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Aus: Ausgabe vom 29.02.2024, Seite 7 / Ausland
Transnistrien

Plenum gegen Blockade

International nicht anerkannte Republik Transnistrien bittet Moskau um Schutz. Beklagt wird wachsender Druck aus Moldau
Von Reinhard Lauterbach
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Protest in der Hauptstadt Transnistriens gegen die von Moldau eingeführten Zölle (Tiraspol, 24.1.2024)

In Tiraspol haben sich am Mittwoch die Abgeordneten sämtlicher Parlamente der »Pridnestrowischen Moldauischen Republik« (PMR) zu einem außerordentlichen Kongress versammelt. Offiziell soll damit gegen wachsenden ökonomischen Druck auf den im Westen eher als »Transnistrien« bekannten Quasistaat protestiert werden. Aber aus den USA kommen Warnungen, die Delegierten könnten auch gleich noch ein Referendum über den künftigen Beitritt der Republik zur Russischen Föderation beschließen. Das »Institute for the Study of War« in Washington ging so weit zu spekulieren, Wladimir Putin könne bei seiner Ansprache vor der Föderalversammlung an diesem Donnerstag einen solchen Antrag, kaum gestellt, auch gleich befürworten, noch bevor das Referendum stattgefunden hätte.

Diese Befürchtung wird im offiziellen Chişinău ausdrücklich nicht geteilt. Dort wird das Ereignis betont heruntergespielt. Auch der Moskauer Kommersant schrieb in einem Vorabbericht, es werde keinen Beschluss zum Anschluss an Russland geben. Wie die russische Nachrichtenagentur TASS berichtete, beschloss der Kongress allerdings, sich angesichts »wachsenden Drucks« aus Moldau an das russische Parlament mit der Bitte zu wenden, »Maßnahmen zum Schutz Transnistriens« und der 220.000 russischen Staatsbürger in der international nicht anerkannten Republik am Dnister zu ergreifen.

Praktischer Hintergrund des Kongresses ist, dass Moldau seit Anfang des Jahres den zollfreien Handel mit der PMR gestoppt hat und an der Grenze Zoll verlangt. Transnistrische Unternehmen beklagen dies als unfaires Handelshemmnis; es ist in der Tat die Aufkündigung einer wirtschaftlichen Grauzone, in der sich die PMR seit ihrer Unabhängigkeitserklärung 1992 einigermaßen häuslich eingerichtet hat. Sie liefert nicht nur den Großteil des in Moldau verbrauchten Stroms, weil auf ihrem Gebiet das wichtigste Kraftwerk der einstigen Moldauischen Sowjetrepublik steht – betrieben übrigens mit russischem Gas, das weder Moldau noch die PMR bezahlen. Die Leichtindustrie Transnistriens hat von dem Schwebezustand bisher insofern profitiert, als sie über Moldau auch zollfrei weiter in die EU exportieren konnte. Die Region stellt zum Beispiel Textilien und Schuhe für den EU-Markt her, sogar Polizeiuniformen für große EU-Staaten wurden aus Kostengründen in der PMR geschneidert.

Im übrigen lebt die PMR ökonomisch von geduldetem Schmuggel von Zigaretten und Schnaps sowie dem Verkauf von Benzin an moldauische Autofahrer. Umgekehrt sind bei Wahlen in Moldau PMR-Bewohner stimmberechtigt, und der Verkehr von Shuttlebussen zu den Wahllokalen ist von seiten der PMR nie verhindert worden. Über lange Jahre hat die Regierung in Chişinău dies so laufen lassen, nicht zuletzt wegen der Abhängigkeit in der Stromfrage. Auch die moldauische Bevölkerung war nach Umfragen bisher nicht bereit, eine Verschlechterung der Beziehungen zu Transnistrien mitzutragen. So gibt es für die »proeuropäische« Präsidentin Maia Sandu, die sich im Herbst zur Wiederwahl stellen muss, eigentlich keinen zwingenden Grund, jetzt den Kurs gegenüber Tiraspol zu verschärfen.

In Russland wird seit langem die EU beschuldigt, Moldau zu einem härteren Vorgehen gegen Transnistrien zu drängen. Dieser Druck hat sich offenbar mit dem Ukraine-Krieg verstärkt. In Brüssel und Washington wird befürchtet, dass dort am Dnisterufer und damit direkt an der Grenze der NATO ein russischer Außenposten entstehen könnte – sofern es Russland doch noch gelingen sollte, einen Angriff auf Odessa vorzutragen. Das ist nach jetziger Lage zwar sehr unwahrscheinlich, aber nicht prinzipiell ausgeschlossen, falls die ukrainische Front zusammenbrechen sollte. Unter anderem aus dieser Erwägung heraus hat Rumänien seit dem vergangenen Jahr begonnen, die Straßen- und Eisenbahnverbindungen nach Moldau und weiter an die ukrainische Grenze deutlich auszubauen. Russische Analytiker spekulieren, die jüngsten Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron über einen möglichen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine könnten sich genau auf das Szenario beziehen, eine russische Eroberung von Odessa auf jeden Fall verhindern zu wollen. Denn ein Verlust der Hafenstadt würde die Ukraine wirtschaftlich weitgehend lebensunfähig zurücklassen.

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