Hitler, eine Liebeserklärung
Von Karl Wimmler
Im Jahr 1973 erschien ein 1.190 Seiten starkes Buch mit dem knappen Titel »Hitler«. Autor war der Journalist und Historiker Joachim C. Fest (1926–2006). Er hatte nach 1945 eine nahezu klassische westdeutsche Medienkarriere absolviert: Rundfunk Im Amerikanischen Sektor, CDU, Norddeutscher Rundfunk, »Hitler«, Frankfurter Allgemeine Zeitung. Seine Darstellung des Anführers der Deutschen reproduzierte nicht nur deren bis lange nach dem Krieg anhaltende Faszination für diesen, sondern beschrieb ihn als »große weltgeschichtliche Persönlichkeit«. Das Buch wurde ein Bestseller. Dass darin von den Nürnberger Rassengesetzen keine Rede war, die Vernichtung der kommunistischen und sozialdemokratischen Opposition marginalisiert, das Novemberpogrom 1938 lediglich gestreift und die Darstellung der Massenmorde an Juden, Roma und anderen »Untermenschen« derart kurz ausfiel, dass spätere sich darauf beziehende ultrarechte Politiker von einem »Fliegenschiss« reden konnten, passte in den bundesrepublikanischen Zeitgeist der 70er Jahre.
Dieser dezente Herr
Allerdings gab es auch damals Einwände gegen eine derart abseitige Geschichtsschreibung. Sie wurden weithin abgetan mit der Rechtfertigung, dass das Werk den (unscheinbaren) Untertitel »Eine Biographie« trägt. Dieser ist jedoch irreführend, zumal Fest den Nazifaschismus, seine Entstehung und seinen Verlauf als Sache seines »Helden« beschreibt, womit er sowohl die übrigen Beteiligten als auch die Förderer und Profiteure kleinredet. Heutzutage scheinen dies alles lässliche Sünden zu sein. Amazon beispielsweise preist das Werk so an: »Seinerzeit ein bahnbrechendes Werk der Hitler-Forschung, gilt sie noch heute als maßgeblich und unerreicht. Neben der brillanten Deutung des Diktators ist es vor allem das hohe literarische Niveau, das diese Biographie auszeichnet.«
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki schrieb ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen: »Auf dem schwarzen Umschlag war mit großen weißen Buchstaben der lapidare Titel gedruckt: Hitler. Was diese Ausstattung des Buches suggerieren sollte, worauf hier mit Entschiedenheit Anspruch erhoben wurde, konnte man nicht verkennen: Pathos war es und Monumentalität.« Reich-Ranicki berichtete von noch einer weiteren Ungeheuerlichkeit. Fest lud den FAZ-Kollegen zur Buchpräsentation ein. Dort traf Reich-Ranicki ohne Vorwarnung auf Fests Freund Albert Speer, Fest hatte einige Jahre zuvor geholfen, die Erinnerungen des Nazirüstungsministers herauszugeben. »Tosia [Ranickis Frau] wurde blass. (…) Dieser dezente Herr war ein Verbrecher … Noch unlängst hatte er zu den engsten Mitarbeitern und Vertrauten Adolf Hitlers gehört. Speer sah es offensichtlich mit Genugtuung. Verschmitzt lächelnd blickte er auf das feierlich aufgebahrte Buch und sagte bedächtig und mit Nachdruck: ›Er wäre zufrieden gewesen, ihm hätte es gefallen.‹«
Der Erfolg des Buches spornte an. Ein Film musste folgen: »Hitler – Eine Karriere«, 1977 ebenso gehypt, ebenso monumental, ebenso mit Pathos überfrachtet wie später der Spielfilm »Der Untergang« (Oliver Hirschbiegel, 2004), der Fests »Hitler« als Vorlage nutzte. Nachdem der Verleger Helmut Kindler »Hitler – Eine Karriere« gesehen hatte, rief er tags darauf empört seinen Autor Sebastian Haffner an. Der renommierte Journalist und Autor zahlreicher historischer Bücher hatte 1938 nach England emigrieren müssen, war dort Leiter der deutschsprachigen Londoner Zeitung, Mitarbeiter des Observer (bis 1961) und lebte seit 1954 in Berlin als Kolumnist für Die Welt, Stern und Konkret. Haffner begann unmittelbar mit der Arbeit an seinen »Anmerkungen zu Hitler«, die 1978 erschienen und auf knapp 200 Seiten eine derart bestechende Gegenschrift zu Fest darstellen, dass das Werk ohne viel Werbung weite Verbreitung fand und Haffner dafür noch im selben Jahr der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf verliehen wurde.
