Ein Kommunist im Panthéon
Von Hansgeorg HermannDie sterblichen Überreste des armenischen Widerstandskämpfers Missak Manouchian und seiner Gefährtin Mélinée Manouchian sind am Mittwoch abend in Paris mit einer zweistündigen Ehrenveranstaltung in die Gedenkstätte Panthéon überführt worden. Der Poet, Journalist, Übersetzer und Kämpfer gegen die deutschen Besatzer war vor 80 Jahren, am 21. Februar 1944, auf dem Mont Valérien, zwölf Kilometer westlich der französischen Hauptstadt, von einem Erschießungskommando der deutschen Wehrmacht hingerichtet worden. Das Panthéon im Zentrum von Paris ist die »Ruhmeshalle« der Republik, sie ist laut Inschrift auf dem Eingangsfries »den großen Männern« des »dankbaren Vaterlands« gewidmet. Der Einwanderer Manouchian, dessen Eltern 1915 Opfer des türkischen Vernichtungsfeldzugs gegen die Armenier wurden, kam 1924 als Waise nach Frankreich und war zunächst von der Familie des späteren Sängers Charles Aznavour – auch sie Vertriebene aus Armenien – aufgenommen worden. 1934 trat er in die französische KP ein. Mit dem Kommunisten Manouchian und seiner Frau wurden auch die 22 Kameraden der Widerstandsgruppe »Francs-tireurs et partisans – Main-d’œuvre immigrée« (Freischärler und Partisanen – Arbeitsmigranten, FTP-MOI) geehrt, die wie ihr militärischer Leiter hingerichtet worden waren.
Manouchian und seine Gefährtin sind die ersten Immigranten ohne französische Nationalität, die im Panthéon beigesetzt wurden. Ein Grund für Fragen, die in den Tagen vor der pompösen, von Präsident Emmanuel Macron mit viel Pathos begleiteten Zeremonie in den Medien des Landes kontrovers diskutiert wurden. Seit dem 26. Januar 2024 gilt in Frankreich ein verschärftes Immigrationsgesetz, das vor allem sogenannte Illegale von der sozialen Grundversorgung – medizinische Hilfe, minimale finanzielle Unterstützung – abschneidet. Der Kommunist Manouchian sei in diesem Rahmen zu einer von der offiziellen Erinnerungspolitik vereinnahmten Figur geraten. Im heutigen Paris wäre er wahrscheinlich auch eines der vielen tausend Opfer der aktuellen französischen und europäischen Immigrationsregeln geworden.
Macrons diesbezügliche »Doppelmoral« hatte die linke Tageszeitung L'Humanité am vergangenen Freitag in einem Gespräch mit dem Staatschef thematisiert – dem ersten Interview überhaupt, welches das ehemalige Zentralorgan der französischen KP seit seiner Gründung im Jahr 1904 mit einem amtierenden Präsidenten führte. Macron hatte dabei jeden Widerspruch zwischen seiner gegenwärtigen Politik (»Frankreich hat ein Problem mit der Immigration, sie bedroht den Zusammenhalt der Nation«) und der Überführung eines vor 80 Jahren hingerichteten Einwanderers in die »Ruhmeshalle« abgestritten. Der Präsident verteidigte auch die Einladung Marine Le Pens zu der Zeremonie. Mit ihrem nationalistischen Rassemblement National (RN) kämpft Le Pen gegen jegliche Immigration aus nichteuropäischen Ländern. Sie sei – entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der Nachkommen der Familie Manouchian – als Vorsitzende ihrer Fraktion in der Nationalversammlung eingeladen worden. Am Mittwoch trat sie während der Zeremonie zusammen mit dem wegen seiner besonders rassistischen Haltung berüchtigten RN-Chef Jordan Bardelle auf.
