschritten ist. Die Eskalation in Richtung deutsche Kriegsbeteiligung ist in vollem Gange (Fuck Rheinmetall).
    Und in dieser existentiellen Frage »Krieg oder Frieden« fordert die Frontfrau des BSW Sahra Wagenknecht eine Volksabstimmung über die zugegeben idiotischen Rentenpläne der Ampel, die einen langen Erklärungsvorlauf benötigen. In oder nach einem Krieg geht es ums Überleben, nicht darum, auf welcher Basis Renten zukunftsfest gemacht werden können. Wenn schon eine Volksabstimmung, dann über unsere Kriegstüchtigkeit gegen die Russische Föderation (»Wollt Ihr den totalen Krieg?«) oder über unsere Friedensbereitschaft, das Eintreten für einen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien. Das steht auf der Tagesordnung, Frau Wagenknecht!
  • Leserbrief von Wieland König aus Neustadt in Holstein (4. März 2024 um 16:29 Uhr)
    Dieses ganze Aufgeplustere im Bundeskanzleramt, bei der Bundeswehr und dem Konglomerat von »Experten und Spezialisten«, wer den nun aus welcher Leitung was abgezapft hat und ob die Herrn Kriegsspieler in bundesdeutscher Generalsmontur dieses Nachrichtensystem für ihren neuen Fall »Barbarossa« hätten nutzen dürfen, ist doch alles sekundär. Die russische elektronische Aufklärung, egal, ob militärisch oder zivil, hat endlich mal den Mantel angehoben, unter dem die neuen alten Ostlandritter den Gang nach Osten planen, exakt und im Detail. Der deutsche Mainstream ereifert sich über Randerscheinungen, unterdrückt aber bewusst den Kern der Angelegenheit. Und ob nun unser vergesslicher Bundeskanzler etwas von diesen Kriegsspielen wusste oder es über Nacht wie üblich vergessen hat oder ob der kleine Kriegsminister Pistorius seine Mannen nicht im Griff hat, er sollte ja erst noch von der Strategie überzeugt werden, das ist doch gar nicht der Skandal. Wir stehen kurz vor einem Krieg mit Russland. Und diese größenwahnsinnigen Generäle haben sich, wie in der Geschichte mehrfach, den Atlas mit den Größenverhältnissen von Russland und Deutschland nicht angesehen. Was Opa 1941 nicht geschafft hat, das versuchen jetzt die Enkel erneut. Man steckt ja unter dem großen Schirm von Opa Biden und den Pentagonstrategen. Sind die Kollegen Generäle nur größenwahnsinnig oder total kriegsbesoffen? Und die Mehrheit der lieben Deutschen rennt Tag für Tag auf die Straße und demonstriert für Menschenrechte und gegen »Rechts«, was immer das auch sein soll. Mir fällt bloß noch Heinrich Heine ein: »Denk ich an Deutschland in der Nacht …« Wieland König, Neustadt in Holstein
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (5. März 2024 um 11:08 Uhr)
      »Die russische elektronische Aufklärung, egal, ob militärisch oder zivil, hat endlich mal den Mantel angehoben, unter dem die neuen alten Ostlandritter den Gang nach Osten planen, exakt und im Detail.« Und die deutschen Mainstreammedien decken den Mantel ganz schnell wieder drüber. »Wir stehen kurz vor einem Krieg mit Russland.