Gummi ja, Reifen nein
Von Susanne Knütter
Nebenan die Autofabrik von Tesla; ein Industriestrompreis soll auch kommen. Trotzdem wird eine weitere Traditionsfabrik in Ostdeutschland schließen. Letzten Donnerstag verkündete der Reifenhersteller Goodyear, einerseits die Produktion in Fulda, wo es bereits seit längerem Abbaudiskussionen gibt, endgültig abzuwickeln. Andererseits soll das Reifenwerk im brandenburgischen Fürstenwalde geschlossen werden, wo seit mehr als 80 Jahren Gummireifen produziert wurden. Begründet hatte das Unternehmen den Schritt im wesentlichen mit dem Abbau von Überkapazitäten. »Unser Vorschlag ist notwendig, um die Gesamtkostenstruktur unserer Produktion« in Europa, dem Nahen Osten und in Afrika »zu verbessern«, erklärte ein Goodyear-Sprecher gegenüber jW am Montag. Damit verbunden ist der Wegfall von 1.050 Stellen in Fulda bis Ende des dritten Quartals 2025 und von 700 Arbeitsplätzen in Fürstenwalde bis Ende 2027.
Die Situation in der Reifenbranche sei schwierig, räumte Rolf Erler, Bezirksleiter der Region Berlin-Mark Brandenburg bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ein. Es würden in der Summe weniger Autos produziert. Auch Energiekosten spielten in der Reifenproduktion eine große Rolle. Die Reifen würden ja quasi »gebacken«, so Erler. In Fürstenwalde habe man damit gerechnet, dass es vielleicht Einschnitte geben könnte. Aber von den Schließungsplänen seien sowohl Betriebsrat als auch Gewerkschaft völlig überrascht worden, sagte der Gewerkschafter. Das bedeute einen »Umbruch«; eine »Katastrophe« – auch für die Region, wo viele Firmen von dem Reifenwerk abhängen. Und für Erler ist klar, Goodyear gehe es in erster Linie darum, die Produktion an einen günstigeren Standort zu verlagern.
Dafür spricht nicht zuletzt, dass gut 200 Kollegen von derzeit insgesamt etwa 930 Beschäftigten in Fürstenwalde auch zukünftig weiterhin Gummimischungen herstellen sollen, die dann in andere Goodyear-Werke in Europa, im Nahen Osten und in Afrika geliefert werden. Die IG BCE kritisiert, dass Goodyear mit Tesla keine strategische Zusammenarbeit aufgebaut hat. Wöchentlich würden in der Gigafactory 5.000 Autos produziert. Und »soweit ich weiß, haben die alle vier Räder«, so Erler.
Darum habe die IG BCE »ihr Netzwerk Richtung Politik« aktiviert, um unter anderem auszuloten, welche Alternativen es gibt. Dazu gehöre, zu erörtern, woher die Reifen für Tesla aktuell kommen und welche Konzepte es gibt, um Reifen nachhaltig – zum Beispiel für die Elektroautos – herzustellen.
In einer Betriebsversammlung kommenden Donnerstag wollen Gewerkschaft und Betriebsrat mit der Belegschaft beraten, wie es weitergeht. Der brandenburgische Wirtschaftsminister wird auch auf der Versammlung mit den Beschäftigten sprechen. Erler betonte, die IG BCE werde um den Standort kämpfen. Streiken wird sie aber nicht. Das sei in dieser Situation rechtlich nicht zulässig, betonte Erler im jW-Gespräch.
Die Frage, ob die Beschäftigten, die über kurz oder lang vor dem existentiellen Aus stehen, weil ihre Arbeitsplätze einfach gestrichen werden, zu dem einzigen wirksamen Mittel, das sie selbst haben, greifen, haben andere DGB-Gewerkschaften bereits anders beantwortet. Die IG Metall streikt immer wieder in Betrieben, deren Eigentümer die Abwicklung angekündigt haben. Um wenigstens die Kosten der Schließung in die Höhe zu treiben. In diesem Jahr beispielsweise bei dem Autozulieferer GKN Driveline im Zwickauer Stadtteil Mosel.
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