Billiggetreide für die EU
Von Reinhard Lauterbach
Seit Sonnabend steht der europäische Markt wieder offen für Getreide und Ölfrüchte aus der Ukraine. Die EU-Kommission hob am Freitag die vorübergehende Importsperre für Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne auf, die sie im Frühjahr verhängt hatte. Es gebe derzeit keine Verzerrungen auf dem europäischen Agrarmarkt, die eine weitere Handelsbeschränkung rechtfertigen würden, erklärte dazu der lettische EU-Kommissar Valdis Dombrovskis. Im Unterschied dazu kündigten Polen, die Slowakei und Ungarn an, die Importsperren auf nationaler Ebene zu verlängern. Das widerspricht den EU-Verträgen, weil die Außenhandelspolitik Sache der EU und nicht der einzelnen Mitgliedstaaten ist.
Jetzt soll die Ukraine selbst ihren Agrarexport kontrollieren und dafür sorgen, dass die Märkte in den osteuropäischen EU-Staaten nicht destabilisiert werden. Wie das gehen soll, will die Ukraine in einem am Montag in Brüssel vorzulegenden Maßnahmenpaket erläutern.
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki begründete das Festhalten an dem Importstopp für ukrainisches Getreide mit den Interessen der polnischen Landwirte. Sie sahen sich seit der Aufnahme des ukrainischen Agrarexports auf dem Landweg im Frühjahr 2022 mit einem anhaltenden Preisverfall unter ihre Produktionskosten konfrontiert. Offiziell sollten die ukrainischen Agrarprodukte die osteuropäischen EU-Länder nur im Transit durchqueren und von Seehäfen in der EU wieder exportiert werden. Dies hat jedoch aus einer Vielfalt von Gründen nicht funktioniert: So fehlen in den polnischen Häfen Verladeterminals für Getreide, die polnische Bahn hat nicht genug Waggons für den Weitertransport ab der Grenze, die ukrainischen Waggons haben eine andere Spurweite und können deswegen nicht bis in die Häfen durchlaufen. Als Folge waren die ukrainischen Exporteure, um ihre vollen Silos zu leeren, bereit, das Getreide mit Preisabschlägen zu verkaufen, und polnische Zwischenhändler füllten ihre Silos. Die Folge war wiederum, dass die Aufkaufpreise für Getreide in Polen genau zur Erntezeit 2022 zusammenbrachen. Forderungen von Bauernverbänden, die Weizen- und Maistransporte zu plombieren und von den Transportfirmen eine Kaution zu erheben, hat die polnische Regierung monatelang überhört, bis im Frühjahr 2023 die Lage kritisch wurde. Jetzt, einen knappen Monat vor der Parlamentswahl, will die polnische Regierung nicht den Anschein erwecken, sich nicht um die Interessen der Landwirte zu kümmern, die für die rechte Regierungspartei PiS eine wichtige Wählergruppe sind.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij begrüßte die Grenzöffnung für die ukrainischen Agrarprodukte als Ausdruck praktischer Solidarität mit seinem Land. Die Ukraine brauche die Exporterlöse. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90 / Die Grünen) begrüßte die Marktöffnung; die Solidarität mit der Ukraine bedeute Opfer für alle Seiten, und Maßnahmen, wie die in Polen oder Ungarn ergriffenen, stärkten nur »Putin«, so Özdemir am Wochenende.
Tatsächlich können die EU-Länder das billigere ukrainische Getreide auch makroökonomisch gut gebrauchen. Denn als vielfach verwendeter Rohstoff senkt es das allgemeine Preisniveau, dämpft damit die Inflation, die durch die stark gestiegenen Militärausgaben angetrieben wird, und senkt über den Brotpreis indirekt den der Ware Arbeitskraft. Ob in dieser Situation der polnische Widerstand den Wahltag überdauert, wird sich zeigen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (17. September 2023 um 21:32 Uhr)Dieser Artikel zeigt sehr wichtige Aspekte der Problemstellung auf, doch soweit mir bekannt ist, sind riesige Agrarflächen der Ukraine in der Hand westlicher Großkonzerne wie Monsanto, Cargill u. ä., die natürlich jeglichen Druck aufbauen können, um ihre Produkte zu verkaufen … Dass Ursula von der Leyen und die Grünen in Deutschland diese Vorgangsweise heftigst unterstützen liegt auf der Hand.
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