»Wäre die größte anzunehmende Katastrophe«
Interview: Kristian Stemmler
Weitgehend unbemerkt wird in der EU weiter an der Überwachung verschlüsselter Kommunikation gebastelt. Mitte April findet ein wichtiges Treffen statt. Worum geht es?
Am 14. und 15. April kommen hochrangige Beamte der EU und der USA zum Thema »Justiz und Inneres« zusammen. Auf diesen regelmäßig stattfindenden Treffen werden Maßnahmen zu Terrorismus, Cyberkriminalität oder Migration behandelt. Diesmal stehen wieder »Herausforderungen im Zusammenhang mit Verschlüsselung und rechtmäßigem Abhören« auf der Tagesordnung. Die amtierende slowenische EU-Präsidentschaft stellt dort die im Dezember unter deutschem Vorsitz beschlossene Ratsresolution zur Entschlüsselung von Telekommunikation vor. Die davon womöglich betroffenen großen Internetfirmen haben ihren Sitz in den USA, deshalb müssen etwaige Maßnahmen mit Washington abgestimmt werden.
Was ist geplant, um auch verschlüsselte Kommunikation zu überwachen?
Die EU-Kommission schlägt vor, dass Anbieter von Messengern mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wie Signal, Whatsapp oder Threema zur Verfolgung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern mithelfen müssen. Sie sollen den Tausch verbotener Dateien verhindern. Das können Bilder, Videos oder Tondokumente sein, deren Hashwerte bereits bekannt sind, weil sie schon einmal aus dem Internet gelöscht wurden. Ein Hashwert ist eine Art Quersumme der digitalen Zeichenfolge einer Datei und damit wie ein Fingerabdruck einmalig.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erklärte, ein allgemeines Verbot verschlüsselter Kommunikation sei nicht geplant. Ist das glaubhaft?
Tatsächlich lässt sich eine bestimmte Form der verschlüsselten Kommunikation nicht verbieten, es würden sonst stets neue Techniken, Anbieter oder Apps auf den Markt strömen. Deshalb wird jetzt der Umweg gegangen, die Kommunikation zunächst nach inkriminierten Dateianhängen zu durchleuchten.
Als Argument muss abwechselnd der Kampf gegen Kindesmissbrauch, gegen die organisierte Kriminalität und den Terrorismus herhalten. Wie bewerten Sie das?
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern empfinden wir alle als abscheulich, sie sind daher bestens geeignet, umkämpfte Maßnahmen zur Überwachung durchzusetzen. Bekanntlich ist der Datenhunger bei Polizeien und Geheimdiensten aber nicht zu stillen. Deshalb gehe ich davon aus, dass das einmal beschlossene Verfahren nach und nach auch auf vermeintlich terroristische oder extremistische Inhalte ausgeweitet würde. Was darunter fällt, ist eine politische Entscheidung. Ich verweise nur auf die Verfolgung migrationssolidarischer Gruppen in Italien, Griechenland und Ungarn.
Wie weit sind wir noch vom Orwellschen Überwachungsstaat entfernt, wenn der Staat verschlüsselte Kommunikation jederzeit mitschneiden kann?
Das wäre in Bezug auf die private Telekommunikation die größte anzunehmende Katastrophe. In etwa so, als würde jeder Brief, jede Postkarte auf den Inhalt durchleuchtet. Es geht deshalb ums Ganze.
Welche Rolle spielt das Vorgehen im Fall Encrochat in diesem Zusammenhang?
Mit der geforderten Überwachung verschlüsselter Messenger hat das nicht zu tun, bei Enchrochat handelte es sich um ein sicheres Betriebssystem, das auf bestimmte Telefone aufgespielt werden konnte. Die französische Polizei konnte das System knacken und gab Unmengen darüber erlangter Daten an europäische Polizeien für Ermittlungen weiter.
Das Beispiel zeigt aber wo wir landen, wenn Internetfirmen wirklich per Gesetz zum Durchleuchten privater Chats gezwungen würden. In einem nächsten Schritt, wenn die sogenannte Vorratsdatenspeicherung wie von den Regierungen gefordert doch noch durchgesetzt wird, müssten die Firmen die Inhalte womöglich über Monate oder Jahre aufbewahren, damit Behörden bei Bedarf darauf zugreifen können.
Was kann das Europäische Parlament bewirken?
Das EU-Parlament kann im sogenannten Trilog gemeinsam mit dem Rat und der Kommission über Richtlinien und Verordnungen mitentscheiden. Das EU-Parlament ist aber keine Firewall für Bürgerrechte. Auch dort haben konservative und rechte Parteien wie in vielen nationalen Parlamenten die Mehrheit.
Matthias Monroy ist Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei/CILIP
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