Auch im von der faschistischen Wehrmacht besiegten und besetzten Frankreich der Weltkriegsjahre galten Manouchian und seine Gefährten der FTP-MOI als »Clandestins«, in heutiger Amtssprache »Illegale«. Eine Definition, die sich SS und Wehrmacht schon damals zunutze machten. Auf die zahlreichen Attentate der Widerstandsgruppe antworteten die Besatzer mit der sogenannten Affiche rouge, einem roten Plakat mit den Fotografien der »Terroristen«, das auf Hauswände und Mauern geklebt wurde und die Partisanen zu einer »Armée du crime«, einer »Verbrecherarmee«, abstempelte. In verschiedenen Dokumentarfilmen versicherten Überlebende der Gruppe später, die Nazis hätten ihnen mit der »Affiche« letztlich einen Gefallen getan: Ohne das Plakat seien sie und ihre toten Freunde vermutlich »rasch vergessen worden«.
Erschossen wurden Manouchian und 21 Kameraden auf dem Mont Valérian, einer Festung im Pariser Vorort Suresnes, die der Schlächter der Pariser Kommune, Adolphe Thiers, 1870 hatte errichten lassen. Olga Bancic, die einzige Frau in der 23 Mitglieder zählenden Gruppe, wurde im Mai 1944 in Stuttgart durch das Fallbeil hingerichtet.
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Leserbrief von A. Katz aus Berlin (23. Februar 2024 um 10:27 Uhr)Nun ja … Macron hat sich sehr wohl gegen die Teilnahme Le Pens ausgesprochen. In der Neue Züricher Zeitung konnte man lesen: Soll »die Politikerin des rechtspopulistischen Rassemblement national (RN) an einer Zeremonie zur Ehrung linker Vorkämpfer gegen den Faschismus teilnehmen dürfen oder nicht? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat diese Frage in einem Interview mit der kommunistischen Tageszeitung ›L’Humanité‹ mit Nein beantwortet. Er sei persönlich gegen die Teilnahme von Le Pen und weiteren Vertretern des RN. Die rechtsextremen Kräfte seien angesichts der Art des Widerstandes gut beraten, nicht zu kommen, sagte der Staatschef und führte aus, dass das RN, ebenso wie die Reconquête-Partei von Éric Zemmour, für ihn nicht zum ›republikanischen Spektrum‹ innerhalb der französischen Parteienlandschaft gehörten. Er verwies auf den ›Geist des Anstands‹ und das ›Verhältnis zur Geschichtew, die das RN davon abhalten sollten, teilzunehmen.«
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (23. Februar 2024 um 02:29 Uhr)»Der Kommunist Manouchian sei in diesem Rahmen (verschärftes Immigrationsgesetz) zu einer von der offiziellen Erinnerungspolitik vereinnahmten Figur geraten.« Das glaube ich, ist nur ein Nebenaspekt der Motive. Frankreich ist gerade im Begriff, auf Einladung des armenischen Ministerpräsidenten Pashinyan in Armenien die Rolle einzunehmen, die bisher Russland einnahm. Um die Abkehr vom bisherigen Verbündeten Russland (nicht Russland hat sich von Armenien abgekehrt), den Armeniern schmackhaft zu machen, hielt man es für nützlich, einen Armenier ins Panthéon aufzunehmen, selbst wenn er Kommunist war. Ein russischer Kommunist würde es nie dorthin schaffen bei gleichen Verdiensten für Frankreich. Mit Gesten der Freundschaft seitens eines französischen Staatspräsidenten sollte man vorsichtig sein. Präsident Sarkozy gestattete auch erstmalig in der französischen Geschichte einem Staatsgast (Gaddafi) in einem mitgebrachten Beduinenzelt auf dem Rasen vor dem Élysée-Palas zu nächtigen, um ihn anschließend kurze Zeit später beim Überfall auf Libyen gemeinsam mit den USA durch diese Intervention umbringen zu lassen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass den Armeniern bei solchen »Freunden« künftig ähnliches blüht, falls sie nicht spuren. Allerdings sollte man nicht alle französischen Präsidenten gleich beurteilen. De Gaulle benannte 1946 einen Platz und eine Metrostation in Paris »Stalingrad«. Das wäre eigentlich eine gute Idee für die Umbenennung der Berliner U-Bahnstation »Bundestag«, bevor es zu spät ist.
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