4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Donnerstag, 2. Mai 2024, Nr. 102
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 29.02.2024, Seite 1 / Titel
Krieg gegen Gaza

Tierfutter und Salzwasser

Gazastreifen: UN warnen vor sich drastisch verschärfender Hungersnot. Israel hält an völkerrechtswidriger Kriegführung fest
Von Wiebke Diehl
Menschenmassen am Strand versuchen die aus Flugzeugen geworfenen Hilfspakete zu ergattern (Gaza 27.2.2024)
Von Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Frankreich aus der Luft abgeworfene Hilfsgüter für den Gazastreifen gleiten zu Boden (27.2.2024)
Essensausgabe in der Zeltstadt von Rafah (27.2.2024)

Der Hungertod Tausender Menschen im Gazastreifen ist zur realen Gefahr geworden. Das erklärten Vertreter der Vereinten Nationen am Dienstag (Ortszeit) im UN-Sicherheitsrat. 576.000 Menschen, ein Viertel der Bevölkerung der Küstenenklave, seien »nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt«, so ein ranghoher Vertreter des UN-Nothilfeprogramms OCHA. Auch Carl Skau, stellvertretender Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (WFP), mahnte, es herrsche »die weltweit schlimmste Unterernährung bei Kindern«. Aufgrund israelischer Restriktionen und des andauernden Angriffs gegen den Gazastreifen sei man »nicht in der Lage, Menschen, die sie dringend benötigen, regelmäßig oder ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen«.

Nach Angaben des Ständigen Beobachters Palästinas, Riad Mansour, herrscht bereits eine Hungersnot. »In Schutt, Sand und Müll« suchten die Menschen nach Nahrung. Was sie fänden, sei lediglich »Tierfutter oder von Ratten verwüstete Nahrung«. Von seiten der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO wurde mitgeteilt, dass schätzungsweise 46,2 Prozent des gesamten Ackerlandes geschädigt seien und die landwirtschaftliche Infrastruktur zerstört sei. Nutztiere würden durch Luftangriffe, Wasser- und Futtermangel getötet, Gewächshäuser sowie Oliven- und Zitrusbäume vernichtet.

Dass die israelische Regierung im Gazakrieg Hunger als Waffe einsetzt, hat unter anderem die US-Organisation Human Rights Watch belegt. Hochrangige Mitglieder der Regierung, darunter Verteidigungsminister Joaw Gallant, der Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir und der damalige Energieminister und heutige Außenminister Israel Katz, kündigten im Oktober an, den im Gazastreifen lebenden Menschen Lebensmittel, Wasser und Treibstoff zu entziehen, und haben dies auch umgesetzt. Das Aushungern von Zivilisten als Mittel der Kriegführung ist laut dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ein Kriegsverbrechen. Schon vor Beginn des aktuellen Gazakriegs waren aufgrund der 16jährigen Blockade und Israels Missachtung der Vierten Genfer Konvention 80 Prozent der Bevölkerung der Küstenenklave auf humanitäre Hilfe angewiesen. Trinkwasser gab es nach Angaben der UN schon vor dem 7. Oktober nicht ausreichend.

Entgegen der einhelligen Meinung internationaler Hilfsorganisationen behauptete der Ständige Vertreter Israels, Brett Jonathan Miller, am Dienstag, wer sage, dass Israel der palästinensischen Bevölkerung humanitäre Hilfe verweigere, verbreite lediglich die Lügen der Hamas. Die Verzögerungen seien einzig und allein die Schuld der Vereinten Nationen. Auch dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegenüber hatte Israel jüngst angegeben, seinen humanitären Verpflichtungen nachzukommen.