Nicht weiter stören
Bei dieser Gelegenheit sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Joachim Fest 1986 als Kulturchef der FAZ den »Historikerstreit« vom Zaun brach, indem er den Text »Vergangenheit, die nicht vergehen will« des Historikers Ernst Nolte publizierte und diesen in der anschließenden Kontroverse verteidigte. Nolte stellte den Zivilisationsbruch der Nazis als eine Reaktion auf den Bolschewismus dar. Sebastian Haffner hingegen: »Was Hitler wollte, war Deutschlands Vorherrschaft in Europa und direkte Herrschaft über Russland; im übrigen die Erhaltung der europäischen Herrschaft über Afrika und große Teile Asiens und Ozeaniens. Eine Machtpyramide, mit den alten europäischen Überseekolonien und der neuen deutschen Kolonie Russland ganz unten an der Basis, den übrigen europäischen Ländern, abgestuft in deutsche Nebenländer, Hilfsvölker, Satelliten und schein- und halbunabhängige Bundesgenossen, als Mittelbau, und Deutschland an der Spitze. Dieses riesige deutschbeherrschte Machtgebilde sollte dann später mit guten Aussichten den Kampf mit Amerika und Japan um die Weltherrschaft aufnehmen können.«
Eine solche Feststellung wirkt heutzutage wie aus längst vergangenen Zeiten. Ganz im Sinne Fests haben spätestens mit der Verkündung der »Zeitenwende« die imperiale Politik Nazideutschlands und »die Verbrechen der Vergangenheit endlich einen Platz zugewiesen bekommen, an dem sie die Gegenwart nicht weiter stören«. (Max Czollek)
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Wenn ultrarechte Politiker die Zeit des Hitler-Faschismus als »Fliegenschiss« bezeichnet haben und sich dabei auf das Buch von J.C. Fest bezogen haben sollen, so ist das lediglich die Methode der schlichten Behauptung. In seinem Artikel vergisst K. Wimmler zu erwähnen, dass Neofaschisten seit etlichen Jahrzehnten selbst Geschichtsklitterung betreiben, um von den eigenen reaktionären und menschenfeindlichen Absichten und gefährlichen Plänen abzulenken.
Im ersten Absatz Ihres o. a. Artikels wird dargelegt, dass J.C. Fest u. a. für die FAZ gearbeitet hat. Die Terminologie Ihres Journalisten lässt insgesamt erkennen, dass er nicht gerade ein Freund der FAZ ist. Im weiteren Verlauf rekrutieren Sie M. Reich-Ranicki als eine Art Anwalt für Ihre Meinung. Dass Reich-Ranicki als selbsternannter Großinquisitor der deutschen Literatur stets wohlwollend für das journalistische Aushängeschild der deutschen Bourgeoisie geschrieben hat, scheint den Urheber Ihres Artikels aber nicht zu stören.
Ihr Mitarbeiter kritisiert, dass das Buch von J.C. Fest den Untertitel »Eine Biographie« trägt. Das Fremdwörterbuch definiert Biographie so
»1. Lebensbeschreibung
2. Lebenslauf, Lebensgeschichte eines Menschen.«
Diese Anforderung hat J.C. Fest aber erfüllt.
Dass J.C. Fest die Förderer und Profiteure Hitlers kleinredet, ist erneut die Methode der schlichten Behauptung. Tatsächlich nennt Fest die Namen der Förderer und beschreibt ihr Wirken:
Von Scheubner Richter [»Hitler«, J.C. Fest, S. 201f], »Putzi« Hanfstaengel [S.200 f], Dietrich Eckart [S. 241], Borsig [S. 241], Fritz Thyssen [S. 241], Geheimrat Kirdorf [S. 241], Daimlerwerke [S. 241], Winifred Wagner [S. 712], Düsseldorfer Industrieklub [S. 428]. Die Reihe der von Fest genannten Förderer ließe sich nahezu endlos fortsetzen, würde aber den Rahmen eines Leserbriefes sprengen. Hat Ihr Mitarbeiter womöglich bewusst etliche Seiten des
Buches von Fest überschlagen?
Die Profiteure des Hitlerfaschismus kann man mit ihrer Zahl gar nicht nennen. Profitiert haben Unternehmen der Großindustrie, kleinere Betriebe, Gefolgsleute Hitlers, seine Entourage und auch kleinere Familien. Der Autor von »Hitler« beschreibt die Profiteure und ihre Hinwendung zum irrsinnigen Hitlerfaschismus durchgängig über etliche hundert Seiten. Würde ich jetzt zitieren, müsste ich ein ganzes Buch schreiben.
