Bauern belagern Brüssel
Von Gerrit HoekmanDie Bauernproteste vor dem Berliner Reichstag gehörten am Mittwoch in Europa noch zu den kleineren. In Frankreich wurden weiterhin die Autobahnen Richtung Paris blockiert. Schwerpunkte in Italien waren die Toskana, die Lombardei und Kalabrien. Besonders groß aber waren die Proteste am Mittwoch in Belgien. Im ganzen Land wurden wichtige Straßen blockiert, in der Hafenstadt Zeebrügge kam der öffentliche Nahverkehr zum Erliegen.
»Ich habe letzte Nacht in meinem Traktor geschlafen«, sagte ein Landwirt aus Zeebrügge dem flämischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender VRT. Er werde mit vielen Kollegen mindestens bis Donnerstag ausharren, wenn in Brüssel der EU-Gipfel stattfindet. Die belgische Hauptstadt wird seit Dienstag abend von Hunderten Landwirten mit ihren Traktoren belagert.
Sie protestieren wie ihre europäischen Kollegen gegen viel zu niedrige Preise, die sie für ihre Produkte bekommen. Schuld seien billige Importe. Außerdem beklagen die Bauern die umweltpolitischen Vorgaben der EU. Der flämische Bauernverband Algemeen Boerensyndicaat (ABS) zeigte sich am Mittwoch verärgert, dass die EU-Spitzen am Donnerstag in Brüssel über mehr Hilfe für die Ukraine beraten wollen, die Bauern aber außen vor lassen. »Die Landwirte sind verzweifelt, wirklich verzweifelt. Wir haben die Regierung seit Jahren davor gewarnt, dass dies passieren wird«, sagte ABS-Sprecher Mark Wulfrancke. »Wir erwarten Respekt von unserer Regierung und der EU. Wir brauchen faire Preise.«
Die Erwartungen an EU-Landwirte sind widersprüchlich. Sie sollen weniger Dünger und Pestizide einsetzen, dem Naturschutz Raum geben und gleichzeitig dafür sorgen, dass niemand hungern muss und sich auch die Ärmsten noch Obst und Gemüse leisten können.
Der belgische Premierminister Alexander De Croo versprach, das Thema beim EU-Gipfel am Donnerstag auf die Tagesordnung zu setzen: »Es geht unter anderem um zu viel Bürokratie. Landwirte wollen sich mit ihrer Arbeit beschäftigen, nicht mit Formularen«, so De Croo. Unterstützung bekommt er von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich mit heftigen Bauernprotesten konfrontiert sieht.
Vor allem ein Punkt bringt die Landwirte in Belgien und Frankreich auf: Die EU will, dass vier Prozent der Anbaufläche brachliegen, damit sich die Natur erholen kann. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist diese Vorgabe aus Sorge um die Ernährungssicherheit vorübergehend ausgesetzt. Macron sieht hier Spielraum, den Landwirten entgegenzukommen. Wortreich kritisiert der französische Präsident die billigen Agrarimporte aus der Ukraine, die bereits polnische Bauern auf die Straße getrieben haben. Und weil die Bauernverbände befürchten, das Mercosur-Handelsabkommen werde zu Preisdumping führen, bekräftigte Macron am Mittwoch seinen Widerstand gegen das Abkommen mit Lateinamerika.
Der Ärger scheint in der EU angekommen zu sein. Am Mittwoch kündigte die Kommission eine »Notbremse« für den Import von Geflügel, Eiern und Zucker aus der Ukraine an. Außerdem bleiben die Umweltvorschriften für Brachflächen nun bis Ende des Jahres ausgesetzt. Eine weniger strenge Regelung soll eingeführt werden. Beim EU-Gipfel am Donnerstag könnte Brüssel weitere Zugeständnisse machen. Ob das am Ende reichen wird, um die Wut der Bauern zu besänftigen, bleibt abzuwarten.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Februar 2024 um 11:48 Uhr)Ob Europas Bauern sich nun zusammenschließen werden, um einen stärkeren Druck auf Brüssel auszuüben? Meine Einschätzung dazu lautet: eher unwahrscheinlich. Neben gemeinsamen Interessen pflegen Landwirte in den verschiedenen EU-Ländern auch ihre individuellen Anliegen. Der Agrarsektor stellt vielleicht den heikelsten Wirtschaftszweig in der EU dar und ist zweifellos stark von den politischen Entscheidungen sowohl der nationalen Regierungen als auch der Europäischen Kommission abhängig. Die europäische Landwirtschaft unterliegt Quoten, Subventionen und zahlreichen Vorschriften, wodurch sie äußerst sensibel und anfällig ist. Die Erfüllung der Forderungen von Bauern in einem Land benachteiligt nahezu automatisch Bauern in anderen Ländern.
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