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Aus: Ausgabe vom 18.03.2023, Seite 8 / Ansichten

Schlechter Schüler

Macrons Rentendiktat gegen Mehrheit
Von Hansgeorg Hermann
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Aus Sicht des Kapitals: Setzen, sechs! Emmanuel Macron am Donnerstag im Pariser Außenministerium

Nichts schätzen die »Märkte« weniger als politische Anführer, die dem Volk die Vorteile des kapitalistischen Systems nicht verständlich machen und den Lohnabhängigen keinen »demokratisch legitimierten« Gehorsam beibringen können. In der Regel stehen Staatschefs, Ministerpräsidenten oder Kanzlern »Berater« zur Seite, ausgesandt von den Interessenvertretungen des großen Profits, die solchen Spitzenpolitikern den Weg zeigen, wenn die ihn selbst nicht finden. In Frankreich geht der Wirtschaftsintellektuelle Jacques Attali seit 40 Jahren diesem Geschäft nach. Während seiner langen, erfolgreichen Karriere als Ökonom, Politiker, Funktionär und Schriftsteller half er fast allen Präsidenten, rechten wie linken – seinem Rat folgten François Mitterrand, Nicolas Sarkozy, François Hollande und zuletzt Emmanuel Macron.

Den jungen Karrieristen Macron holte Attali 2012 aus dem Geldhaus Rothschild und drängte ihn dem als zögerlichen, unsicheren Kantonisten des Systems verschrienen Sozialdemokraten Hollande zunächst als Generalsekretär, danach als Wirtschaftsminister auf. Macron erreichte, was sein Chef nicht angepackt hatte. In einem neuen, auf die Wünsche der »Märkte« zugeschnittenen Gesetz, der sogenannten Loi Macron, wurde die französische Wirtschaft »freigeschaltet«. Die nahezu lückenlose Deregulierung der Arbeitswelt gelang, die in Jahrzehnten errungenen Schutzmaßnahmen für die Lohnabhängigen – das Recht auf den freien Sonntag etwa oder die Eingrenzung von Nachtarbeit – wurden gekippt, Staatsmonopole wie die Eisenbahn oder die Materialbeschaffung der Armee für Private geöffnet.

Dem 2017 in Wirtschaftskreisen quasi zum Präsidenten ausgerufenen Schüler des weisen Attali blieb – neben der noch nicht ganz vollzogenen Privatisierung der staatlichen Systeme für Gesundheit, Bildung und Energie – vor allem die Aufgabe, die Beschäftigten zu deutlich längerer Lebensarbeitszeit zu zwingen. Attali, der sich seit Jahrzehnten öffentlich in der Pose des steinreichen Philanthropen und Samariters katastrophengeplagter Völker gefällt, ließ seinen Schützling am Mittwoch öffentlich fallen. So wie er Hollande den Rücken kehrte, weil der nicht den Mumm hatte, die vom Finanzkapital geforderten Entscheidungen in akzeptabler Manier gegen das Lohnproletariat zu fällen. Den Arbeitsmarkt endlich im Sinne der Unternehmer »vernünftig« aufzurollen – diese Aufgabe sollte Macron übernehmen. In der Libération informierte Attali ihn nun kurz und kalt, die »Reform« sei »schlecht gemacht«, den Leuten nicht verständlich.

So serviert das »Patronat« einen Mann ab, der – von wachsendem Aufruhr, ja Umsturz seiner Regierung bedroht – als politischer Vollstrecker des »wirtschaftlich Notwendigen« nur noch bedingt taugt. Ein Macron ohne Mehrheit, das zeigt sein mit dem Griff zum Verfassungsartikel 49.3 vollzogenes Rentendiktat, wird seine verbliebenen »Reformprojekte« schwer, überhaupt nicht oder nur gegen die Bevölkerung durchsetzen können.

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