Ihr Journalist behauptet, A.Speer sei der Freund von J.C. Fest gewesen. Am Ende seiner Speer-Biographie schreibt Fest: »Der zerstörerische Wille ging zwar von Hitler aus. Doch hätte er keines seiner Ziele ohne die Helfer erreicht, für die Speer ein Beispiel ist.« [»Speer«, J.C. Fest, S. 482]. So etwas schreibt man also über einen »Freund«!? Dieser Freund (A. Speer) soll mit Blick auf die Hitler Biographie gesagt haben: »Er [Hitler] wäre zufrieden gewesen, ihm hätte es gefallen.« Auf den Seiten 29–44 seines Buches beschäftigt sich Fest mit der Herkunft Hitlers, mit der semiinzestuösen Geschichte seiner Familie und mit dem Versagen in der Realschule. Die Darstellungen von Fest machen deutlich, dass Hitler Angst vor der eigenen Vergangenheit hatte. Als man etwa 1930 versuchte, die familiären Hintergründe Hitlers aufzuhellen, zeigte er sich beunruhigt: »Diese Leute dürfen nicht wissen, wer ich bin. Sie dürfen nicht wissen, woher ich komme und aus welcher Familie ich stamme.« [»Hitler«, J.C. Fest, S. 31]. In der Vergangenheit Hitlers zu wühlen war übrigens lebensgefährlich. Reinhold Hanisch, seinen Kumpan aus einstigen, asozialen Männerheimtagen in Wien, ließ er umbringen, als er seiner Ende der 30er Jahre habhaft wurde. Schließlich hätte Hanisch viel über den arbeitsscheuen Freund erzählen können.
Auch die Stellungsflucht Hitlers im Mai 1913 legt Fest offen. Eine Stellungsflucht war auf jeden Fall mit einem sozial besonders ehrenrührigen Makel behaftet.
Wenn A. Speer tatsächlich gesagt hat: »Er wäre zufrieden gewesen, ihm hätte es gefallen«, dann muss Speer besoffen gewesen sein, oder er hat bewusst gelogen.
Dass Ihr Journalist ausgerechnet eine Bemerkung Speers, eines Faschisten, Kriegsverbrechers und Lügners benutzt, um eine krude Beweisführung zu rechtfertigen und sein eigenes Sentiment zu befriedigen, geht einfach zu weit. Überhaupt die Hilfe des in diesem Fall advozierenden Faschisten, Speer, in Anspruch zu nehmen, decouvriert die Pseudoargumente Ihres Mitarbeiters.
Am Ende ist es erlaubt, einen Blick auf die dicke Überschrift Ihres Artikels zu werfen. Der Titel, »Hitler, eine Liebeserklärung«, ist falsch und manipulativ. Manipulativ deshalb, weil es Leser geben mag, die sich nicht intensiv mit den Unpersonen Hitler und Speer beschäftigt haben. Eine Vergleichsmöglichkeit mit Ihrem Artikel hätte dann gefehlt. In seinem Buch hat Fest x-mal die Verbrechen Hitlers dargestellt:
»…, keiner hat eine solche Spur von Trümmern hinterlassen«. [»Hitler«, J:C; Fest, S. 17]
»…, gab er [Hitler] offenbar auch den Befehl, E.Röhm, der noch immer in seiner Zelle in Stadelheim wartete, zu ermorden.« [S. 641].
»So abstoßend die Umstände wirken, die diesem Freundesmord das Gepräge geben, …« [S.641]
»So hat Hitler denn auch nicht nur Deutschland zerstört, sondern dem alten Europa … ein Ende bereitet« [S. 1024]
»Noch seinem Ende, wie trivial und theatralisch misslungen es erscheinen mag, spiegelten sich jene beiden Seiten der Epoche, die er bewundert und zugleich noch einmal repräsentiert hat: etwas von ihrem dröhnenden Glanz, wie er in den Götterdämmerungsmotiven des dirigierten Untergangs zum Ausdruck kam, aber etwas auch von ihrem Schundcharakter, …« [S. 1033]
»…, und im Rückblick erscheint dieses Leben wie eine einzige Entfaltung ungeheurer Energie. Ihre Wirkungen waren gewaltig, der Schrecken, den sie verbreitete beispielslos …« [S. 1042]
Erneut könnte man endlos weitere Zitate anfügen.
So sehen also Liebeserklärungen nach Vorstellung des Herrn Wimmler aus. Hoffentlich hat er keine Freundin, Verlobte oder Ehefrau. Das würde nicht gut enden.
Zum Schluss kann der kritische Leser nur noch eine Schulnote an den Schriftsteller aus Graz vergeben: »Setzen! Sechs.«