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Aus: Ausgabe vom 27.09.2018, Seite 3 / Schwerpunkt

Kommentar: Kloake Kapitalismus

Sollte es – und danach sieht es zur Zeit aus – wirklich zu der vom RWE-Konzern geplanten Rodung des Hambacher Forstes ab Mitte Oktober kommen, so sollten die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD zukünftig davon absehen, das Wort Umweltschutz auch nur in den Mund zu nehmen. Egal, wie laut die Bevölkerung schreit, erhört wird sie nicht. Demokratie und Empathie sind vergessen, wenn es um Geld und Konzerninteressen geht. Das wird heute auch denjenigen langsam klar, die die bürgerliche Demokratie bisher für funktionsfähig hielten. Egal, wie viele tausend sich einsetzen und ihren Unmut nach außen tragen – von der Bundesregierung gibt es nicht einmal ein Statement dazu. Während man Neofaschisten die Straßen Deutschlands überlässt, werden friedliche Aktivisten und Demonstranten von der Staatsmacht aus dem Wald geknüppelt und in Gewahrsam genommen. Dort »füttert« man sie, indem man Brot und Bananen über die Zäune der Gefangenensammelstelle wirft. An mancher Stelle empört man sich, weil Polizisten mit Fäkalien beworfen wurden. Doch wenn man Menschen wie Affen behandelt, sollte man eventuell nicht völlig verwundert darüber sein. Welche Kloake das System Kapitalismus ist, zeigt sich deutlich am Fall des Hambacher Forstes.

Auch wenn die Rodung noch nicht endgültig gerichtlich beschlossen ist, wird jetzt mit der Räumung der Baumhäuser kurzer Prozess gemacht. Die Begründungen sind fadenscheinig. Einmal heißt es, dass die wunderschönen Baumhausstrukturen aus Brandschutzgründen geräumt werden müssen. Und das jetzt, im etwas feuchteren September, nachdem der Wald auch in diesem verheerend heißem Sommer nicht in Flammen aufgegangen ist und die Baumhäuser zum Teil seit Jahren existieren. Dann spricht man von Fluchtwegen, die frei bleiben müssten.

Die gesamte Politik ist zur Zeit eine große Satireveranstaltung, bei der einem nicht klar ist, ob man lachen oder weinen soll. Diese politische Klasse hält die Bürger regelrecht dazu an, sich zu radikalisieren. Was sollen sie denn auch sonst tun, wenn Tausende von Rufen, Petitionen und Aktionen bisher kein Gehör fanden. Wenn ihnen dann auch noch ein Waldspaziergang als friedliche Protestform verwehrt werden soll, ist klar, dass sich auch Oma Hildegard und Opa Werner den verbotenen Weg in den Hambacher Forst bahnen. Tausende Bürger – nicht mehrheitlich als »extremistisch« geltende Aktivisten – haben sich diesem Irrsinn bereits gestellt und beschlossen, den Anweisungen der Polizei und damit auch des Staates nicht zu folgen. Daraus kann nicht nur eine neue Bewegung in Sachen Umweltpolitik wachsen, sondern noch viel mehr. (mab)

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