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Aus: Ausgabe vom 23.02.2024, Seite 4 / Inland
Drogenpolitik

Liberales Prestigeprojekt

»Staatlicher Drogendealer«: Bundestag entscheidet über Teillegalisierung von Cannabis. Union kritisiert Gesetzentwurf
Von Karim Natour
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Demonstration für die Legalisierung von Cannabis in Berlin (20.4.2023)

Das Letzte, was bei Bündnis 90/Die Grünen noch an die Herkunft aus den alternativen Milieus der 80er Jahre erinnert, ist wohl das Thema Cannabis. Das »Hanf« hatte der Grünenpolitiker Hans-Christian Ströbele bereits im Jahr 2002 »freigeben« wollen, was ihm zu einigem Ruhm im Internet verhalf. Jahrelang war legales Kiffen in der Merkel-BRD unvorstellbar. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung (2021) fand sich dann ein Passus zum liberalen Prestigeprojekt, in dem die Regierung versprach, die »kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken« einzuführen. An diesem Freitag soll es so weit sein. Der Bundestag stimmt über ein Gesetz der Ampelfraktionen ab, das den Besitz und Eigenanbau von Cannabis entkriminalisieren soll. Volljährige dürften demnach ab dem 1. April maximal 50 Gramm besitzen und 25 Gramm des Rauschmittels pro Tag erwerben. Auch eine Amnestie für Verurteilte in Zusammenhang von Mengen, die künftig erlaubt sein werden, ist vorgesehen. Zum 1. Juli sollen zudem Clubs zum nicht kommerziellen Anbau möglich werden, und auch der Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen soll legalisiert werden. Der Gesundheitsausschuss billigte die Gesetzespläne mit einigen Änderungen am Mittwoch.

Politiker der Union warnten am Donnerstag vor dem Schritt und forderten die Abgeordneten der Ampelparteien dazu auf, gegen das Vorhaben zu stimmen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), sagte der dpa am Mittwoch: »Gesundheits-, familien- und innenpolitisch ist das Gesetz ein historischer Fehler.« Die Ampel bringe Cannabis in die Nähe von Kindern und Jugendlichen und agiere wie ein »staatlicher Drogendealer«. Auch aus der SPD waren Anfang der Woche Einwände vorgebracht worden. Die Bundestagsabgeordneten Sebastian Fiedler und Sebastian Hartmann erklärten, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die Entlastung der Ordnungs-, Polizei- und Justizbehörden werde mit dem Entwurf nicht erreicht. Die bayerische Landesregierung will einen Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zum Thema beantragen, um das Gesetzesvorhaben zu stoppen, wie dpa am Donnerstag berichtete.

Vor einer starken Überlastung der Justiz durch die vorgesehene Amnestieregelung warnte der Deutsche Richterbund: »Die Justiz rechnet bundesweit mit mehr als 100.000 Akten, die im Falle des geplanten rückwirkenden Straferlasses bei Cannabisdelikten nochmals zu überprüfen sind«, erklärte der Bundesgeschäftsführer, Sven Rebehn, am Donnerstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter forderte den Stopp des Vorhabens.

Verteidigt wurde der Entwurf von SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der am Donnerstag erklärte, mit dem Gesetz werde man den Schwarzmarkt deutlich zurückdrängen und Kinder und Jugendliche besser schützen können. Zudem sei er zuversichtlich, dass das Gesetz wie vorbereitet beschlossen werde. Auch die Grünen machten ihre Zustimmung deutlich. Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen erklärte die Legalisierung von Cannabis am Mittwoch zum »überfälligen Paradigmenwechsel«. Durch die bisherige Verbotspolitik hätten sich die Risiken im Zusammenhang mit Cannabis stark erhöht. Auch könnten Konsum und Zugang durch staatliche Kontrolle sicherer gemacht werden, indem die Weitergabe verunreinigter Substanzen unterbunden werde. In der Vergangenheit wurde die Enttabuisierung von Cannabis als Medizin mehrfach als Argument für eine Legalisierung angeführt. In einem offenen Brief vom Mittwoch forderten dutzende Forscher aus den Bereichen Rechtswissenschaft, Soziologie und Psychologie die Bundestagsabgeordneten auf, der Legalisierung zuzustimmen.

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