Russland dominiert G7
Von Jörg Kronauer
Als »eine Wirtschafts-NATO« sollten sie auftreten, die G7, »gemeinsam unseren Wohlstand verteidigen«: So hat kürzlich einmal die britische Außenministerin Elizabeth Truss formuliert, was aus ihrer Sicht Sinn und Zweck des Zusammenschlusses der sieben wirtschaftsstärksten westlichen Mächte sein soll. Sie liegt damit recht nah an den Zielen, denen sich die G7 auf ihrem Gipfel im bayrischen Elmau widmen. Ganz besonders geht es dabei – das ist dem Ukraine-Krieg geschuldet – um wirtschaftliche und politische Maßnahmen, die den erbitterten Machtkampf gegen Russland optimieren sollen. Daneben geht es aber auch um Weichenstellungen im Machtkampf gegen China.
Besonderes Gewicht soll, wie US-Regierungsquellen Mitte der Woche der Financial Times bestätigten, die Debatte über die globalen Energiemärkte erhalten. Dort läuft es nicht so, wie es sich der Westen eigentlich wünscht. Der Plan, mit dem Europa und Nordamerika auf den russischen Überfall auf die Ukraine reagierten, sah eigentlich vor, möglichst rasch aus dem Bezug russischer Energieträger auszusteigen und so viele weitere Staaten wie möglich zu einer Teilnahme an dem Boykott zu veranlassen, um den russischen Staatsetat zu ruinieren. Die Rechnung ist bekanntlich nicht aufgegangen, unter anderem, weil andere Länder – vor allem Indien und China – viel mehr russisches Erdöl kaufen als zuvor. In Elmau soll nun nachjustiert werden.
Washington sorgt sich dabei aktuell besonders um eines: Die EU hat in ihrem wilden Eifer, Russlands missliebige Erdöllieferungen an andere Länder zu erschweren, Sanktionen beschlossen, die es europäischen Unternehmen untersagen, Versicherungsleistungen für russische Öltransporte zu übernehmen. Noch ist ungewiss, inwieweit sich kurzfristig Ersatz für europäische Versicherer finden lässt. Bei Zertifizierungen ist Indien eingesprungen – doch ob das auch bei Versicherungen gelingt? US-Ökonomen warnen bereits seit geraumer Zeit, die EU werde mit ihrem Verbot wohl die russischen Erdölexporte reduzieren, zugleich allerdings den Ölpreis so sehr in die Höhe treiben, dass Moskau seine Einnahmen letztlich sogar steigern könnte, während der Westen unter astronomischen Energiekosten leiden werde. Washington werde in Elmau eine »konkrete Reihe an Vorschlägen« präsentieren, wie sich dieses Dilemma umgehen lasse, teilte ein US-Regierungsmitarbeiter der Financial Times mit. Eventuell werde man sich in Elmau auf Korrekturen am Sanktionsregime einigen.
Die EU wiederum hat gerade ein anderes Problem mit den Sanktionen. Siemens Energy hat eine Turbine, die eigentlich für den Betrieb von Nord Stream 2 genutzt wird, in einem Werk in Montréal warten lassen. Nun hat allerdings Kanada kurzfristig die Ausfuhr solcher Geräte nach Russland mit neuen Sanktionen untersagt. Die Turbine steckt daher in Montréal fest, und Gasprom hat den Export von Erdgas über Nord Stream 1, weil die fehlende Turbine den Betrieb einschränkt, um insgesamt 60 Prozent reduziert. Das bringt jetzt aber die deutsche Erdgasversorgung ernsthaft in Gefahr. Er würde sich wundern, äußerte Kanadas Minister für natürliche Ressourcen, Jonathan Wilkinson, Mitte der Woche, sollte der Streit um die Turbine in Elmau nicht besprochen werden. Besonders optimistisch sei er allerdings nicht: Sanktionen seien schließlich Sanktionen.
Diskutieren werden die G7 in Elmau auch die drohende globale Hungerkrise, und zwar gemeinsam mit fünf Gastländern. Das geschieht nicht ohne Hintergedanken. Die Krise hat, das bestätigt seit Monaten auch UN-Generalsekretär António Guterres, eine doppelte Ursache: Zum einen behindern der Krieg und die russische Blockade der ukrainischen Häfen den Export ukrainischen Getreides; zum anderen stehen die westlichen Sanktionen gegen die russische Transport- und Finanzbranche dem Export russischen Getreides sowie russischer Düngemittel im Weg. Um Fortschritte zu erzielen, hat die UNO eine Global Crisis Response Group gegründet, an der Indonesien und Senegal führend beteiligt sind. Beide hat die Bundesregierung als Gäste nach Elmau geladen. Indonesien hat vor einigen Tagen gefordert, der Westen müsse sich endlich bei seinen Sanktionen bewegen. Senegals Präsident Macky Sall hatte das schon Anfang Juni nach einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Sotschi verlangt. Die G7, nicht bereit, von ihren Sanktionen abzurücken, schieben die Schuld an der drohenden Hungerkrise einseitig Moskau zu. In Elmau wollen sie ihre Interpretation der Dinge durchsetzen.
Dass der Machtkampf gegen Russland das bevorstehende Gipfeltreffen so stark dominieren wird, ist ein Rückschlag für die G7. Auf ihrem Gipfel in Cornwall im vergangenen Jahr hatte der Machtkampf gegen China eine zentrale Rolle gespielt; er ist für die Vereinigten Staaten, darin ist sich das US-Politestablishment längst einig, der zentrale Konflikt, der darüber entscheiden wird, ob der Westen seine globale Dominanz sichern kann oder weiter absteigt. Dass nun Kräfte gebunden oder sogar verschlissen werden, um Russland niederzuringen, das ist so manchem Strategen ein Dorn im Auge. Eine engere Zusammenarbeit der G7 gegen China – vielleicht sogar gemeinsam mit einigen Gastländern, etwa Indien – steht deshalb in Elmau ebenfalls auf dem Programm.
Dazu beitragen könnte ein Vorhaben, das vor allem von der Bundesregierung vorangetrieben wird und hinter dem man auf den ersten Blick kaum geostrategische Absichten vermutet: der »Klimaklub«, den Olaf Scholz bereits im Sommer 2021 als Finanzminister angeschoben hat und den er nun als Kanzler gründen will. Sein Plan: Die G7 tun sich in der Klimapolitik zusammen, stellen in raschem Tempo auf erneuerbare Energien um – und verschaffen sich damit, das ist der Kernpunkt, eine Schlüsselstellung bei Weiterentwicklung und Anwendung zentraler Zukunftstechnologien. Auf diese Weise könnte der Westen, so die Hoffnung, auf globaler Ebene die ökonomische Führung übernehmen – vor China. »Die Energiewende wird zum Standortvorteil«, so hat es Scholz Ende Mai auf der Hannover Messe formuliert. Ob es wirklich gelingen kann, die Volksrepublik mit einem »Klimaklub« abzuhängen, mag man bezweifeln. Allerdings gelten die Chancen ohnehin als gering, dass der Kanzler in Elmau mit seinem Steckenpferd durchdringt: Weder die USA noch Japan haben bislang den Ehrgeiz erkennen lassen, sich in der Klimapolitik tatsächlich an die Weltspitze zu setzen.
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