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Aus: Ausgabe vom 23.02.2024, Seite 11 / Feuilleton
Berlinale

Spinnen, Ameisen und andere Katzen

Berlinale. Anja Salomonowitz’ Biopic »Mit einem Tiger schlafen« über die österreichische Künstlerin Maria Lassnig
Von Manfred Hermes
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Erschöpfte Malerei: Birgit Minichmayr spielt Maria Lassnig mit halbtot gestellter Mimik

Üblicherweise sind Künstler-Biopics ein Hochamt des Kitsches, weil es nur wenig Kapazität oder Bereitschaft gibt, die gedankliche Seite der Kunstproduktion im filmischen Medium erfahrbar zu machen. Anja Salomonowitz’ Film über Maria Lassnig hält sich in diesem Punkt nicht zurück. Aber sie hat es auch leichter, weil die 2014 mit 94 Jahren verstorbene österreichische Künstlerin ihren Körper zur Grundlage malerischer Ausdrucksmöglichkeiten machte, und das Bewegtbild und der menschliche Körper kommen nun einmal gut miteinander aus.

Nach einem Lassnig-Bild von 1975 »Mit einem Tiger schlafen« genannt, beginnt Salomonowitz’ Film mit einem kaum bekleideten Nacken einer nicht mehr jungen Frau in Nahaufnahme. Die Schulterblätter werden hochgezogen, dann langsam nach hinten zusammengedreht. Später sitzt die Künstlerdarstellerin immer wieder, nur mit etwas Unterwäsche bekleidet, vorgebeugt in ihrem Studio oder legt sich neben Leinwände oder auf große Papierrechtecke. Es wird in der weiteren Abfolge deutlich, was die Kunstkritikerin Roberta Smith über Lassnigs deformiert-verschrobenen Stil geschrieben hat: Sie attestierte ihr einen forschen Sinn für das Absurde und nannte ihre Palette von Rosa-, Gelb-, Blau- und Grüntönen robust und elektrisch.

Salomonowitz’ Erzählen ist skizzenhaft und fragmentarisch. In kurzen Szenen wird die bäuerlich katholisch geprägte Kindheit angetippt, die dominante Mutter, die Aufnahme an der faschistisch kontrollierten Wiener Kunstakademie mit sehr kompatiblen Zeichnungen. Auch das Verhältnis mit dem zehn Jahre jüngeren Maler Arnulf Rainer kommt vor. Vor allem aber geht es um eine künstlerische Entwicklung: Informel Anfang der 1950er Jahre, Umzug nach Paris, wo sie Anfang der 60er zur Figuration zurückkehrte, dann die Arbeit mit Film in New York, weil es auch dort nicht so leicht war wie sie dachte, als Malerin anerkannt zu werden. Ihr Kampf um Anerkennung als Frau im Kunstbereich war aber auch 1980 nicht abgeschlossen, als sie eingeladen wurde, Österreich auf der Biennale in Venedig zu vertreten – zumal sie sich den Pavillon mit Valie Exports plärrenden Videos teilen musste.

Der fragmentarische Ansatz verhindert aber jedes biografische Pingeln und verleiht dem Film sogar eine eigenartige Festigkeit, obwohl daran wahrscheinlich Birgit Minichmayrs Performance einen größeren Anteil hat; sie hält das Ganze nicht nur gut zusammen, sondern facht es auch als Spielfilm an.

Minichmayr spielt Lassnig mit halbtot gestellter Mimik, oft fast stumpfsinnig offenem Mund und als eine Frau mit sehr eigenwilligen Verhaltens- und Bewegungsweisen, die ihre Absolution nur aus der eigenen, einsamen Lebensführung erhalten. Unmerkliche Regungen zeigt sie nur, wenn es ums Malen geht oder ihr Ameisen, Spinnen oder Katzen über den Weg laufen.

Dabei wird die jugendliche ebenso wie alte Lassnig von der relativ gleichartig agierenden Minichmayr gespielt, ein großer maskenbildnerischer Aufwand wurde ebenfalls nicht betrieben. Auch wenn sie die über Neunzigjährige natürlich gebückter und müder spielt, es bleibt doch immer auch etwas gleich: Lassnig altert hier nur, um bis zum Ende jung geblieben zu sein.

Gelegentlich verlässt Salomonowitz’ Film den fiktionalen Rahmen und nimmt etwa Clips aus Lassnigs Filmexperimenten auf (die ebenfalls im »Forum«-Programm gezeigt werden) oder lässt Rafael Schwarz, einen Wiener Auktionator, an den Moment erinnern, als Lassnigs Bilder sechsstellige Preise erreichten. Einmal stellt ­Elfie Semotan ein Fotoshooting für eine Helmut-Lang-Kampagne nach, für die sie im Jahr 2000 tatsächlich die damals über Achtzigjährige gewinnen konnte. Semotan ist nicht nur Fotografin, sie war auch Martin Kippenbergers letzte Ehefrau. Und so entsteht eine weitere, diesmal unwillkürliche Rückkopplung: Kippenberger nahm in seiner »Floß der Medusa«-Serie, mit der er sich dem eigenen körperlichen Ende stellte, nicht nur Théodore Géricaults gleichnamiges Bild zur Vorlage, sondern auch Maria Lassnigs rapide, »robuste« und körperbezogene Malgestik.

»Mit einem Tiger schlafen«, Regie: Anja Salomonowitz, Österreich 2024, 107 Min., »Forum«, 25. Februar

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