« So ist es. Mich bewegt seit langem der Gedanke, dass für all das niemals jemand zur Verantwortung gezogen wird. Der Kurzfilm: Deutschland rüstet mit anderen Staaten die Ukraine hoch. Diese beginnt 2014 einen Krieg, beschießt eigene Landsleute und russische Staatsbürger im Donbass. Der deutsche Mainstream verschweigt alles. Augenzeugen werden medial und beruflich verfolgt. Russland kommt am 24.02.2022 massiv militärisch dem Donbass zu Hilfe – nach acht Jahren Hilferuf von dort. Und ab da drehen die bisher schweigsamen Medien voll auf: »Rrrrrrussischer Angriffskrieg! Dann A. Baerbock gestern sinngemäß: Was wollt ihr denn? Hätten die Russen nicht brutalst angegriffen, müssten wir jetzt keine Raketen schicken. Man hämmert ein falsches Datum für einen Kriegsbeginn in die Köpfe – und fertig ist der nächste Angriffskrieg. Aus Verteidigung wird Angriff und aus Angriff Verteidigung. »Ab 4.45 wird zurückgeschossen.« Hitler dankte in einer Geheimrede 1938 deutschen Pressevertretern, dass sie maßgeblich geholfen hätten, die Deutschen kriegsreif zu machen. Doch wer wurde dann in Nürnberg von den Medienvertretern verurteilt? Auch die waren Schreibtischtäter wie Adolf Eichmann. Ja, Julius Streicher wurde zum Tode verurteilt, aber nicht nur wegen seiner gegen Juden hetzenden Wandzeitungen. Damals waren Radio und Fernsehen gerade erfunden. Heute versteckt sich die Propaganda und Lüge in viel weiter verzweigten Medien und stets unter dem Deckmantel der Demokratie. Alles ist so geschickt formuliert, dass sich später jeder dahinter verstecken kann. Genau das macht sie so unbesorgt und noch gefährlicher als Goebbels.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Hans L. aus Rangsdorf (5. März 2024 um 10:53 Uhr)
      Ja, genau den Kern getroffen. Und dennoch geht das Lügen in der Politik und in den Medien gleich weiter: Der Botschafter sei nicht einbestellt, sondern zu einem länger vereinbarten Termin erschienen. Und jeder weiß, wenn das kein Grund war, gibt es überhaupt keine mehr für eine Einbestellung.
      Hans L., Rangsdorf
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (4. März 2024 um 15:57 Uhr)
    Mein erster Gedanke war: Ja mei, ist denn heute schon Ostern!? Was für ein Ei haben denn der General (https://www.youtube.com/watch?v=vdxuEbA6-rU) und seine Mannschaft den Kriegstreibern in Deutschland da ins Nest gelegt? Was aber dabei rauskommt bzw. was die kriegsgeile Horde, aus Politikern und Journalisten, aus der Sache macht, wird uns gerade eindrucksvoll vorgeführt. Je mehr durch Enthüllungen wie diese, die offiziellen Narrative bezüglich der Ukraine infrage gestellt werden, desto größer werden das Gebrüll und die Absurdität der Argumentation der »Verantwortlichen«, um das Volk bei der Fahne zu halten. So werden Scholz und Putin kurzerhand zu Old Shatterhand und Winnetou erklärt. Voraussichtlich wird dies gelingen und nur die Angst vor der Apokalypse könnte die westlichen Eliten davon abhalten, den Konflikt weiter zu eskalieren. Zumindest konnte man sich an dem Stuck bzw. den Schnitzereien erfreuen, die sich auf dem Eingangsportal des russischen Außenministeriums befinden, durch das der deutsche Botschafter in Moskau heute gegangen ist. Das, was er sich dort hat anhören müssen, wird hoffentlich in Berlin angekommen sein.
