Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 11.03.2017, Seite 11 / Feuilleton
Droste

Kindsmord und Hasserzeugung

Von Wiglaf Droste

Mord ist – von Tyrannenmord abgesehen – furchtbar und wird nicht erst seit den Zehn Geboten in und von jeder nach Zivilisation strebenden Gesellschaft geächtet. Kindsmord, massenhaft organisiert von Herodes bis zur Blutherrschaft der Nazis oder als Einzelfall, wird als besonders grausam und verwerflich angesehen und bringt das Blut der Angehörigen in Wallung wie das des öffentlichen Publikums. Kindsmord lässt Menschen nicht kalt, und auch zivilisierte, vernünftige, nicht zu Volkszorn, kollektiver Raserei und Selbstjustiz tendierende Menschen werden hier, wie sie selbst sagen, »zum Tier«.

Emotional ist das uneingeschränkt nachvollziehbar; wer sich an Kindern vergreift und ihnen Gewalt antut, muss damit rechnen, spontan und intuitiv alttestamentarisch unerbittlich hart gestraft zu werden von Erwachsenen, die das Eintreffen von Vertretern der Polizei und der Justiz nicht abwarten. Der Mord an einem Kind ist die vielleicht härteste Prüfung für den Grad der Zivilisiertheit des einzelnen und der Gesellschaft; nichts verlangt Menschen mehr Maß an Zurückhaltung, Vernunft und das Hintanstellen der eigenen persönlichsten Gefühle ab zugunsten einer übergeordneten Idee davon, wie man gesellschaftlich leben will und wie nicht.

Anders verhält es sich mit organisierter Menschenjagd und Aufstachelung zur Lynchjustiz; wenn organisierte Kriminelle, die mit Menschenhandel, bösartigster körperlicher Gewalt und dem Begehen anderer schwerer Verbrechen zu ihrem eigenen Vorteil keine Mühe und kein Problem haben, sich als Kinderschützer aufspielen wie eine Bandido-Brutalobande in Herne oder Neofaschisten in Leipzig, muss eine Gesellschaft, die auf Resten von Humanismus beharrt, das sofort und strikt unterbinden. Drecksäcke, die neben ihre »Böhse Onkelz«-Runenschrift-Heckscheibenaufkleber Aufforderungen zu Mord, Totschlag und Kastration plazieren, gehören wegen Aufforderungen zu Straftaten selbst angezeigt und im Beweisfall verurteilt.

Wem zu tiefsttraurigen Ereignissen und Geschehnissen nichts einfällt, als Hass und Niedertracht anzufachen und zu schüren, will nichts als immer neue Opfer, die er instrumentalisieren kann; kein Mensch hilft ihm und kein Gott, da ist nur er selbst, das Nichts.

Mehr aus: Feuilleton