»Anzahl der Durchführenden nimmt weiter ab«
Interview: Gitta Düperthal
Damit der Strafrechtsparagraph 219 a, das Verbot angeblicher »Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche, abgeschafft wird, legen Sie jetzt Verfassungsbeschwerde ein. Sind Sie zuversichtlich, auch Erfolg zu haben?
Ja, mit einer starken Frauenbewegung an meiner Seite, die das durchsetzen will, muss es möglich sein, diese altertümlich anmutende Regelung endlich zu kippen. Oder sie zu verändern, damit fachliche ärztliche Informationen wieder möglich sind. Man hätte den Paragraphen ja schon 2019 in der Weise reformieren können, was aber nicht der Fall war. Nach der Gesetzeslage konnten die Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main in der vergangenen Woche gar nicht anders, als die Revision abzulehnen und mich zu verurteilen, so dass ich medizinische Informationen zum Abbruch nun von meiner Webseite nehmen musste. Sie hatten keine andere Wahl.
Welche Motive stecken dahinter, dass so ein Gesetz noch immer aufrechterhalten wird?
Deutschland ist zwar ein säkularer Staat, es gibt aber eine unverhältnismäßige Einflussnahme von religiösen Kräften. Die SPD hat zwar eine klare Haltung dazu, beugte sich aber aus machtpolitischem Kalkül einer Strömung, die in der CDU/CSU den rechten Rand markiert. Man gab sich der Illusion hin, der AfD etwas entgegensetzen zu können, wenn man sich nach rechts orientiert.
Worauf geht der Paragraph 219 a zurück?
Er ist Anhängsel des im Jahr 1871 eingeführten Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch, wonach der Schwangerschaftsabbruch heute noch als Straftat gilt und nur in Ausnahmefällen nicht als solche geahndet wird. Der Paragraph 219 a wurde später als Zugriffsmöglichkeit auf Ärzte geschaffen, bevor sie einen Abbruch machen, um so eine Vorfeldkriminalität zu konstruieren. Historisch handelt es sich um ein paternalistisches System, das Frauen grundsätzlich keine Rechte auf ihren eigenen Körper zugestanden hat. Frauen galten quasi als Besitz des Vaters oder des Ehegatten, der Schwangerschaftsabbruch wurde als Eigentumsdelikt gewertet. Dann gab es auch die sogenannte Beseelungstheorie: Hat der Fötus noch keine Seele, ist der Abbruch keine Straftat. Der Paragraph 218 ist auch ein Versuch, Bevölkerungspolitik zu betreiben. Deutlich wird das vor dem Hintergrund der Nazidiktatur: Es gab Leben, das man erzwingen wollte, auch mit Androhung der Todesstrafe bei Abtreibungen. Andererseits gab es infolge der NS-Rassenideologie Zwangsabtreibungen.
Wie werten Sie Schutzzonen von 150 Metern um Praxen und Beratungsstellen, die in Hessen wegen zunehmend aggressiver Aufmärsche von Abtreibungsgegnern dort eingeführt wurden?
Das war ein Schritt in die richtige Richtung. In Frankreich gilt es als strafbare Handlung, Ärzte und Frauen zu belästigen. Das wird richtig teuer.
Bedrohen Abtreibungsgegner Sie auch persönlich?
Ich erhalte E-Mails mit expliziten oder indirekten Todesdrohungen. Von Klaus Günter Annen, Betreiber der Webseite »Babycaust«, erhielt ich Faxe mit Fristsetzung, wann die medizinischen Informationen zum Abbruch verschwinden sollen, die seit dem Gerichtsentscheid überall im Netz kursieren. Was absurd ist! Darauf könnte ich – selbst wenn ich wollte – keinen Einfluss nehmen. Mit Hunderten Anzeigen hat er dafür gesorgt, dass Ärzte nicht mehr über Abbrüche medizinisch informieren können. Im August 2020 hatte ich eine Klage gegen ihn auf Unterlassung in Sachen Holocaustvergleiche gewonnen, weil er mich mit NS-Tätern verglichen hatte.
Ist die Möglichkeit zu einem Schwangerschaftsabbruch während der Coronakrise gegeben?
Die Anzahl der einen Abbruch durchführenden Ärzte und Ärztinnen hat sich in den vergangenen Jahren reduziert. Die meisten sind wie ich schon älter. In Niederbayern hat kürzlich ein etwa 70jähriger Arzt wegen Corona aufgehört. Dort ist die Versorgung nahezu zusammengebrochen; so wie auch schon in anderen Regionen.
Sie sind Autorin des Buchs »Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer Abtreibungsärztin«. Wie kam es zu Ihrem frauenpolitischen Engagement?
Ich registriere eine zunehmend schlechtere Realität für Frauen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Zudem möchte ich, dass Kinder geliebt aufwachsen.
Kristina Hänel ist Fachärztin für Allgemeinmedizin
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