  • Leserbrief von Uli Jeschke aus Chorin (4. März 2024 um 12:44 Uhr)
    Das die Bundeswehr ihr »Spielzeug« als »Supertool« bezeichnen und offensichtlich seit Monaten den Krieg »mitspielen« und schon mal durchexerziert haben, wie man russische Ziele mit dem TAURUS bekämpfen kann, zeigt, dass der Geist der Truppe sich seit den 50er Jahren nicht geändert hat. Da war der Frust der »verlorenen Siege« beim Exwehrmachtspersonal noch unmittelbar. Diese Einstellung ist bis heute geblieben, wenn es gegen den Russen geht, sind wir dabei! Das eigentlich Spannende ist die Bestätigung, dass offensichtlich NATO-Soldaten in großer Zahl in der Ukraine vor Ort sind und mitkriegen. Und ebenso die Bestätigung, dass die Ukrainer über alle Aufklärungsergebnisse der NATO verfügen und verfügen können. Wir (sprich die NATO-Staaten) sind also ganz offensichtlich schon Kriegspartei. Das ist ein äußerst gefährliches Balancieren am Rande eines Weltenbrandes – dem muss sofort und mit aller Macht Einhalt geboten werden!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (4. März 2024 um 11:40 Uhr)
    »Erwähnt wird die Anwesenheit britischer Soldaten in der Ukraine zur Hilfe beim Starten britischer und französischer Marschflugkörper.« Das scheint mir nicht so ganz eindeutig zu sein. In der Übersetzung von anti-spiegel.ru heißt es: »also wenn’s zum Beispiel darum geht, die Missionsplanung zu machen, ich weiß wie es die Engländer machen, die machen es ja komplett im Reachback. Die haben auch paar Leute vor Ort«. Auf bundeswehr.de wird der Begriff Reachback wie folgt erläutert: »Beim Reach-Back-Verfahren werden Einsatzfunktionen, die nicht unbedingt im Einsatzland wahrgenommen werden müssen, von Deutschland aus geleistet«. Daraus ergibt sich, dass die Briten die Zielsteuerung – trotz in der Ukraine vorhandenen Personals – von Großbritannien aus begleiten. Liest man sich die vielfach kritisierten Äußerungen von Scholz zu diesem Punkt noch mal durch, dann sind sie durchaus offen für so ein Reach-Back-Verfahren bei der Zielsteuerung. Wenn er quasi sagt, dass so ein Reach-Back-Verfahren bei der TAURUS-Steuerung für Deutschland nicht möglich sei, dann hat die jW ja schon Hinweise gegeben, warum das nicht geht: die Daten passen nicht auf einen Datenträger wie einen USB-Stick. Und auch die Offiziere diskutieren, wie man die Daten in die Ukraine transferieren kann. Das scheint nicht so ganz einfach zu sein. Letztendlich dürfte aber entscheidend sein, dass Scholz die Kontrolle über die Zielauswahl behalten möchte, wie man in der jW vom Wochenende lesen konnte. In Cherson betrieben die Ukrainer die Brückenzerstörung durch mehrfachen Beschuss, dasselbe Verfahren wird von den deutschen Offizieren für die Krim-Brücke angedacht. Was, wenn die Urainer mit diesem Verfahren auch die Atomraketenbunker in Russland knacken? Beim Beschuss des Atomkraftwerks in Energodar waren sie zurückhaltend, vielleicht weil da auch Ukrainer unter einer Atomkatastrophe zu leiden gehabt hätten. Wenn »nur« Russen leiden, wäre so eine Rücksicht vielleicht nicht zu erwarten.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (4. März 2024 um 22:25 Uhr)
      »Reach back« ist aber direkte Beteiligung an Kampfhandlungen. Das ändert sich auch nicht, wenn man, dank moderner Kommunikationsmittel, quasi im »Home Office« arbeitet. Dann ist eben dieses »Home Office« ein legitimes Ziel, streng genommen sogar der Heimatstaat, in dem es sich befindet. Das gilt für Frankreich, UK und selbstverständlich auch die BRD. Dann kann man sich auch Artikel 5 der NATO abschminken, denn man hat selbst die Büchse der Pandora aufgemacht. Allerhöchstens kann man durch Lügen versuchen, diese Fakten zu verschleiern. Und deshalb (!) ist dieser Leak so wertvoll für Russland. Die Authentizität steht außer Frage, womit man den anderen NATO-Staaten signalisiert, dass sich die Genannten nicht auf Artikel 5 berufen können, denn sie sind proaktiv aus freien Stücken in den Konflikt eingetreten und haben den ersten Schuss abgegeben. Unter der Annahme, dass alle Beteiligten rational handelnde Agenten (Spieltheorie) sind, würde also nicht der Bündnisfall eintreten, sollte Russland sich dafür entscheiden, entsprechende Ziele anzugreifen. Allerdings weiß man auch, dass wir uns längst vom Pfad des rationalen Handelns verabschiedet haben, falls wir überhaupt jemals auf ihm wandelten. Apropos Spieltheorie: »A Beautiful Mind« handelt von John Nash, der sie auf die Spitze trieb und, wie der Film zeigt, geisteskrank war (Buchtipp: »Ego: Das Spiel des Lebens«, Frank Schirrmacher). Die Annahme von Rationalität steht also auf tönernen Füßen. Dessen ist man sich in Russland wohl bewusst. Das ist jedenfalls meine Erklärung, warum man (noch) Zurückhaltung übt und versucht Eskalation, so gut es geht, zu umschiffen. Aber der Westen will das nicht begreifen und legt es als Schwäche aus, oder nutzt das sogar gezielt aus. Vielleicht versucht der Westen auch Nixons »Madman«-Theorie nachzuahmen, die explizit die eigene Rationalität verneint, vermeintlich als rationale (!) Strategie: »Kein Rationaler legt sich mit einem Irren an.« Das könnte allerdings gewaltig nach hinten losgehen.
