»Es handelte sich um ein weitverzweigtes Netzwerk«
Interview: Kristian Stemmler
Ihre Fraktion fordert die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, PUA zur Aufklärung des Komplexes um den rechtsterroristischen »Nationalsozialistischen Untergrund« in Hamburg. Der Antrag ist am Donnerstag mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Wie erklären Sie sich das?
Die Grünen haben sich hier dem Willen der SPD untergeordnet. Statt auf die Seite der Betroffenen rechten Terrors stellen sich SPD und Grüne schützend vor die Sicherheitsbehörden. Die Grünen-Fraktion hat bis auf eine Abgeordnete gegen unseren Antrag gestimmt. Damit hat die Partei ihr Wahlversprechen gebrochen und gegen die eigene Beschlusslage gestimmt. Denn auf ihrem Landesparteitag hatten die Grünen die Forderung nach einem PUA noch unterstützt. Das ist eine politische Bankrotterklärung.
Die beiden Parteien beantragten kurzfristig eine wissenschaftliche Untersuchung. Ist das eine Alibiforderung?
Es ging »Rot-Grün« offensichtlich darum, nach außen das Gesicht zu wahren. Dieser Antrag ist der peinliche Versuch der Regierungsfraktionen, ihre Rückgratlosigkeit zu kaschieren. Wir sind nicht explizit gegen eine wissenschaftliche Aufarbeitung, die eine sinnvolle Ergänzung sein kann. Sie kann aber einen Untersuchungsausschuss überhaupt nicht ersetzen.
In Hamburg ermordete der NSU im Juni 2001 Süleyman Tasköprü. Dennoch ist die Hansestadt das einzige Bundesland, das keinen Untersuchungsausschuss dazu eingerichtet hat.
Wir versuchen seit Jahren, das zu ändern. Aber das nötige Quorum kann unsere Fraktion nicht allein erfüllen. Und leider gibt es in der Bürgerschaft keine einzige andere Fraktion, die ernsthaft Aufklärung bei dem Thema betreiben will. Die Grünen lassen sich unterbuttern, und alle anderen haben eh keinen Aufklärungswillen. Von der SPD heißt es, die Ausschüsse in anderen Bundesländern hätten auch keine Antworten gebracht. Aber in diesen Ausschüssen sind viele Hinweise auf Verbindungen aus dem NSU-Umfeld zu Hamburger Neonazis deutlich geworden.
Warum blockiert die SPD so energisch?
Denen geht es nicht um Aufklärung oder Opferschutz. Die SPD stellt sich schützend vor die Sicherheitsbehörden und will verhindern, dass die kritisch beleuchtet und in ein schlechtes Licht gerückt werden. In Hamburg haben Polizei und Verfassungsschutz kein Interesse daran, dass das Thema in einem Untersuchungsausschuss behandelt wird. Deshalb kommen von der SPD Schutzbehauptungen: Wir haben doch alles aufgeklärt, heißt es dann. Man habe das Thema 15mal im Innenausschuss diskutiert und auch im parlamentarischen Kontrollausschuss.
Tatsächlich sind aber noch viele Fragen offen. Sie haben eine Liste vorgelegt.
Daran hat meine Vorgängerin Christiane Schneider einen ganz großen Anteil, die sich jahrelang mit dem Thema NSU befasst hat. Das geht es um Fragen, die uns lange beschäftigen. So gab es den »Hamburger Sturm«, die brachten auch eine Zeitschrift heraus. Da wurde in anonymen Interviews propagiert, es sei an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, es war die Rede vom »führerlosen Widerstand«. Aus der Hamburger Neonaziszene kamen damals Ideengeber und Wortführer, etwa Christian Worch. Das muss alles noch näher beleuchtet werden.
Es gibt den Satz: »Der NSU war nicht zu dritt.« Wie sehen Sie das?
Das würde ich sofort unterschreiben. Der NSU war nicht zu dritt, das war ein Komplex. Es erweckt einen falschen Eindruck, wenn man vom NSU-Trio spricht. Wir wissen heute, dass es sich um ein weitverzweigtes Netzwerk in mehreren Bundesländern handelte. Der NSU-Prozess in München hat sich auf diese These vom Trio festgelegt, so dass der Unterstützerkomplex bis heute nicht aufgeklärt worden ist.
Wie geht es in der Sache jetzt weiter?
Wir werden auf jeden Fall an dem Thema dranbleiben, wir werden keinen Schlussstrich ziehen. Wir werden auch wieder Anträge zum Thema stellen. Auch wenn »Rot-Grün« mit dem Ja zu einer wissenschaftlichen Untersuchung so tut, als wäre die Sache erledigt – damit werden wir uns nicht abspeisen lassen.
Deniz Celik ist innenpolitischer Sprecher der Linke-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft
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