Kein Lobsänger
Von Günter Benser
Dem Historiker Heinz Deutschland haben wir unter anderem die sorgfältige Edition des Briefwechsels zwischen Hermann und Käte Duncker zu verdanken. Nun hat er seine jahrzehntelange, noch auf persönliche Bekanntschaft mit dem hochbetagten Hermann Duncker gegründete Beschäftigung mit dem Lebenswerk dieser beiden verdienstvollen Funktionäre der Arbeiterbewegung durch die Veröffentlichung einer Auswahl der überlieferten Gedichte Hermann Dunckers bereichert. Schon früh auf dem linken Flügel der sozialistischen Bewegung agierend, hat Duncker deren Höhen und Tiefen intensiv durchlebt und durchlitten.
Der 1960 in der DDR verstorbene Duncker war Mitglied der KPD seit der Gründung, 1925 Mitbegründer und Leiter der Marxistischen Arbeiterschule in Berlin und zuletzt Rektor der Hochschule des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau bei Berlin. Er war eine jener heute nur noch selten anzutreffenden Persönlichkeiten, die politische Praxis und theoretisches Wissen sowie dessen Verbreitung wie selbstverständlich mit kultureller Bildung und eigener musischer Betätigung zu verbinden wussten. Stets ist er für seine Überzeugung eingetreten, dass das Ringen um die Emanzipation des werktätigen Volkes immer auch antimilitaristischer Kampf für den Frieden, für humanistische Ideale ist. Das zeigen auch Dunckers Gedichte klar.
In seinem Nachwort hat der Herausgeber die wichtigsten Stationen der Vita Dunckers, die in der Regel auch wechselnde Orte seines bewegten Lebens, des Exils und oft der schmerzlichen Trennung von seiner geliebten Frau Käte und seinen Kindern waren, nachgezeichnet. Dem wurde auch mit der Gliederung der Edition Rechnung getragen. Zwischen einer Gruppe »früher Gedichte« und einem »Ausklang« lesen wir »Spandauer Sonette 1933«, »Gedichte aus Paris/Marseille«, »Gedichte aus Qued-Zem«, »Gedichte aus Casablanca«, »Gedichte aus Ballyclare und New York«.
Sehr unterschiedliche Anlässe und Themen ließen Duncker zur Feder greifen: die innige Verbundenheit mit seiner Frau Käte, Naturerlebnisse, die sozialistische Vision, historische Ereignisse wie die Revolution von 1848, die beiden Weltkriege, die Einheitsfront, die Erinnerung an das bessere Deutschland von Bach, den Gebrüdern Grimm, Goethe, Schiller und Heine, Gedichte, mit denen er sich in schwierigen Situationen selbst Mut machte. Auffallend ist, dass der Strom von Dunckers poetischem Schaffen nach der Rückkehr aus den USA nach Deutschland im Jahre 1947 spürbar abebbte. Der Herausgeber erklärt das vor allem mit den Anforderungen und Belastungen, die Dunckers vielfältige Aktivitäten mit sich brachten. Zu bedenken wäre auch, dass mit dem Tod Kätes im Jahre 1953 die wichtigste Adressatin seiner Gedichte für immer von ihm gegangen war. Überdies scheint mir, dass sich Hermann Duncker zum Lobsänger des am sowjetischen Vorbild ausgerichteten DDR-Sozialismus nicht berufen fühlte. So lässt sich das Gedicht »Worauf beruht der Stolz des Menschen im Sozialismus« sowohl als Genugtuung über das Erreichte wie auch als Zielstellung des noch zu Vollbringenden lesen.
Hervorhebung verdienen schließlich die in diese Publikation aufgenommenen Illustrationen. Die dargebotenen Gemälde, Grafiken, Skulpturen wurden von namhaften Künstlern geschaffen wie Eva Schulze-Knabe, Lea Grundig, Johannes Wüsten, Gerhard Vontra, Walter Howard, Siegfried Krepp. Sie demonstrieren einerseits die Zuneigung ihrer Schöpfer zu Duncker und andererseits die Verbundenheit Dunckers mit der Kunstszene der DDR.
Heinz Deutschland (Hrsg.): Hermann Duncker. Menschheitsgedichte. Edition Bodoni, Neuruppin 2022, 125 Seiten, 18 Euro
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