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (6. März 2024 um 15:42 Uhr)
        Ich bin mir nicht sicher, ob »Reach back« wirklich eine direkte Beteiligung an Kampfhandlungen darstellt. Den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung hat Deutschland längst mit der Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden verlassen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags hatten 2022 ein entsprechendes Gutachten angefertigt. Auch den vor Angriffen kriegführender Staaten schützenden Status eines neutralen Landes kann Deutschland bezüglich des Ukraine-Krieges längst nicht mehr für sich reklamieren. Wo aber der Bereich der gesicherten Kriegsbeteiligung beginnt, dürfte strittig sein. Die Bundesregierung betreibt da Glücksspiel mit unserem Frieden und unserem Wohlstand, setzt alles aufs Spiel um fragwürdiger geopolitischer Gewinnchancen wegen. Dass damit vorgeblich den Ukrainern etwas Gutes getan werden soll, ist angesichts der Verachtung für völkerrechtskonformes Vorgehen bezüglich der Minsker Vereinbarungen sowie angesichts der katastrophalen Auswirkungen des Krieges eine einfach nur absurde Behauptung. Der Wert des Leaks liegt gewiss u. a. in einer scheinbaren Darstellung Deutschlands als russophob-aggressiv, auch wenn nüchtern betrachtet nur Planspiele veröffentlicht wurden, wie sie zuhauf von jedem Generalstab berufsmäßig für diverse Schubladen produziert werden und nichts mit einer politischen Aggressionsentscheidung zu tun haben. Sachlicher Aussagewert und assoziative Wahrnehmung klaffen da weit auseinander – eine Lust für einen Propagandakrieger. Beabsichtigte Wirkung: Wenn die deutsche Aggressivität ohnehin schon raus aus dem Sack ist, dann wird die Entscheidung für eine TAURUS-Lieferung leichter fallen. Wer will diese Entscheidung noch mal fördern? Zudem lässt die Bestätigung der Anwesenheit britischer Kräfte in der Ukraine die Aussage Sunaks verlogen wirken, der Einsatz der »Storm Shadow« sowie der Prozess der Zielauswahl seien Sache der Ukrainer. Auch hier: Cui bono? Nach dem Prinzip divide et impera dürften die USA am meisten profitieren.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. März 2024 um 09:32 Uhr)
    Ein Armutszeugnis! Luftwaffenoffiziere beraten über Marschflugkörper für Kiew. Das Gespräch war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt: Intern und recht offen haben deutsche Luftwaffenoffiziere in einer Schalte über theoretische Möglichkeiten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutiert. In Russland wird ein Mitschnitt veröffentlicht – ein brisanter Vorgang. Brisant ist die Veröffentlichung des Gesprächs, weil sie eine offensichtliche Sicherheitslücke entlarvt: Wie kam Russland an die Aufnahme? Es müsse geklärt werden, ob die Offiziere bei dem abgehörten Telefonat geheime Inhalte besprochen hätten, und ob für das Gespräch mit dem Konferenzdienst Webex das richtige Format gewählt worden sei, und ob, wie und warum die Webex-Sitzung über eine Bürofestnetzleitung der Bundeswehr auf die Mobiltelefone einiger Offizieren weitergeleitet worden ist.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. März 2024 um 23:12 Uhr)
      Ihre Probleme möchte ich haben, Herr Hidy. Haben sie schon mal an die Methoden von MAD, BND oder sonstiger Verfassungsschützer gedacht, die einen Köder oder Leckerbissen ausgeworfen haben? Die Frage, wem diese Sache nutzt, ist auch in diesem Fall angebracht. Wie sagte doch Herr Putin im Gespräch mit Carlson: Unsere Geheimdienste sprechen miteinander. Über die Kommunikationskanäle hat er sich nicht geäußert.
