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Aus: Ausgabe vom 23.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Der Preis des Monotheismus

Verschüttete Möglichkeiten: Zum Tod des Ägyptologen und Kulturwissenschaftlers Jan Assmann
Von Gerhard Hanloser
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Nicht jede Gewalt ist befreiend: Jan Assmann wusste um die Tücken politischer Theologie (2020)

Mit dem Ägyptologen Jan Assmann ist ein Forscher verstorben, dessen Lebensthemen brisant waren und der Kontroverse hervorrief – und sich zuweilen nicht scheute, sie aktiv zu suchen. Assmann hatte sich der Altertumswissenschaft verschrieben. Doch die Art und Weise, wie er diese redlich, textgenau und hermeneutisch betrieb, hatte immer etwas vibrierend Aktuelles. In seinem Werk »Exodus« von 2015 ging es um nicht weniger als die Fragen von Freiheit und Aufbruch, um einen revolutionären Volksbegriff. Assmann las die Exodus-Story aus dem Alten Testament als zur Praxis drängende, nicht Geschichte referierende, sondern sie erst konstruierende Erzählung. Den Pharao, der die Israeliten unterdrückt, habe es mit Sicherheit nie gegeben. Die Welt, auf die sich die Exodus-Erzählung bezieht, entstehe mit dem, was sich auf der Gründungserzählung aufbaue.

Die Gottesunmittelbarkeit des Volks macht das Königtum überflüssig – darin ist Exodus revolutionär. Das Volk tritt an die Stelle des Königs. Der heilige Bund zwischen Gott und Volk birgt aber so einige Tücken. Dieser scheint aus Liebe geschlossen, wer aber den Bund bricht, wie die ums Goldene Kalb Tanzenden, dem droht ein grausames Strafgericht. An Toleranz zu appellieren, die etwas bloß duldendes und relativistisches an sich hat, hat wenig Sinn. Für Assmann war jedem Monotheismus der Hang zur Gewalt eingeschrieben. Damit brach er nicht nur mit dem Ammenmärchen des »Weltethos« (Hans Küng), das alle monotheistischen Religionen in einer Nathan-Freundlichkeit weise zusammenführen will. Assmann könnte so auch eine Leerstelle auffüllen, die sich im linken Diskurs auftut, der zwischen allgemeiner Religionskritik, dekonstruktivistischem Relativismus und prinzipieller Solidarität mit der Gewalt unterdrückter Völker pendelt. Nicht jede Gewalt ist befreiend. Zuletzt die religiöse. Das wusste bereits Walter Benjamin. Mit Assmann könnte sich die antiimperialistische und postkoloniale Linke, die zuweilen keinen Begriff von Islamismus hat, über das Verhältnis vom Heiligen zur Gewalt informieren.

Der Preis des Monotheismus ist eben hoch, wie Assmann 2003 in seinem Buch »Die Mosaische Unterscheidung« festhielt. Zwar habe sich der Monotheismus aus Mythos und primären Religionsverständnissen herausgearbeitet, weise eine revolutionäre Dimension auf. Aber er beharre in neuer Form auf wahr und falsch. Als politische Theologie sei ihm die Unterscheidung in Freund und Feind, in der Zuspitzung von Prinzipien des Guten und des Bösen eingeschrieben. Erstmals formulierte Assmann dergleichen bereits in seinem Werk »Moses der Ägypter«. Das Buch löste 2000 bei einigen Rezipienten heftige Reaktionen aus. Im Kern wird die neue Religion von Moses als Gegenreligion der Ägypter beschrieben. Bereits bei Sigmund Freud erschien der Mann Moses als Anhänger Echnatons, der die Unterdrückung des Amarna-Kults nicht hinnahm. Er suchte sich ein Volk, dem er entgegen der unwissenden Beharrung der Ägypter die Wahrheit offenbaren konnte. Patrick Bahners schrieb, Assmann pflege »wie jene Freidenker, die das Fundament des christlichen Glaubens untergruben und die Fassade stehen ließen, eine Rhetorik der Andeutung«. Der FAZ-Redakteur stellte fest, dass »Assmanns Wagemut« kaum hinter »Freuds Kühnheit« zurückstehe: »Jan Assmann will die Erinnerung an verschüttete Möglichkeiten wecken. Was wäre gewesen, wenn Echnaton die Götterbilder nicht zerstört hätte? Dann wäre, so der Traum dieses gelehrten Schwärmers, Moses ein Ägypter geblieben. Nie hätte er seinem Volk geboten, es gebe nur einen Gott und nur eine Wahrheit.«

Mit der Anglistikprofessorin Aleida Assmann befand sich der Ägyptologe in einer äußerst produktiven und gleichberechtigten Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Sie stifteten Begriffe, die heutzutage aus den erinnerungspolitischen Debatten nicht wegzudenken sind. So erweiterte der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels den Begriff »Kollektives Gedächtnis« des französischen Philosophen Maurice Halbwachs und sprach vom einem »Kulturellen Gedächtnis« von Gesellschaften. Mit dem, was aus der »Erinnerungskultur«, die in den 90er Jahren entstand, in Deutschland geworden ist, zeigte sich Jan Assmann keineswegs einverstanden. Das demonstriert eine kleine kritische Kommentierung eines Beitrags des Perlentaucher-Essayisten Thierry Chervel vor dreieinhalb Jahren. Chervel ist ein propagandistisch geschulter proisraelischer Kommentator. Höflich wies Assmann ihn unter anderem darauf hin, dass es schon stimme, »dass Israel in der arabischen Welt als ›ein Staat des Westens‹ wahrgenommen wird. Der Westen ist in deren Perspektive für den Staat Israel verantwortlich: Ohne Nazideutschland, das die Juden zur Flucht nach Palästina getrieben hat, gäbe es den Staat Israel nicht und ohne die USA, die Israel zum Vorposten amerikanischer Machtansprüche im Nahen Osten ausgebaut haben, würde er nicht als schwere Bedrohung wahrgenommen. Eine kluge westliche Politik würde sich, was Deutschland betrifft, der Verantwortung sowohl für Israel als auch für die Palästinenser bewusst sein.« Er sprach sich für eine Politik der Empathie aus, schließlich gebühre das »Mitleid der Welt« allen Opfern der Gewaltgeschichte, auch wenn der Holocaust aus dieser Geschichte als ein Verbrechen sui generis herausrage. Mit dem Tod des 85jährigen Jan Assmann in Konstanz am Bodensee ist eine weitere informierte, kluge wie abwägende Stimme verstummt.

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