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Aus: Ausgabe vom 18.09.2023, Seite 6 / Ausland
Westafrika

Verwirrende Fronten

Sahel: Wachsender Widerstand gegen Frankreich. Tuareg und Dschihadisten komplizieren Lage
Von Jörg Tiedjen
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Auch wenn Paris sich nicht angesprochen fühlt, sind die Forderungen aus Niger klar (Niamey, 20.8.2023)

Frankreichs Präsident ist empört. »Im Niger haben wir einen Botschafter und diplomatisches Personal, die buchstäblich in der französischen Botschaft als Geiseln gehalten werden«, sagte Emmanuel Macron am Freitag bei einem Besuch in dem Städtchen Semur-en-Auxois. Der Botschafter habe »keine Möglichkeit mehr, das Haus zu verlassen, man verweigert ihm die Möglichkeit, sich mit Lebensmitteln zu versorgen«, beklagte Macron laut France 24. Der These von der Geiselhaft widerspricht allerdings, dass Frankreich aufgefordert worden war, seine diplomatischen Vertreter und seine Truppen aus Niger abzuziehen. Dem will Paris jedoch nicht nachkommen, da es die nach dem Putsch im Juli eingesetzte Regierung in Niamey als illegitim ansieht und am gestürzten Präsidenten Mohammed Bazoum festhält.

Seit langem ist Niger einer der Hauptlieferanten von Uran für die Atommeiler der früheren Kolonialmacht. Auch befindet sich eine Gaspipeline von Nigeria über Niger nach Algerien im Bau. Nachdem Frankreichs Armee vor einem Jahr aus Mali und Anfang dieses Jahres auch aus Burkina Faso abziehen musste, will Paris offensichtlich nicht auch noch Niger als Stützpunkt einbüßen, wo es 1.500 Soldaten stationiert hat. Die Gefahr einer Militärintervention zur Wiedereinsetzung Bazoums besteht fort. Vorangeschickt würde das regionale Bündnis ECOWAS, das Niamey bereits ein entsprechendes Ultimatum gestellt hat. Erst vor wenigen Tagen kündigte Niger ein Militärbündnis mit dem Nachbarland Benin, dem es vorwirft, als Aufmarschbasis zu dienen.

Die USA haben sich unterdessen anscheinend mit der neuen Regierung in Niamey geeinigt und eine Möglichkeit gefunden, ihre dortigen militärischen Aktivitäten fortzuführen. »Eine Zeitlang haben wir keine Einsätze mehr geflogen, die Flugbasen waren so gut wie geschlossen«, sagte laut Al-Dschasira US-Luftwaffenchef James Hecker vergangenen Mittwoch auf einem Kongress im US-Bundesstaat Maryland. »Dank des diplomatischen Prozesses führen wir jetzt vielleicht nicht 100 Prozent der Missionen durch, die wir vorher durchgeführt haben, aber einen Großteil.« Insgesamt sind die USA mit 1.200 Soldaten in Niger präsent, bei der Stadt Agadez unterhält Washington die größte Drohnenbasis der Welt.

Dabei wird die Lage am Boden immer undurchschaubarer. Fast in der ganzen Region aktiv sind Dschihadisten verschiedenster Couleur, trotz oder gerade wegen diverser internationaler Militäreinsätze, die angeblich der Verbesserung der Sicherheit dienen sollen und an denen auch deutsche Truppen beteiligt sind. In Mali halten die Al-Qaida-Kräfte seit Wochen die Stadt Timbuktu unter Belagerung. Dabei begingen sie ein Massaker, als sie ein Schiff auf dem Nigerfluss mit Raketen beschossen und Dutzende Passagiere töteten. Mali, Burkina Faso und Niger kooperieren bei der Bekämpfung der Dschihadisten und wollen auch eine mögliche Militärintervention in Niger gemeinsam abwehren.

Die Dschihadisten sind nicht die einzigen Gegner, mit denen Mali momentan zu kämpfen hat, wobei es auf die Unterstützung der russischen »Wagner«-Gruppe zurückgreift. Hinzu kommt die von den Tuareg dominierte »Koordination der Bewegungen von Azawad« (CMA). Erst vor einer Woche erklärte Tuareg-Chef Alghabass Ag Intalla laut Mali Actu, dass man sich »im Krieg« mit Bamako und auch der russischen »Wagner«-Truppe befinde. Angeheizt wird dieser Konflikt durch den von Bamako durchgesetzten vorzeitigen Abzug der UN-Blauhelmtruppe Minusma, die nun nach und nach ihre Stützpunkte an die malische Armee übergibt. Die CMA beansprucht aber, die Lager selbst zu übernehmen. Erst vergangenen Dienstag lieferten sich CMA und Regierungsarmee Kämpfe um einen Standort am Niger, wobei die Tuareg jedoch unterlagen. Die Auseinandersetzung dürfte allerdings weiter eskalieren, wenn die Übergabe mehrerer Stützpunkte bevorsteht, die sich unmittelbar auf von der CMA kontrolliertem Territorium befinden. Seit langem wirft Bamako übrigens den Tuareg vor, sich von Frankreich instrumentalisieren zu lassen. Auch mit Dschihadisten soll Paris insgeheim kooperieren. Voraussetzungen genug für einen Mehrfrontenkrieg, der die Region ins Chaos stürzt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (17. September 2023 um 20:34 Uhr)
    »Seit langem wirft Bamako übrigens den Tuareg vor, sich von Frankreich instrumentalisieren zu lassen. Auch mit Dschihadisten soll Paris insgeheim kooperieren.« Endlich benennt mal jemand, worum es den nationalen Militärs eigentlich geht. Der Wertewesten hat das Dschihadisten-Problem nicht nur geschaffen, sondern es eben auch immer wieder als Druckmittel benutzt.

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