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. März 2024 um 17:33 Uhr)
        Die deutsche Bundeswehr steht leider, wie bereits bekannt, schon lange mit runtergelassener Hose da! Angesichts Ihrer ernsthaften Andeutungen zu diesem Spionagefall bleibt meine Stellungnahme unverändert: Es erscheint unwahrscheinlich, dass die deutschen Luftwaffenoffiziere die Informationen absichtlich durchsickern ließen. Die potenzielle Blamage wiegt deutlich schwerer als der vermeintliche Nutzen. Über Ihre nebulösen Andeutungen hinaus frage ich mich, welchen Vorteil Deutschland aus dieser Affäre hätte ziehen können.
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. März 2024 um 11:35 Uhr)
        Ehrlich gesagt, ich habe keine Probleme!
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (4. März 2024 um 08:17 Uhr)
    Betreffs des Inhalts des Geheimgesprächs ist die ganze Aufregung eigentlich viel Lärm um (fast) nichts. Denn was die beiden Offiziere besprachen, ist so oder so ähnlich auch in den deutschen Mainstreammedien öffentlich nachlesbar. Übrigens: Ich wusste gar nicht, dass »Bild am Sonntag« von der jW als Informationsquelle akzeptiert wird?! – Enttäuscht sein dürften jetzt alle, die gehofft hatten, auf diese Weise Sachen zu erfahren, die vor dem Volk und der Welt streng geheim gehalten werden sollen. Am meisten enttäuscht sein dürfte W. Putin, der neuerdings verbal mit seinen Atomwaffen herumfuchtelt. Was er erfuhr, verführte ihn jedenfalls nicht dazu, auf den »roten Knopf« zu drücken. Aber wenigstens den medialen Erfolg kann er sich zurechnen!
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (4. März 2024 um 21:38 Uhr)
      »Betreffs des Inhalts des Geheimgesprächs ist die ganze Aufregung eigentlich viel Lärm um (fast) nichts.« Stimmt, Herr Pfannschmidt. Wenn »unsere gute alte Luftwaffe« eine Brücke auf der Krim durch Lieferung der Daten und Waffen sprengt, ist das ja auch fast nichts im Vergleich dazu, wozu sie bei Ihrem vorigen Besuch nach 1941 auf der Krim in der Lage war. Aber ich will Sie jetzt nicht weiter von Ihrer Suche nach Nazis in der Umgebung von Putin unnötig ablenken.
    • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (4. März 2024 um 14:34 Uhr)
      Jungs! Es gibt bisher keine Informationen darüber, im Auftrag welcher Institution die hochrangigen Offiziere diskutierten. Bundeskanzler Scholz, der die Außenpolitik bestimmt, hat einer Lieferung bereits eine Absage erteilt. Ist diese eher informelle Gesprächsrunde offiziell von der Politik als Alternative angeordnet worden, oder handelte es sich um einen NATO-Alternativ-Auftrag? Wer bestimmt über das deutsche NATO-Militär – das ist hier die Frage!