Um von Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Frankreich aus der Luft abgeworfene Hilfsgüter war es, dem US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN zufolge, am Dienstag zu heftigen Rangeleien gekommen. Dabei war in Aufnahmen zu sehen, wie Peitschen und lange Holzstöcke von verzweifelten Männern eingesetzt wurden, die für sich und ihre Familien etwas Essbares ergattern wollten. Auch kleine Mädchen und Jungen drängten sich um die Hilfspakete. Frauen und Kinder warteten zudem in langen Schlangen, um Suppen aus Körnern und schmutzigem Wasser zu bekommen. Am Dienstag hatte UN-OCHA gewarnt, es gebe Anzeichen, dass die öffentliche Ordnung im Gazastreifen zusammenbricht.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (29. Februar 2024 um 03:27 Uhr)
    (…) Man braucht nur die Landkarte der UNO von 1947 für die Teilung Palästinas mit den Territorien zu vergleichen, welche sich Israel entgegen allen UNO Beschlüssen inzwischen angeeignet hat. Damals reichten nämlich die Territorien Israels und eines Palestinenserstaates beide (!) »from the river to the sea«. Wer diesen Satz verbietet, stellt es unter Strafe, sich auf UNO-Beschlüsse zu beziehen – ein Unding! Die Bundesregierung, welche die jetzige israelische Regierung vorbehaltlos unterstützt, fördert damit ihrerseits den Antisemitismus, wenn die israelische Regierung ihn anheizt. Anschließend zeigt sie nach der Devise »haltet den Dieb« auf andere, siehe Berlinale. Hochstehende israelische Politiker gaben zu, dass Israel selbst die Hamas förderte und finanziell ihr Sponsor war, um die reguläre palästinensische Führung zu schwächen, die eine friedliche Zweistaatenlösung im Sinne von Oslo und verliehener Friedensnobelpreise anstrebte. Jetzt wird Israel den damals unterstützten Zauberlehrling Hamas nicht los, dem es einst half, stark zu werden. Ein hypothetischer Vergleich: Man stelle sich vor, unsere Bundesregierung würde eine Terrororganisation in Luxemburg finanzieren, welche die offizielle Regierung bekämpft, die sich um ein friedliches Zusammenleben mit Deutschland bemüht. Auf einmal verübt diese Terrororganisation auch in Deutschland Anschläge. Zur Strafe nimmt sich die Regierung in Berlin anschließend das Recht heraus, Luxemburg dem Erdboden gleichzumachen und vorerst 30.000 Menschen dort zu ermorden. Den Überlebenden wird das Trinkwasser zu entzogen. Man lässt sie sich von Tiernahrung ernähren. Das würde man als Selbstverteidigungsrecht Deutschlands bezeichnen.
    • Leserbrief von Genovefa Spaun (29. Februar 2024 um 13:38 Uhr)
      Ich gebe Ihnen prinzipiell Recht, was die scheinheilige Akzeptanz der Verbrechen gegenüber unschuldigen Zivilisten unter dem zynischen Deckmantel »Selbstverteidigung« betrifft und fürchte, dass das in Zukunft als Blaupause für weitere Missachtungen von internationalen Konventionen dienen könnte. Die Frage wäre dann nämlich auch, welches »Recht auf Selbstverteidigung« hatten und haben die Palästinenser, die seit Jahren ohne Prozesse und Untersuchungen von israelischen Sicherheitskräften drangsaliert und getötet wurden? Circa 1.400 Israelis wurden bei entsetzlichen Anschlägen grausamst ermordet. Kann das aber irgendwie rechtfertigen, dafür 20mal (!) so viele, hauptsächlich Unschuldige, zu ermorden? Leider komme ich aber nicht umhin, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie bei Ihrem Bezug auf Teilungspläne aus dem Jahr 1947 vergessen haben zu erwähnen, dass diese damals von den arabischen (!) Ländern abgelehnt wurden, welche dann auch den frisch gegründeten Staat Israel angriffen und diesen Krieg verloren. Kein Mensch weiß, wie die Situation heute wäre, wenn man damals diesem Teilungsplan zugestimmt hätte und wenn, wie damals vorgesehen, Jerusalem unter Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt worden wäre. Der Umgang der israelischen Politik mit der palästinensischen Bevölkerung ist ohne Zweifel schon seit Jahrzehnten entsetzlich, ohne wenn und aber zu verurteilen und sicher für viel Leid und Hass mitverantwortlich, aber viele geschaffene Tatsachen gehen leider immer wieder letztendlich eben auch auf das Konto von arabische Proponenten, weil teilweise offene Feindseligkeit gegenüber allen Juden, Drohungen und offene Gewalt verschärfte Gangarten oftmals befeuern und den Anschein von vermeintlicher Legitimität und Unumgänglichkeit von eskalierenden Maßnahmen erzeugen, was letztendlich, wie immer, nur taktierenden Opportunisten in die Hände spielt. Und für die Fehler von ein paar Wenigen, egal auf welcher Seite, muss, wie schon seit Tausenden von Jahren, die Bevölkerung leiden und büßen.
      • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (29. Februar 2024 um 15:22 Uhr)
        » Leider komme ich aber nicht umhin, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie bei Ihrem Bezug auf Teilungspläne aus dem Jahr 1947 vergessen haben zu erwähnen, dass diese damals von den arabischen (!) Ländern abgelehnt wurden, welche dann auch den frisch gegründeten Staat Israel angriffen und diesen Krieg verloren.« Dann muss man aber auch erwähnen, dass sich sehr wohl viele Palästinenser, die man vorher nicht gefragt hatte, Land abzugeben, 1947 mit dieser Situation abgefunden hatten, obwohl sie entsprechend dem Bevölkerungsanteil bereits damals von der UN weniger Land erhielten als die Israelis. Dennoch wurden auch die einer Zweistaatenlösung aufgeschlossenen Palästinenser, die gar nicht gegen Israel gekämpft hatten, die auch künftig nicht wollten, von terroristischen Banden des späteren israelischen Ministerpräsidenten Begin massakriert und von Grund und Boden verjagt. Ich verweise auf den offenen Protestbrief von Albert Einstein und weiteren in den USA lebenden jüdischen Persönlichkeiten vom 4.12.1948 an die New York Times anlässlich des Besuches des späteren Ministerpräsidenten Begin in den USA, mit der Warnung solche im Protestschreiben wörtlich titulierten faschistischen (!!) Kräfte Israels seitens der USA nicht zu unterstützen.

Ähnliche:

  • Außenminister Palästinas: Riad Al-Maliki im Internationalen Geri...
    26.02.2024

    Besatzung vor Gericht

    IGH-Verfahren gegen Israel: Unterdrückung von Palästinensern wird verhandelt. China unterstreicht Recht auf »bewaffneten Kampf«
  • Die Einschläge rücken jede Minute näher: Im Norden von Rafah wir...
    14.02.2024

    Vertreibung im Gange

    Gazastreifen: Plan für Zeltstädte mit ägyptischer Hilfe. Südafrika reicht neuen Eilantrag zu Angriffen auf Rafah beim IGH ein. Hungerkatastrophe weitet sich aus