Unbrauchbare Ansprechpartner
Von Georg Auernheimer
Verständlich wäre es, wenn die gerade erschienene »Flugschrift« von Freerk Huisken – »Frieden. Eine Kritik« – Aktive der Friedensbewegung verärgern würde. Nicht nur, weil sie sich als politisch naiv geschildert finden, sondern auch, weil ihnen ein Linker in einer Situation in den Rücken fällt, wo ihre Appelle noch tausendfach unterzeichnet werden, aber keine Massen mehr auf die Straßen locken. Resignation liegt nahe. Und das Büchlein von Huisken ist nicht gerade ein Antidoton dagegen. Die »Friedensfreunde« sind für Huisken »Staatsidealisten«, die in ihrem aussichtslosen Bemühen um eine Welt ohne Krieg die Staaten für geeignete Ansprechpartner halten. Kurz, er bescheinigt ihnen Naivität und noch mehr: »Als Pazifisten haben sie sich selbstgenügsam in ihrem Pazifismus neben der kritisierten Politik eingerichtet.«
Aber man sollte das Buch nicht zu früh beiseite legen. Die »Flugschrift« ist zweigeteilt, und die zwei Teile bilden einen irritierenden Kontrast. Im ersten blendet Huisken aufgrund seiner Staatsauffassung die Widersprüche aus, die dem bürgerlichen, kapitalistischen Staat immanent sind, der nach wie vor ebenso die Ausbeutung der Arbeitenden sichert wie die Rechtsgleichheit seiner Bürger. Die Einsicht, dass in der Außenpolitik gerade wirtschaftliches Interesse eine gemeinsame »Sicherheitsordnung« für die bürgerlichen Staaten bedeutsam machen kann, vermisst man im ersten Teil: Schließlich hat ja die historische Entwicklung zum bürgerlichen Staat innergesellschaftlich auch eine Zivilisierung der Gesellschaft mit sich gebracht, weil er außerökonomische Gewalt eindämmt. Wo diese Widersprüchlichkeit ausgeblendet bleibt, ist folgerichtig jeder humanitäre, soziale oder friedenspolitische Appell an den Staat widersinnig.
Diese undialektische Auffassung führt zum Spott über die »Friedensfreunde«. Würden sie wahrhaben wollen, schreibt Huisken, »dass Staaten politisch begründet Kriege vorbereiten und zweckmäßig führen, wären Staaten als geneigte Ansprechpartner für die pazifistischen Friedensfreunde glatt nicht mehr brauchbar«. Der Staat werde von ihnen idealisiert. Sein unfriedliches Wirken werde als bloße »Abweichung« oder »Verfehlung« des eigentlichen Staatszwecks gesehen, nicht als systemisch bedingte Tendenz. Aufrüstung, Krieg oder Kriegsbeteiligung erscheine in dieser »absurden Konstruktion« als Verfehlung dessen, was Pazifisten »im Grundgesetz als höchsten Zweck des Staates (er-)finden: Friedenspolitik zum Wohle aller Menschen« – für Huisken »eine verzwickte Form der Reinwaschung der Staatsräson«.
Ein tatsächliches Dilemma für Friedensaktivisten zeigt Huisken allerdings auf. Wie reagieren, wenn sie sich mit der Frage konfrontiert sehen: »Was wird aus unserem Prinzip der Gewaltfreiheit, wenn es sich vor menschenverachtender Gewalt beugt?« Aber er beschreitet dann nicht den Weg, auf der Grundlage der Analyse von Machtverhältnissen zu diskutieren, wann Gewaltfreiheit endet. Stattdessen belehrt er uns, dass alle Staaten »als Gewaltmonopolisten klarstellen, dass sie sich zum Zwecke der Erhaltung ihrer Souveränität das Recht herausnehmen, ihr Volk zum Töten und Sterben in den Krieg zu schicken«. Dass das einem Staat Legitimationsprobleme schaffen kann, weil die Leute nicht mehr für ihn sterben wollen, bleibt außen vor. Freilich, inzwischen haben es die USA und ihre NATO-Verbündeten geschafft, Kriege so zu führen, dass die eigene Bevölkerung verschont bleibt. Auch das bedingt vermutlich die Schwäche der Friedensbewegung heute.
Aber dergleichen bleibt in Huiskens Streitschrift außen vor. Wenn Wagenknecht und Schwarzer in ihrem Friedensmanifest vor der nuklearen Bedrohung warnen, sieht Huisken nicht, an wen das adressiert ist. Ja, er verspottet das als lächerliche Kritik am Krieg. »Ist denn an dem Krieg (…) nichts anderes zu kritisieren, als dass es noch schlimmer kommen könnte?«
In den Kapiteln über »Friedensmoral«, »Friedensbewegung« und »Friedensappelle« verrät allein schon der sprachliche Duktus eine Abstraktheit, die einen Nebel über konkrete Machtverhältnisse in ihrer Widersprüchlichkeit legt und in der Konsequenz politischer Praxis den Boden entzieht.