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (5. März 2024 um 12:20 Uhr)
        Zunächst einmal halte ich das für ein internes Gespräch. Dazu brauchen Generäle auch keinen Befehl oder eine gesonderte Befugnis, die haben sie Kraft Dienstgrad. Es ging ja wohl genau darum, was man dem Herrn Minister antwortet, falls er »die Frage« stellt. Das sind sozusagen militärische Hausaufgaben. Ehrlich gesagt würde ich nichts anderes vom Militär erwarten. Ebenso wie ich dem russischen Militär, das ich allerdings auch für wesentlich professioneller halte, unterstelle, dass es sich auf eine große Bandbreite von Eventualitäten vorbereitet; Putin oder Schoigu fragt, wie man denn auf »TAURUS« reagieren könnte, die Schublade geht auf und von der »Lächeln und Winken«-Option bis zum Nuklearschlag liegt alles schon fein säuberlich abgeheftet drin, mit Folgenabschätzung und weiterem Vorgehen im Entscheidungsbaum. Übrigens sind die auch nicht immun gegen Abfangen, dafür existiert die MiG-31 eigentlich (!): tieffliegende Marschflugkörper (damals Tomahawk, heute eben TAURUS) abzufangen, weil sie von oben »guckt« und schnell ist. Sowas erhöht allerdings den Einsatz deutlich, weshalb das eben keine unerhebliche Eskalation wäre. So langsam kommt mir allerdings auch der Verdacht, dass der Mitschnitt sogar von einem anonymen Whistleblower innerhalb der Bundeswehr stammen könnte, dem solche Gedankenspiele zu weit gehen. Ganz weit hergeholt könnte man Scholz sogar unterstellen, dass er das hat inszenieren lassen, um das Thema »TAURUS« endgültig zu begraben, denn ab jetzt wird jede Lieferung durch Russland als direkte Beteiligung ausgelegt werden. Das ist doch sein erklärter Standpunkt, er sollte halt nur nicht wieder umfallen, wie z. B. bei den Panzern, weshalb ihm diese Nummer doch sehr zu pass kommt.
    • Leserbrief von Holm P. (4. März 2024 um 14:13 Uhr)
      Im Mainstream ist nur das zu lesen, was veröffentlicht werden soll (kann). Nicht ohne Grund wurden im ersten Schritt Veröffentlichungen bei »X« gelöscht. Die ganze Konferenz dauert über 38 Minuten und beinhaltet mehr als nachlesbar. Im übrigen unterhalten sich 4 Offiziere …
    • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (4. März 2024 um 13:56 Uhr)
      »Denn was die beiden Offiziere besprachen, ist so oder so ähnlich auch in den deutschen Mainstreammedien öffentlich nachlesbar.« Es waren vier Offiziere. Sie kennen das Gespräch gar nicht, geben hier aber Wertungen ab. »Enttäuscht sein dürften jetzt alle, die gehofft hatten, auf diese Weise Sachen zu erfahren, die vor dem Volk und der Welt streng geheim gehalten werden sollen.« Eben über die Möglichkeiten, wie man die deutsche Beteiligung an der Sprengung der Krimbrücke geheim halten könnte, drehte sich dieses Gespräch in weiten Abschnitten. Warum also setzen Sie dann hier Erfindungen in die Welt? Nichts dergleichen war bisher öffentlich nachlesbar in deutschen Mainstreammedien, auch nicht der Abdruck des Wortlautes dieser Konferenz zwischen führenden Offizieren »unserer guten alten Luftwaffe«. Was diese Offiziere taten, war verfassungswidrig und ist in Deutschland strafbar.
      • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (4. März 2024 um 17:04 Uhr)
        Herr Buttkewitz, nun gut, ich korrigiere mich, es vier waren Offiziere, die belauscht wurden. Ändert nicht viel am Sachverhalt. – Was die Möglichkeit der Sprengung der Krim-Brücke betrifft: Wenn es einen solchen Anschlag gäbe, würden die staatlichen Stellen Russlands ohnehin den Westen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen verantwortlich machen. Unabhängig von irgendwelcher Geheimhaltung. Überraschend für Russland wäre es ohnehin nicht, denn einen Anschlag auf die Kertsch-Brücke gab es bereits, soweit ich mich erinnere, am 8.10.2022. Auch damals wurde sofort anklagend auf die stets »Schuldigen« gezeigt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (3. März 2024 um 21:46 Uhr)
    jemand, der das Gespräch gehört hat empfindet diesen Artikel doch als etwas verharmlosend für den Umstand, daß die BRD soeben in einen Krieg eintritt. In wessen Interesse handeln die, wer steht hinter denen, auf wen stützen die sich?

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