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Aus: Ausgabe vom 19.02.2014, Seite 3 / Schwerpunkt

Der lange Weg des Verdachts

Im Oktober 2010 begann eine internationale Polizeioperation unter dem Decknamen »Spade« – im Fokus: Der Internetfilmvertrieb »Azov-Films« mit Sitz in Toronto, Kanada. Dessen Besitzer Brian Way stand im Verdacht, neben mutmaßlich legalen »FKK«- und »Coming-of-Age«-Filmen, in denen unbekleidete minderjährige Jungen zu sehen sind, auch mit strafbarer Kinderpornographie zu handeln. Noch vor dem offiziellen Abschluß der Ermittlungen am 14. November 2013 wurde das Bundeskriminalamt (BKA) darüber informiert, daß auch der SPD-Politiker Sebastian Edathy in Ways Kundenkartei aufgetaucht ist. Edathy soll strafrechtlich irrelevantes Material gekauft haben, doch die deutschen Ermittler gehen davon aus, daß Konsumenten solcher »soften« Filme und Bilder auch regelmäßig zu härterer Pornographie greifen. Am 4. Oktober informierte der zuständige Staatssekretär im Innenministerium, Klaus-Dieter Fritsche, der wiederum vom BKA-Chef Jörg Ziercke in Kenntnis gesetzt worden war, den damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Erst am 5. November erhielt die Staatsanwaltschaft die Akten.

Sowohl Fritsche als auch Ziercke hatten schon vorher mit Sebastian Edathy zu tun – in dessen Eigenschaft als Vorsitzender des NSU-Ausschusses. BKA-Chef Ziercke sollte Auskunft zu den eklatanten Fahndungspannen der deutschen Kriminalisten während des dreizehnjährigen Terrorfeldzuges des NSU geben. Doch die 21. Sitzung des Ausschusses am 28. Juni 2012 endete im Eklat. Zunächst rühmte Ziercke sich, mit der Auslobung von 300000 Euro Belohnung für die drei flüchtigen NSU-Gründer deren Mordfeldzug »gestoppt« zu haben. Daraufhin platzte Edathy der Kragen: »Hochmut ist im Ausschuß fehl am Platz!« beschied er Ziercke – denn immerhin konnten sich die Rechtsterroristen auch noch fünf weitere Jahre im Untergrund tummeln.


Am 18. Oktober des Jahres 2012 war Fritsche an der Reihe. Dieser setzte, noch vor Befragung durch die Obleute, zu einem langen Monolog an: »Ich wehre mich – stellvertretend für Polizeibeamte und Verfassungsschützer – dagegen, daß auf Grundlage des Wissens von heute zum NSU, welches wir alle hier erst nach dem 4. November 2011 erlangt haben, beißende Kritik, Hohn und Spott über einen ganzen Berufszweig von Polizisten und Verfassungsschützern niedergeht«, so Fritsche. Edathy hatte die Sitzung schließlich unterbrechen lassen. (sc)

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