Erst im Kapitel IV, wo die aktuellen Kämpfe um die von den USA dominierte Weltordnung im Zentrum stehen, wird klargestellt, »dass zu den Verkehrsformen zwischen kapitalistischen Staaten gleichermaßen gewaltfreie Konkurrenz und der Einsatz von Gewaltmitteln gehören«. Gibt es also doch Chancen für friedenspolitische Interventionen? Die Verhältnisse werden hier politökonomisch weitaus differenzierter dargestellt, als in den einführenden Kapiteln. Die Analyse der Ursachen von Konflikten in der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA, der EU, Russland und China kann eine gewinnbringende Lektüre sein. Der Klärung dient speziell auch das Kapitel über den Krieg in der Ukraine. Dazulernen können die Leserinnen da und dort auch im ersten Teil, wenn sie zum Beispiel sprachlich dafür sensibilisiert werden, dass es einen Unterschied macht, ob man die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine einfordert oder, wie längst üblich, die Solidarität mit der Ukraine, dem ukrainischen Staat.
Freerk Huisken: Frieden. Eine Kritik. Aus aktuellem Anlass. VSA-Verlag, Hamburg 2023, 154 Seiten, 12 Euro
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Dr. Kunibert E. aus K.E. Frankfurt am Main (4. September 2023 um 16:38 Uhr)Ich kann weder die von Auernheimer gekennzeichnete Zweiteilung der Schrift entdecken noch ein Ärgernis für Friedensfreunde oder gar eine undialektische Auffassung. Eher eine gut begründete, nachdenkenswerte Argumentation. Huisken beginnt mit dem Hinweis auf die leere Bestimmung des Inhaltes von »Frieden« in deutschen Wörterbüchern. Er weist hin auf die – seltsamerweise – umfassend verbreitete Selbstverständlichkeit, dass Frieden mit Gewalt gesichert werden muss. Und darauf, dass keiner von denen, die von Frieden(sbrechern) reden, es für nötig befindet, politische Anliegen zu ermitteln, die die Staaten, die Subjekte der Kriegführung, zu ihren Gründen für gewaltsame Friedenssicherung machen. Das ersparen sie sich mit dieser moralischen Herangehensweise an die Krieg/Frieden-Thematik. Zugleich ist ersatzweise für politische Gründe »gut und böse« in den jeweiligen Konflikten festgelegt. So weit, so schlecht. Dazu passt – leider – das »kritische« Herangehen von Pazifisten, Friedensfreunden, Appellschreiben … Nicht nur, dass diese selber keine politischen Anliegen entdecken, wenn’s knallt – sie beantragen bei denselben Leuten, die das Töten planen und betreiben, sie mögen doch bitteschön das Gegenteil tun … Nachdem Huisken Argumente gegen das verschiedene Agieren der Friedensfreunde aufgeschrieben hat (darüber nachzudenken lohnt – sich einfach nur ärgern lässt diejenigen in der Motzecke), kommt er zu einer etwas ausführlicheren Würdigung der globalen Widersprüche zwischen Staaten und Staatengruppen, die die Kriegsführung genauso begreifbar machen wie die Tatsache, dass zwischen Krieg (schlecht) und Frieden (gut) nicht der angenommene Gegensatz herrscht. Und dass das Agieren dieser staatlichen Subjekte auch künftig jede Menge Gemetzel (auch atomares) erwarten lässt. Damit liefert er jede Menge Argumente einer begründeten Ablehnung dieser Subjekte. Keinen einzigen dafür, sich an diese zu wenden, wenn einem dieses blutrünstige Treiben nicht gefällt. Das scheint Auernheimer entgangen zu sein.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (29. August 2023 um 00:20 Uhr)Tja, Herr Auernheimer: Nun muss ich dieses Buch haben wollen. Ich frage mich, ob Si es selbst gelesen haben? Sie klingen eher halbseiden. Zum Glück: Ich kauf es mir, lese es und entscheide dann: Taugt es für mein Regal, für meine geliebte Pankower Bibliothek oder eher für die Tonne? Was denken Sie? Lesen oder Tonne? Für Menschen, wo lesen können und wollen, isses ein Todesurteil. Kant meinte, dass es zur Vernunft gehört, wenn sie endet. Kam kurz vor seinem Tode heraus. Vielleicht nicht mehr der Rede wert.
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