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Aus: Ausgabe vom 24.02.2024, Seite 6 / Ausland
Solidarität mit Palästina

Blockaden gegen General

Wien: Protest gegen Vortrag von israelischem Exgeheimdienstchef
Von Dieter Reinisch, Wien
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Sitzblockade vor dem Eingang zum »Institut für die Wissenschaften vom Menschen« (Wien, 21.2.2024)

Einen Sitzprotest propalästinensischer Aktivisten vor dem »Institut für die Wissenschaften vom Menschen« (IWM) hat die Polizei am Mittwoch abend in der österreichischen Hauptstadt Wien aufgelöst. Die Aktivisten hatten die beiden Eingänge der Forschungseinrichtung blockiert, in der eine private Veranstaltung mit Amos Yadlin stattfinden sollte. Yadlin ist ein ehemaliger Leiter des israelischen Militärgeheimdienstes Aman. Er ist General der israelischen Luftstreitkräfte und war Militärattaché in Washington. Organisatorinnen der Protestkundgebung gegen die Einladung von Yadlin betonten gegenüber jW, dass es bis 1973 zurückliegende Belege für Kriegsverbrechen gebe, an denen Yadlin beteiligt gewesen sein soll. Ein von Wikileaks veröffentlichtes Telegramm der US-Botschaft beschreibt ein Treffen zwischen Yadlin und dem US-Botschafter in Israel am 12. Juni 2007. Bei dem Treffen soll Yadlin erklärt haben, dass sein Land »froh« wäre, »wenn die Hamas den Gazastreifen übernehmen würde, weil die (israelische Armee, jW) IDF dann mit Gaza wie mit einem feindlichen Staat umgehen« könne.

Yadlin hielt in der renommierten akademischen Institution IWM den Vortrag: »Israel 2024: Kämpfe an neun Fronten«. Die Veranstaltung wurde nicht öffentlich angekündigt – nur wenige Gäste waren eingeladen. In den Tagen vor der Veranstaltung wurde die Einladung geleakt und eine Kopie an jW weitergeleitet. Bereits Mittwoch früh hatten Aktivisten das IWM mit roter Farbe beschmiert und auf dem Gehsteig vor der Einrichtung im 9. Bezirk neben der U-Bahn-Haltestelle Friedensbrücke war das Graffiti »Genocide Denier« (Genozidleugner) zu lesen.

Zum geplanten Veranstaltungsbeginn um 18 Uhr hatten die Gruppe »Students for the Palestinian Cause« und weitere Organisationen zu einem angemeldeten Protest bei der Friedensbrücke aufgerufen. Eine halbe Stunde vorher versammelten sich zusätzlich mehrere Aktivisten vor dem Institut und setzten sich vor die beiden Eingänge des Gebäudes. Nach einigen verbalen Auseinandersetzungen mit Gästen und Veranstaltern rief das IWM die Polizei. Die löste die Blockade auf, indem sie die Aktivisten einzeln von den Eingängen wegtrug. Organisiert hatte den Protest die Gruppe »Not in Our Name«. Einige Teilnehmer hielten palästinensische Flaggen und ein Transparent mit der Aufschrift »Nicht in unserem Namen« hoch. Sie riefen Parolen gegen die Einladung eines »Kriegsverbrechers«. Durch die Veranstaltung hätte sich das IWM zum Mitschuldigen am Völkermord gemacht, sagte ein Teilnehmer zu jW.

Später versammelten sich dann mehrere hundert palästina-solidarische Demonstranten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie informierten über Yadlins Karriere in der israelischen Armee und beim israelischen Geheimdienst sowie über dessen mutmaßliche Kriegsverbrechen und verurteilten sowohl das IWM für die Einladung eines »Völkermordleugners« als auch die österreichische Regierung für ihre Unterstützung der israelischen Politik. Auf Transparenten wurde zum Boykott Israels aufgerufen und ein Ende des »Völkermords« im Gazastreifen gefordert.

Das IWM ist eine führende Forschungseinrichtung in Österreich, die sich seit Jahren dezidiert politisch positioniert und zunehmend die Rolle eines transatlantischen, liberalen Thinktanks erfüllt. Offen trat sie für die Unterstützung der »Farbenrevolutionen« in Osteuropa ein und wurde unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu einer Stichwortgeberin für die NATO- und EU-Integration der Ukraine. Rektor ist der Journalist Misha Glenny, der 1989 als Korrespondent für den Guardian und die BBC in Osteuropa und Jugoslawien arbeitete. Zu den Fellows des Instituts zählen führende Transatlantiker wie Michael Sandel und Timothy Snyder.

Bisher gab es keine Stellungnahme des IWM zu den Hintergründen des Vortrags von Yadlin. Bereits in der Vergangenheit war das Institut in die Kritik geraten. So hatte es der bekennenden ukrainischen Faschistin Olena Semenjaka ein Stipendium als »Gastwissenschaftlerin« gewährt. Semenjaka sollte im Frühjahr 2021 ein halbes Jahr in Wien am IWM verbringen. Erst nach öffentlichen Protesten zog das Institut das Stipendium zurück.

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