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Aus: Ausgabe vom 27.10.2023, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

Friedensstimmen abgewürgt

Israel: Zwischen Sorge um Geiseln und Unterdrückung abweichender Meinungen. Hochschulen sollen kritische Studenten melden
Von Gerrit Hoekman
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»Bringt sie nach Hause«: Protest von Angehörigen der als Geiseln genommenen Israelis (Tel Aviv, 26.10.2023)

Das Schicksal der mehr als 200 Gefangenen, die sich noch in der Hand der Hamas befinden, ist eines der Themen, die Israels Bevölkerung im Moment wohl am meisten beschäftigt. »Ihr Leben ist in Gefahr, und der Staat hat die Pflicht, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sie zurückzuholen«, schrieb die israelische Menschenrechtsgruppe B’Tselem am Montag auf ihrer Homepage. Sie zweifelt, ob die Befreiung der Gefangenen wirklich oberste Priorität für die Einheitsregierung hat. Normalerweise dokumentiert die NGO Menschenrechtsverletzungen der Besatzungsarmee in der Westbank.

B’Tselem fordert einen Deal mit der Hamas, auch wenn Israel dafür Tausende palästinensische Inhaftierte freilassen müsste. Viele von ihnen seien politische Gefangene und säßen ohnehin zu Unrecht im Gefängnis. Die Militärgerichte seien nicht neutral. »Sie dienen politischen Zielen und arbeiten daran, die Besatzung aufrechtzuerhalten. Palästinenser haben in diesem System nahezu keine Chance auf einen Freispruch«, so B’Tselem. »Hunderte weitere werden in Verwaltungshaft festgehalten, ohne dass auch nur der Anschein eines fairen Prozesses entsteht.«

Schon am 15. Oktober hatte die Israelin Noi Katsman in einem Beitrag auf Facebook ihres Bruders Hajim gedacht. Der engagierte Gegner der israelischen Besatzung war bei der palästinensischen Offensive im Kibbuz Holit ermordet worden. Doch trotz des Verlusts rief Katsman ihr Land auf, »unseren Tod und Schmerz nicht dazu zu benutzen, den Tod und den Schmerz anderer Menschen oder anderer Familien zu verursachen. Ich fordere, dass wir den Kreislauf des Schmerzes durchbrechen und verstehen, dass der einzige Weg nach vorn Freiheit und gleiche Rechte sind – Frieden, Brüderlichkeit und Sicherheit für alle Menschen.«

Stellungnahmen wie die von B’Tselem oder Katsman widersprechen der inhumanen Regierungspolitik mit ihren entmenschlichenden Verlautbarungen. »Wir bekämpfen menschliche Tiere und handeln entsprechend«, hatte beispielhaft Verteidigungsminister Yoaw Gallant schon kurz nach dem 7. Oktober festgestellt. Wer aber Kritik am israelischen Vorgehen übt, sieht sich schnell Repressalien ausgesetzt. »Palästinenser und einige Linke werden (…) entlassen oder nachts verhaftet – alles wegen Social-Media-Beiträgen«, berichtete das linke englischsprachige israelische Onlinemagazin +972 am 17. Oktober. Ein jüdisch-israelischer Dozent wurde von seiner Hochschule suspendiert und sieht sich nun einem Disziplinarverfahren gegenüber. Er hatte Israel in einem Post des »Völkermords« an den Palästinensern beschuldigt.

»Es ist nur ein Beispiel für die wachsende Atmosphäre der Unterdrückung in Israel seit Kriegsbeginn, insbesondere an den Universitäten«, so +972. Die Generalstaatsanwaltschaft fordere die Hochschulen auf, Studenten, die »lobende und unterstützende Worte für die Hamas« veröffentlichten, der Polizei zu melden. Insgesamt sollen mindestens 170 palästinensische Bürger Israels verhaftet oder verhört worden sein. Auch sollen seit dem 7. Oktober mindestens 30 Personen von ihren Arbeitgebern entlassen worden sein, zum Beispiel von der Stadtverwaltung in Jerusalem, aber auch im Einzelhandel und in Restaurants. Es kann schon ausreichen, im Internet eine mögliche israelische Besetzung Gazas anhand einer Landkarte zu analysieren, um wegen »Unterstützung des Feindes im Krieg« belangt zu werden.

Der Direktor der in Haifa ansässigen Menschenrechtsorganisation Adalah, Hassan Dschabarin, sagte laut +927, er erhalte viele Berichte »über illegale Verhaftungen«, die »oft brutal und spät in der Nacht ohne Begründung durchgeführt werden und alle auf Social-Media-Beiträgen basieren«. Oft reiche es schon aus, einen Beitrag auf Instagram zu teilen. »Jeder Ausdruck der Solidarität mit den palästinensischen zivilen Opfern, die Ablehnung des Krieges gegen Gaza oder seine Bezeichnung als Kriegsverbrechen werden als Unterstützung des Terrors oder einer Terrororganisation aufgefasst«, sagte Dschabarin.

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