Jeder dritte arm
Von Gudrun Giese
Die wachsende Armut in der BRD trifft alle Bevölkerungsgruppen – auch die Studenten. Ein Drittel von ihnen musste 2021 mit weniger als 800 Euro im Monat über die Runden kommen. Diese und weitere Zahlen hat das Deutsche Studierendenwerk (DSW) bei einer Befragung von knapp 188.000 Studenten im Sommersemester 2021 ermittelt. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) stellte das DSW am Mittwoch die Datensammlung in Berlin vor. Sie gilt als Nachfolgestudie der »Sozialerhebung« des Studierendenwerks.
Besonders prekär stellte sich danach die Lage für Studienanfänger dar, von denen elf Prozent monatlich mit weniger als 400 Euro auskommen mussten. Nur etwa ein Viertel der Befragten gab an, finanziell gut ausgestattet zu sein. Demgegenüber droht einem Drittel der Studenten Armut. Der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl wies darauf hin, dass die Zahlen vor Beginn der starken Inflation erhoben wurden. Schon damals stellte die Miete mit durchschnittlich 410 Euro monatlich den größten Ausgabeposten dar. »Seitdem ist in deutschen Städten Wohnraum für Studierende mehr und mehr zur Mangelware geworden und die Preise noch weiter gestiegen«, so Anbuhl. »Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eine brennende soziale Frage unserer Zeit.« Es sei geboten, dass das Bildungsministerium die Sätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) regelmäßig an Preise und Einkommen anpasse.
Alarm schlugen auch Vertreterinnen des Freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften (FZS). Rahel Schüssler, Vorständin im FZS, betonte in einer Mitteilung, dass die neuesten Zahlen belegten, was ihr Zusammenschluss schon lange wisse: Die soziale Lage der Studenten sei bereits 2021 dramatisch schlecht gewesen, »und hat sich durch die Inflation weiter zugespitzt«. Die Kosten für Lebensmittel, Miete und Strom seien in den zurückliegenden zwei Jahren um 13 Prozent gestiegen, und für diese drei Bereiche müssten auch Studenten den größten Teil ihres verfügbaren Einkommens aufwenden. »Für ein gutes Leben ist kein Geld mehr vorhanden«, so Schüssler, immer mehr Studenten müssten neben ihrer Haupttätigkeit, dem Studium, noch jobben. Lediglich eine Minderheit von 35 Prozent der Studenten lebe oberhalb der Armutsgrenze. »Es ist absurd, aber die Ausbildung ist in Deutschland ein Armutsfaktor.«
Die Referentin für BAföG und studentisches Wohnen im FZS, Lone Grotheer, hofft darauf, dass die Daten Politiker aufrütteln. Sie sollen »die Ängste und Sorgen, die Studierendenvertretungen schon seit Jahren äußern, ernst nehmen und handeln«. Tatsächlich seien die Probleme noch viel gravierender, als die Befragungsergebnisse erwarten ließen. Nötig sei eine Strukturreform des Studienfinanzierungssystems. »Damit sich Studierende wieder auf ihr Studium konzentrieren können, muss sich beispielsweise das BAföG grundlegend ändern.« Grotheer bezeichnete es als Skandal, dass »Studierende grundsätzlich in Vorleistung treten und ihr Recht auf Bildung gegen Ämter und Eltern erkämpfen müssen«. Sinnvoll wäre es hingegen, wenn der Staat allen eine Studienfinanzierung garantiere. Dabei solle das Elterneinkommen außen vor bleiben, die Höhe müsse an den Lebensrealitäten der Studenten ausgerichtet sein, so dass der Bedarf für Miete, Lebensmittel und weitere Ausgaben gedeckt werde. »Es kann nicht sein, dass die selbsternannte ›Fortschrittskoalition‹ darauf wartet, ob das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sie zu diesem notwendigen und naheliegenden Schritt zwingt.«
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