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Aus: Ausgabe vom 18.03.2023, Seite 6 / Ausland
Umgang mit Geflüchteten

Gegeneinander ausgespielt

Schweiz: Mietern gekündigt, um Wohnraum für Asylsuchende zu schaffen. Rechte nutzen Lage aus
Von Elisa Nowak
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Nur bedingt erwünscht: Migranten im Kanton Aargau

In der beschaulichen Gemeinde Windisch im Schweizer Kanton Aargau ist eine Asylunterkunft für etwa 100 Geflüchtete in Planung. Bereits Mitte Januar hatte man im Kanton eine »Asylnotlage« ausgerufen und unterirdische Zivilschutzanlagen für die Geflüchteten eingerichtet. Die Ausrufung erlaubt auch, Privateigentümer und Gemeinden ad hoc zu verpflichten, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Entsprechend nahmen die Ereignisse in Windisch ihren Lauf: Am 17. Februar wurde die Gemeinde von der Kantonsregierung über den Schritt informiert. Die zwei Liegenschaften, die dafür genutzt werden sollten, gehören der privaten Immobilienfirma Ein Drittel Aleph AG, die von einem Schweiz-Kanadier geführt wird. In den Liegenschaften leben 49 Mieter in 32 Wohnungen. Denen hat man zu Ende Juni gekündigt. Brisant ist dabei, dass nicht der Eigentümer der Wohnungen die Kündigung aussprach, sondern die Administration des Kantons. Der Eigentümer argumentiert, dass die Wohnungen grundlegend renoviert werden müssten. Der Kanton entgegnet, dass die Kündigung aufgrund der Unterbringung von Geflüchteten ausgesprochen wurde.

Sowohl die Tatsache, dass der Kanton den Bewohnern gekündigt hat, als auch die sich widersprechenden Aussagen riefen Gemeindepräsidentin Heidi Ammon von der migrantenfeindlichen, wirtschaftsliberalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) auf den Plan. Die Kündigung betreffe besonders armutsgefährdete Personen. Aus diesem Grund intervenierte der Gemeinderat bei der Kantonsregierung. Dass der Eigentümer die Wohnungen jetzt bis zum Abriss den Geflüchteten zur Verfügung stellt, sei »nicht nachvollziehbar«. Ammon fordert, dass die Gekündigten in den Räumen bleiben sollen: »Wohnungen in diesem günstigen Preissegment muss man solange wie möglich bewohnt lassen.« Jean-Pierre Gallati, Vorsitzender der Kantonsregierung Aargau und gleichfalls SVP-Mitglied, ging in einem am Montag in der rechten Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten Großinterview auf diese Kritik ein. Der Ablauf sei falsch geplant und die Reaktion der Mieter auf die Kündigungen unterschätzt worden: »So konnte sich am Fall Windisch eine nationale Asyldebatte entzünden.«

Kritik an der Entscheidung, die Wohnungen den Geflüchteten zur Verfügung zu stellen, kommt nicht nur vom Gemeinderat. Innerhalb der SVP leistete besonders die Jugendorganisation Widerstand. Die Junge SVP Aargau startete am 27. Februar eine Petition, die sich gegen die Bereitstellung der Wohnungen für Geflüchtete stellt. Aktuell unterschrieben knapp 7.000 Personen. Rückenwind bekommen sie von der Mutterpartei in Aargau. Doch während die Kritik innerhalb der Partei und vom rechten Rand nur die Sorgen der Mieter im Blick hat und die Not der Geflüchteten ignoriert, stellte der Verband »Netzwerk Asyl Aargau« in einer Stellungnahme vom 27. Februar klar, dass es sich dabei nur um »Scheinlösungen« handelt. Anstatt die Suche nach Asylunterkünften weiter zu verschleppen, müsse es eine grundlegende Reform der Asylpolitik geben. Die Jusos in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) stimmen dem zu und ermahnen in ihrer Stellungnahme vom 28. Februar den Kanton: »Es darf keine Asylpolitik auf Kosten der finanziell Schwachen geben.« Dabei spiele keine Rolle, ob es sich um »Einheimische oder Geflüchtete« handelt, bemerkt Stefan Dietrich, Kovorsitzender der SP Aargau, laut SRF: »Es ist inakzeptabel, dass Menschen in Notlagen gegeneinander ausgespielt werden.«

Die liberale Freie Demokratische Partei (FDP) scheint derweil zwischen den Stühlen zu sitzen. Sabina Freiermuth, Vorsitzende der FDP Aargau, kritisiert am 1. März gegenüber dem SRF das »kommunikative Versagen«. Das Problem werde einfach verlagert. Der Stadtratsvorsitzende von Aargau, Hanspeter Hilfiker (FDP), sieht das Problem primär bei den Geflüchteten. Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung vom Montag betonte er, dass man »präventive Patrouillendienste« an »Hotspots« aktivieren müsse, um mit »jungen Männern aus Asien und Afrika« klarzukommen. Zusätzlich will er Geflüchtete wieder in unterirdischen Zivilschutzanlagen unterbringen. Das gelte jedoch nicht für die Ukrainer: Für sie gibt es oberirdische Aufenthaltsräume.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (18. März 2023 um 22:26 Uhr)
    Die Kategorisierung der Menschen in Not – was kommt anschließend? Wie menschenverachtend/mörderisch dieses System ist, ist kaum mehr in Worte zu fassen. Solange diese Staaten, aus denen die Flüchtlinge nach Europa kommen, nicht befriedet werden, damit niemand mehr zur Flucht gezwungen wird, sehe ich kein Ende dieses Martyriums – das aber ist im Westen politisch nicht gewollt!

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