»Das ist ja noch schöner«
Von Leonhard Furtwängler
Die Bilanz des kleinen Nachbarn brachte Oliver Glasner bereits kurz ins Straucheln. »18 Spiele«, sagte der Erfolgstrainer von Eintracht Frankfurt beeindruckt, sei Darmstadt 98 vor dem Hessen-Derby im Achtelfinale des DFB-Pokals ja schon ungeschlagen. Nein, nein, rief ihm daraufhin jemand zu, es seien sogar 20 Partien ohne Niederlage. »20?« fragte Glasner erstaunt, »das ist ja noch schöner.«
80 Meter Rückstand
Beim Champions-League-Achtelfinalisten nimmt man sich also durchaus in Acht vor dem Zweitligaspitzenreiter. Auch, weil die ganze Region auf das lange nicht mehr ausgetragene Nachbarschaftsduell hin fiebert. Frankfurt hat einen Lauf, Darmstadt sowieso – einzig die Berichte über geplante Schlägereien, verhinderte Angriffe Vermummter auf gegnerische Anhänger oder Schmierereien an Fanshops dämpfen die Stimmung im Vorfeld.
Die Angst vor Ausschreitungen scheint berechtigt. Fangruppen beider Klubs sollen sich am Spieltag zu einer Schlägerei verabredet haben. Das behauptet zwar nur Springers Boulevard, es erscheint aber angesichts der Ereignisse vom Freitag abend durchaus glaubwürdig. Da hatte die Polizei nach eigenen Angaben einen Angriff auf Darmstädter Fans am Bahnhof im südhessischen Bickenbach verhindert, ca. 80 vermummte Eintracht-Anhängern hätten den nichts ahnenden Rivalen in einer Unterführung aufgelauert. Schon früher war es bei den Duellen immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, gerade die radikaleren Frankfurter Fankreise sind nicht nur im Umland berüchtigt. »Klar ist eine Rivalität da«, sagte SGE-Sportvorstand Markus Krösche der Frankfurter Rundschau. Aber »es sollen keine Vorfälle passieren, wo Leute verletzt werden«, forderte Lilien-Torhüter Marcel Schuhen im FFH-Interview das Selbstverständliche.
Der Underdog macht sich Hoffnungen, zuvor hatte man bereits Borussia Mönchengladbach rausgeworfen. »Wenn man das Spiel mit einem 100-Meter-Lauf vergleicht, haben wir 80 Meter Rückstand«, gab Darmstadts Präsident Rüdiger Fritsch im HR-Interview zu, aber es könne »natürlich passieren, dass kurz vor dem Ziel der Schnürsenkel aufgeht und eine Bruchlandung stattfindet bei der Eintracht«.
Selbstvertrauen im Gepäck
Anders lässt sich etwa der umworbene Bundesligatopscorer Randal Kolo Muani derzeit wohl auch nicht stoppen. Doch trotz Topform brauche es für seine Eintracht schon mehr als »drei Übersteiger und vier Haken«, meinte Glasner, Darmstadt habe schließlich »eine wahnsinnige Offensive«.
Zumal die Lilien allen Grund haben, die 30 Kilometer weite Anreise mit ordentlich Selbstvertrauen im Gepäck anzutreten. Trotz Verletzungssorgen kam man nach der langen Winterpause wieder gut in Tritt, fertigte routiniert die Ligakonkurrenz aus Regensburg (2:0) und Sandhausen (4:0) ab. Diese Saison spielt das Team von Trainer Torsten Lieberknecht nicht mehr so bedingungslos offensiv wie in der vorigen, als man nur knapp an der Relegation vorbeischrammte. Dafür gelingt es den Lilien, ihre Partien durch bessere Strukturen zu kontrollieren, vor dem gegnerischen Tor zeigt man sich zudem äußerst effizient. Dadurch können bislang auch immer neue Ausfälle von Leistungsträgern abgefedert werden. Gegen die Eintracht muss Lieberknecht etwa mit Innenverteidiger Patric Pfeiffer und Außenverteidiger Matthias Bader auf zwei der besten Spieler der bisherigen Zweitligasaison verzichten.
Die Darmstädter Verantwortlichen üben sich derweil wie gewohnt in Understatement: »Blöd würde ich es finden, wenn wir abgeschlachtet werden«, meinte Fritsch, aber: »Wenn die wir die totale Sensation schaffen, würde ich zumindest nicht weinend aus dem Stadion gehen.« Vielleicht, ergänzte Lieberknecht, könne man dem »haushohen Favoriten« ein »Bein stellen« – und damit nicht nur Glasner ins Straucheln bringen.
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vom 07.02.2023