»Kurti zündelt unbeeindruckt weiter«
Interview: Roland Zschächner
Es vergeht kaum eine Woche, in der Pristina die Spannungen im Kosovo nicht verschärft. Unlängst wurden serbische Institutionen aufgefordert, Gemeindegebäude in der Stadt Mitrovica zu verlassen. Wie schätzen Sie die Lage aktuell ein?
Auch wenn die mediale Berichterstattung einen anderen Eindruck vermittelt: Die Spannungslage hat sich nicht verändert. Obwohl der Westen Albin Kurti in einer überraschenden Abkehr von seiner bisherigen Politik als Urheber der jüngsten Eskalation im Norden Kosovos scharf kritisiert hat, lässt dieser weiterhin willkürlich Menschen serbischer Abstammung verhaften.
Die Gefahr einer erneuten Eskalation durch Kurtis Regierung, die an einer Konfliktlösung offenbar nicht interessiert ist, wird auch durch seinen Verteidigungsminister Ejup Maqedoncin unterstrichen. Dieser hat kürzlich erklärt, er würde gegebenenfalls sogar ohne Zustimmung der Kfor militärisch im Norden intervenieren.
Zudem verweigert Pristina weiterhin die im Brüsseler Abkommen von 2013 festgelegte Schaffung eines Verbunds serbischer Gemeinden. Auch gelten Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte noch längst nicht für alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glauben.
Sie waren im Frühjahr in den serbischen Gemeinden im Kosovo. Dort haben Sie viele Kontakte. Wie blicken diese auf die aktuelle Situation?
Seit meinem Besuch bekomme ich viele Zuschriften von Serbinnen und Serben und Roma, sowohl aus dem Kosovo als auch aus Serbien und Deutschland. Sie zeigen sich hocherfreut, dass endlich jemand auf die Missstände im Kosovo aufmerksam macht. Und die allermeisten von ihnen, wie auch meine Gesprächspartner vor Ort, betonen, dass sie gut und gern mit ihren albanischen Nachbarn leben und dies auch weiterhin tun möchten.
Aber zugleich leben sie in Angst vor willkürlichen Verhaftungen und Übergriffen und vor albanischen Extremisten, denen die Regierung freie Hand lässt. Ich wurde vor Ort mit zahlreichen Einzelschicksalen konfrontiert, die in ihrer Gesamtheit zeigen, dass eine friedliche Koexistenz verhindert wird.
Um die Lage zu deeskalieren, so sagen es die USA und die EU, haben sie Sanktionen gegen die Regierung in Pristina verhängt. Haben Sie Hoffnung, dass dies zu einer Änderung der Politik Kurtis führt?
Die Reaktion der USA und der EU hat mich überrascht. Nachdem sie sich viel zu lange von Kurti haben auf der Nase herumtanzen lassen, haben sie in einer bisher einmaligen Art und Weise gegenüber der Regierung in Pristina deutlich gemacht, dass sie endlich erkannt haben, wo das Problem seinen Ursprung hat – jedoch ohne Erfolg. Die Sanktionen treffen vor allem die Zivilbevölkerung, die Herrschenden spüren sie kaum.
Kurti zündelt unbeeindruckt weiter und macht dabei auch vor Landesgrenzen nicht halt, wie jüngst in Nordmazedonien. Dort löste er mit seinem privaten Besuch bei extremistischen albanischen Kleinparteien einen diplomatischen Eklat aus. Das einzige, was ihn zu einer Aufgabe seiner Blockadehaltung bringen könnte, ist die Gefahr, international isoliert zu werden.
Anfang August forderten führende westliche Außenpolitiker den Außenbeauftragten der EU, Josep Borrell, sowie die Außenminister der USA und Großbritanniens auf, die Politik gegenüber Serbien »zu überdenken«. Wie ordnen Sie diesen Brief ein?
Die Initiatoren erkennen in dem Brief den Staat »Kosovo« als »funktionierende Demokratie« an und wollen zur alten Politik zurückkehren, die Pristina alles durchgehen ließ. Erst vor wenigen Wochen allerdings entzog die kosovarische Regierung dem führenden privaten Fernsehsender Klan Kosova die Lizenz. Wenig später auch MTS Doo, einem Tochterunternehmen des staatlichen Telekommunikationsbetreibers Telekom Srbija.
Es ist wenig überraschend, dass aus Kreisen der Ampelregierung weder am diplomatischen Eklat in Nordmazedonien noch an dieser innenpolitischen Zensur sowie den wiederkehrenden Anschlägen auf orthodoxe Kirchen Kritik kommt. Aber wer zu den tatsächlichen Problemen schweigt, darunter die großalbanischen Machtphantasien der Regierung in Pristina, ist an einer Lösung nicht ernsthaft interessiert.
Żaklin Nastić ist menschenrechtspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Obfrau im Verteidigungsausschuss und stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Südosteuropäischen Parlamentariergruppe
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