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Aus: Ausgabe vom 27.12.2022, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Maschinenbau und Chemie

Der »Doppelsog«

IG-BCE-Chef fordert neue Industriestrategie
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»Frühe Stadien in der Wertschöpfungskette«: BASF-Werk in Ludwigshafen

Der Chef der Gewerkschaft IG BCE und Kovorsitzende der Gaskommission, Michael Vassiliadis, verlangt eine rundum neu entwickelte Industriepolitik für Deutschland und Europa. Nur so ließen sich die nötigen Anreize für ökologisch tragfähige Investitionen und den Erhalt von Arbeitsplätzen schaffen und weitere Abwanderungen etwa nach China oder in die USA verhindern, hieß es in einer Meldung von Sonntag.

Die EU-Kommission müsse ohne Vorfestlegungen mitziehen, forderte er gegenüber dpa. Dabei seien keineswegs wichtige Kernregeln etwa zur Prüfung von Staatshilfen oder zum Außenhandel das Problem, »vielmehr die Tiefe der Regulierung, die wir uns in Europa leisten«.

Programme wie das Gesetz zur Bekämpfung der Inflation (englische Abkürzung IRA), mit denen die US-Regierung nun den Umbau der dortigen Industrie unterstützt, erhöhten den Druck. »Spätestens jetzt muss man dringend die Frage stellen: Wie sichern wir die Zukunft unserer eigenen Industrie?«

»Weltmarkt- oder Technologieführerschaft haben wir in Maschinenbau und Chemie, teilweise in Segmenten von Pharma und Rüstung, dann in Teilen der Dienstleistungswirtschaft und der Autobranche«, sagte der IG-BCE-Chef. »Viel mehr haben wir nicht.« Die starken Bereiche mit einer Resilienz-, Wettbewerbs- und Innovationspolitik zu stärken – das sei wichtig.

Vor allem bei erneuerbaren Energieträgern seien »viele schmerzliche Fehler« gemacht worden. »Unsere ehemals starken Produktionskapazitäten bei Solar sind nach China abgewandert, nun droht uns das gleiche bei der Windkraft«, warnte Vassiliadis.

Würden heimische Investitionen nicht attraktiver, könne sich der »Doppelsog« in Richtung China/USA verfestigen, fürchtet Vassiliadis. »China ist längst nicht mehr nur die Werkbank der Welt, sondern produziert inzwischen auch sehr viel für den eigenen Markt.« Bei Autos werde das Land darüber hinaus zunehmend zur Exportnation.

Daneben seien die Vereinigten Staaten zurück im Spiel. »Wegen ihrer geringen Gas- und Energiepreise – weniger als ein Siebtel unseres Niveaus – und jetzt auch wegen der Rahmenbedingungen durch den IRA wirken sie als Standort fast wie ein Staubsauger.«

In der deutschen Chemie wüchsen derweil die Risiken für Unternehmen, die frühe Stadien in der Wertschöpfungskette abdecken – also etwa Grundstoffe aus Gas und Öl herstellen oder sehr viel Strom benötigen. Weitere Firmen mit energieintensiver Produktion bei Aluminium, Glas, Papier oder Keramik seien »richtig unter Druck«, sagte Vassiliadis. (jW)

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