Darfur vor zweitem Genozid
Von Ina Sembdner
Sieben Monate Krieg, Tausende Tote und Millionen Vertriebene: Die Lage im Sudan verschärft sich. Die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) des ehemaligen Vizes von De-Facto-Präsident Abdel Fattah Al-Burhan, Mohammed Daglo, kontrollieren mittlerweile einen Großteil der Hauptstadt Khartum und die westliche Region Darfur, während die mit der Armee verbündete Regierung fast vollständig in die östliche Stadt Port Sudan zurückgedrängt wurde. Nach konservativen Schätzungen des Armed Conflict Location & Event Data Project von Ende Oktober sind bislang mehr als 10.000 Zivilisten getötet worden. Vor allem in Darfur, das schon zu Beginn der 2000er Jahre Schauplatz eines Völkermords an den nichtarabischen Bevölkerungsgruppen war, ist die Lage dramatisch. Seit Beginn des Krieges im April sind allein dort, wo etwa ein Viertel der 48 Millionen Einwohner des Sudan leben, mehr als 1,5 Millionen Menschen vertrieben worden – insgesamt sind es sieben Millionen. Mehr als sechs Millionen Sudanesen sind von Hungersnot bedroht.
Am Freitag prangerte auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte die ausufernde Gewalt in Westdarfur an. Laut dem Sprecher Jeremy Laurence deuteten vorläufige Informationen darauf hin, dass die masalitische Zivilbevölkerung »sechs Tage lang unter dem Terror« der RSF und der mit ihr verbündeten Milizen zu leiden hatte, nachdem diese Anfang des Monats die Kontrolle über den Stützpunkt der sudanesischen Streitkräfte in Ardamata übernommen hatten. Allein am 5. November seien 66 Masalit in drei separaten Hinrichtungen gemeinschaftlich getötet, andere Opfer der Milizangriffe »lebendig verbrannt« worden. Bereits zwischen Mai und Juni waren Hunderte Masaliten, darunter Kinder und der Gouverneur von Westdarfur, von Milizen und Paramilitärs getötet worden.
Im Hinblick auf die seit 2003 nahezu ungebrochen andauernde Gewalt in der Region hat die NGO Refugees International am vergangenen Mittwoch die Kampagne »Speak out on Sudan« gestartet. In dem Aufruf heißt es: »Anstatt sich für ihre Rolle im Völkermord in Darfur zu verantworten, erhielten die Generäle Abdel Fattah Al-Burhan und Mohammed Hamdan Daglo ›Hemedti‹ noch mehr Macht und Legitimität, die in ihrer Rolle als Staatschef und stellvertretender Staatschef nach dem Putsch im Oktober 2021 gipfelte.« Dabei hätten die Konfliktparteien ihre völkermörderische Taktik in den letzten 20 Jahren »verfeinert«. Dabanga Sudan zitierte darüber hinaus Abdullahi Boru Halakhe und Ann Hollingsworth von der NGO mit der Warnung, dass der Krieg auch Auswirkungen auf andere Länder der Region habe, die auf Khartum, dem »Epizentrum der Kämpfe«, als Transitknotenpunkt angewiesen seien. Die landwirtschaftliche Versorgungskette im Land sei zerstört.
Unterdessen sorgt eine andere Entwicklung für weiteren Sprengstoff. Darfur beheimatet etwa 80 verschiedene Bevölkerungsgruppen, 2003 begannen sich Rebellengruppen gegen die arabisch dominierte Regierung in Khartum zu erheben, was im von der UNO anerkannten Genozid an rund 300.000 Menschen gipfelte. Die beiden größten von ihnen, die JEM und die SLA, erklärten nun, sich dem Militär im Kampf gegen die RSF anzuschließen. Dagegen verwahrt sich das Sudan People’s Liberation Movement – North (SPLM-N). In einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung hieß es: »Ihre Position ist eine Fortsetzung ihrer Ablehnung der Demokratie und der Dezemberrevolution (die 2019 zur Absetzung des Langzeitpräsidenten Omar Al-Baschir, jW) führte und ihrer Unterstützung des Staatsstreichs vom 25. Oktober, dessen direkte Folge der Krieg vom 15. April ist.« Drei weitere Rebellengruppen blieben laut Sudan Tribune ebenfalls neutral und lehen die Entscheidung der JEM und der SLA ab.
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