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Aus: Ausgabe vom 23.02.2024, Seite 5 / Inland
»Krankenhausreform«

Kuhhandel um Kliniken

Vermittlungsausschuss winkt »Transparenzgesetz« gegen Milliardenversprechen durch. Kritiker sehen Weg für Standortkahlschlag geebnet
Von Ralf Wurzbacher
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Das »Transparenzgesetz« von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat den Vermittlungsausschuss passiert, womit einer finalen Beschlussfassung durch die Länderkammer wohl nichts mehr im Weg steht. Am Mittwoch abend erzielten Vertreter von Bundestag und Bundesrat nach wochenlangem Streit eine Einigung: Demnach bleibt die Regierungsvorlage weitgehend unverändert, zustimmungsfähig wurde sie erst durch ein teures Versprechen. Im Rahmen eines »Transformationsfonds« für den Umbau der Krankenhauslandschaft wollen Bund und Länder 50 Milliarden Euro gestreckt über zehn Jahre mobilisieren und davon jeweils die Hälfte beisteuern. Durch die Verständigung »kann eine Insolvenzwelle abgewendet werden«, behauptete der Minister anschließend.

Beim »Bündnis Klinikrettung« schätzt man die Sache anders ein. »Das ist der erste verheerende Schritt zu massenhaften Klinikschließungen«, erklärten die Aktivisten am Donnerstag in einer Medienmitteilung. »Die Länder haben sich vom Bund erpressen lassen und einen Blankoscheck unterschrieben«, äußerte Mitstreiter Klaus Emmerich, der früher selbst ein Krankenhaus geleitet hatte. Nun könne mit dem »systematischen Kahlschlag« losgelegt werden. Für vermeintliche Transparenz wird künftig ein Onlineatlas zur Behandlungsqualität der Standorte sorgen. Dieser soll Patienten, Angehörigen und einweisenden Ärzten Einblicke dazu liefern, welche Leistungen eine Klinik bietet, welche Behandlungserfahrungen es gibt und mit welchem Personalschlüssel gearbeitet wird. Der Start des Verzeichnisses ist für den 1. Mai geplant.

CSU und Die Linke im Bundestag wiesen vor der Ausschusssitzung darauf hin, dass es schon entsprechende Informationsportale gebe, etwa das »Deutsche Krankenhaus Verzeichnis« oder die »Weiße Liste«. Von einer »Mogelpackung« sprach auch Emmerich. Das Gesetz definiere Versorgungsqualität über Strukturmerkmale, zum Beispiel die Mengen komplexerer Eingriffe. »Das hat mit wohnortnaher Grundversorgung nichts zu tun.« Tatsächlich ist das »Transparenzgesetz« ein Trojanisches Pferd, eine Vorarbeit für die »große Krankenhausreform«, die in Lauterbachs Worten »eine ganze Batterie« an Gesetzen umfassen wird. Auf Widerstand stößt vor allem sein Vorhaben, die Kliniklandschaft nach Leistungsgruppen und »Leveln« einzuteilen und so Hunderte Standorte zu ambulanten Zentren zu degradieren. Für Kritiker markiert das eine Vorstufe der Abwicklung und das Ende einer flächendeckenden Grund- und Notfallversorgung insbesondere im ländlichen Raum.

Aus Sorge um ihre Planungshoheit hatten die Bundesländer sich scheinbar erfolgreich gegen die Übergriffigkeit der Ampelregierung zur Wehr gesetzt. Die »Level« waren praktisch vom Tisch, und Lauterbach beschied noch im Sommer, »die Länder müssen das nicht übernehmen«. Nur wenig später tauchten die »Level« in seinem Gesetz wieder auf, verbunden mit der Ankündigung von Liquiditätshilfen für die Kliniken. Ates Gürpinar, Linke-Sprecher für Krankenhaus- und Pflegepolitik, hält auch das für eine Finte. Es sei gar nicht um zusätzliches Geld gegangen, sondern bloß um die schnellere Auszahlung der Pflegebudgets der vorangegangenen Jahre, über die sich Krankenhäuser und Kassen noch nicht verständigt hätten, sagte er am Donnerstag gegenüber jW. »Lauterbach hat ein Gesetz erfunden, nur um seine Level durchzubringen, alles andere ist Staffage.«

Und die Länder? Einige zeigten sich bis zuletzt renitent und drohten mit Ablehnung, sollte der Bund nicht mehr Geld herausrücken. Das entsprach auch der Linie der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Eine Zustimmung bedeute das Ende der Krankenhausplanung der Länder, »die dafür noch nicht einmal eine wirtschaftliche Stabilisierung der Lage erhalten«, erklärte Verbandschef Gerald Gaß noch zu Wochenanfang. Die avisierten 50 Milliarden Euro extra haben den Widerstand offenbar gebrochen. Vom DKG war am Donnerstag nichts zu hören. Dafür von Stefanie Stoff-Ahnis, Vorständin beim Spitzendverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ihr missfällt, dass der Bund seinen »Eigenanteil« aus dem Gesundheitsfonds finanzieren will. Ein Rückgriff auf Mittel der Beitragszahlenden wäre ein »Etikettenschwindel«. Nur einer von vielen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (23. Februar 2024 um 06:59 Uhr)
    Kriegstüchtig machen heißt doch auch im potentiellen Hinterland medizinische Versorgung vorzuhalten. Aber so? (…) Lauterbach will das Gesundheitswesen endgültig und vor allem »nachhaltig« kaputtsparen. Angeblich sei kein Geld da und das vorhandene muss gezielter eingesetzt werden. Aber Geld ist genug da: Da wäre als Erstes das Sondervermögen Bundeswehr und der Wehretat – wenn man den kürzte bzw. wegfallen ließe, wäre für viele andere das Gemeinwohl betreffende Taten Geld vorhanden. Oder – statt immer wieder Arztpraxen, Krankenhäuser oder Apotheken zu belasten, sollte Lauterbach mal endlich eine Reform der Krankenkassen anfassen: Wozu braucht Deutschland fast 100 verschiedene Krankenkassen mit ihrem Apparat, sprich Verwaltungen? Das Gleiche gilt für die Rentenkassen. Dies alles in eine Bürger- (oder Sozial-)versicherung zu überführen, in die alle einzahlen (auch Beamte, Freiberufler und privat Versicherte) würde unheimlich Geld sparen und zusätzlich einbringen. Ich persönlich ärgere mich zutiefst über diese Verschwendung. Wettbewerb zwischen den Kassen kann es eh kaum geben, da die Leistungen gesetzlich vorgeschrieben sind. Und die von Kasse zu Kasse unterschiedlichen Zusatzleistungen sind marginal. Die flächendeckende Gesundheitsversorgung wäre sicherbar und auch Brillen, Zahnersatz, andere Heil- und Hilfsmittel und therapeutische Leistungen, die zuzahlungspflichtig sind, wären doch aus den Beiträgen aller Versicherten zu 100 Prozent finanzierbar. Aber es ist nicht gewollt. Ich warte als chronisch Kranker immer wieder wochen-, wenn nicht monatelang auf Facharzttermine – weil ich Kassenpatient bin. Das ist menschenunwürdig und passt nicht zu einem Land, welches immer wieder so auf die Einhaltung der Menschenrechte in anderen Ländern pocht. Auch Gesundheit ist ein grundlegendes Menschenrecht. Aber offensichtlich zählt im Gesundheitssystem der Artikel 3 des Grundgesetzes nicht wirklich.