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Aus: Ausgabe vom 14.12.2015, Seite 11 / Feuilleton

Alte Männer

Von Christof Meueler

Alte Männer, das ist ein eigenes Genre. Manche nennen sich so, andere werden so beschrieben. Sie machen all das, was junge Männer auch machen. Nur, dass sie vielleicht einen Hut dabei tragen. Oder einen Fünftagebart. Und dass ihre Haare nicht grau werden, sondern grau sind. Und dass sie nicht mehr so gut hören. Öfter mal husten. Und vielerlei Zeug sich nicht mehr so bereitwillig anhören wollen. Das nennt man die kraftlose Weisheit des Alters. Bei genauerer Betrachtung machen sie nur fast alles, was junge Männer machen. Sie sehen ja auch anders aus. Und haben mehr Schmerzen.

Der Wechsel vom jungen zum alten Mann passiert ungefähr um die 40. Ein paar scheinen als alte Männer auf die Welt gekommen zu sein: Charles Bukowski, Frank Sinatra oder Tom Waits. Am anerkanntesten sind alte Männer, wenn sie Filme drehen. Am berührendsten, wenn sie Gedichte schreiben. Gerd Adloff, Jahrgang 1952, schreibt zum Beispiel das hier: »Alle zehn Jahre einen neuen Shell-Parka / alle fünf Jahre ein bleibendes Erlebnis / alle drei Jahre eine tiefe Verzweiflung / jedes Jahr das Treffen mit den ganz alten Freunden / jeden Monat die Ratenzahlung / jede Woche der Stammtisch / jeden Tag aufstehen / trotz alledem«. Es heißt »Who? My Generation« und findet sich in Adloffs neuem Gedichtband »Zwischen Geschichte und September«, mit virtuos-kritzligen Grafiken von Horst Hussel, Jahrgang 1934. Adloff dichtet feinsinnig-warmherzig von Krankenhäusern, Kindern, dem Meer und Berlins neueren Arschlochwelten.

Was wurde aus dem Westen? Michael Arenz, Jahrgang 1954, dichtet krass, aber lakonisch aus dem modernen Bochum, das einem so jenseits vorkommt wie Leipzig 1985. Ein Gedicht heißt »Alte Männer schreien leise«, ein anderes »Einübung ins Unvermeidbare« und das geht so: »Mein 58. / Geburtstag / Kein Anruf / Keine Post / Kein Besuch / Niemand / Nichts / Leck mich / Es geht los«. Zu finden in dem Band »Der aufrichtige Kapitalismus des Metallgorillas«, mit poetisch-symbolischen Schwarzweißfotos von Hansgert Lambers, Jahrgang 1937, und einem bewundernden Vorwort von Hermann Peter Piwitt, Jahrgang 1935. Bei Arenz geht es unter anderem ums Fernsehen (öffentlich-rechtlich), den vollen Mond und die beliebte Frage »Hast du mich verstanden?«

Was ich, Jahrgang 1968, an Adloff und Arenz gutfinde: Es geht um die »eigene, verdrängte Angst« (Adloff). Nicht die vor dem Tod, sondern die, über die man spricht. Das schaffen eher die alten als die jungen Männer.

Gerd Adloff: Zwischen Geschichte und September. Mit Grafiken von Horst Hussel, Corvinus Presse, Schöneiche 2015, 48 S., 20 Euro

Michael Arenz: Der aufrichtige Kapitalismus des Metallgorillas. Mit Fotografien von Hansgert Lambers, ex pose verlag, Berlin 2015, 136 S., 33 Euro

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